Gina Sanders © fotolia.de

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BFH: Teileinspruchsentscheidung hält nicht den gesamten Fall offen

Der Einspruch ist kostenlos - unabhängig davon, wer schließlich als Gewinner aus dem Verfahren hervorgeht. Ein weiterer wesentlicher Vorteil ist, dass der eigene Fall ruhen kann. Gibt es im eigenen Rechtsstreit bereits ein anhängiges Gerichtsverfahren, kann man sich daran problemlos beteiligen. Bis zur Entscheidung ruht der Einspruch, ohne dass eigene Begründungen eingereicht werden müssen.

Geht das Verfahren positiv aus, profitieren Steuerzahler dann automatisch. Bei einer negativen Entscheidung bleibt alles beim Alten. Der späte Erfolg bringt zudem Zinsen: Bekommen Bürger oder Unternehmen erst nach langem Hin und Her recht, kommt auf die Erstattungsbeträge noch ein attraktiver Jahreszins von 6 % hinzu. Von solchen Renditen können Sparer derzeit bei Bankanlagen nur träumen. Und es lassen sich weitere Türen öffnen. Der Einspruch ist Voraussetzung für ein weiteres Vorgehen vor dem FG oder dem BFH.

Doch ein ruhender Einspruch sichert nicht auf Dauer, dass der eigene Fall in vollem Umfang offen bleibt. Denn im Fall der Teilentscheidung befindet das Finanzamt vorab in einer gesonderten Einspruchsentscheidung zunächst nur über Teile des Einspruchs. Vor dieser Änderung durch das Jahressteuergesetz 2007 hielt der Einspruch den gesamten Steuerbescheid grundsätzlich in vollem Umfang offen. Nunmehr kann ein Streitpunkt vorab erledigt werden; dieser Teil des Bescheids wird dann bestandskräftig. Finanzämter nutzen diese neue gesetzliche Möglichkeit rege. Denn sobald die Teileinspruchsentscheidung ergangen ist, gilt der Fall für sie als statistisch erledigt. Gegen die Teileinspruchsentscheidung kann bezüglich des entschiedenen Teils Klage eingelegt werden.

Der BFH hat jetzt entschieden, dass sich eine Teileinspruchsentscheidung auch nur auf unstreitige Teile eines Bescheids beziehen kann. Dies wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass keine "Waffengleichheit" zwischen der Finanzbehörde und dem Steuerpflichtigen besteht. Denn dieser seinerseits kann keinen Teileinspruch einlegen.

Die Urteilsbegründung enthält einige wichtige und praxisrelevante Aussagen zum Rechtsbehelf, die nachfolgend stichpunktartig dargelegt werden:

  • Es ist verfahrensrechtlich grundsätzlich zulässig, über den Einspruch nur insoweit zu entscheiden, als er sich auf nicht ausdrücklich benannte Streitpunkte bezieht. Die Verpflichtung des Finanzamts zur Überprüfung der Sache in vollem Umfang steht dem nicht entgegen. Denn es ist keine Rechtsgrundlage dafür erkennbar, dass das Finanzamt Inhalt und Umfang dieser Prüfung im Rahmen der Einspruchsentscheidung darstellen müsste.
  • Soweit ein Einspruch entscheidungsreif ist, sollte über ihn entschieden werden. Andernfalls träte eine Verfahrensverzögerung ein, die ihrerseits sachlich begründet werden müsste. Das bedeutet, dass bei teilweiser Entscheidungsreife eines Einspruchs eine Teileinspruchsentscheidung im Allgemeinen sachdienlich ist, soweit dem keine besonderen Umstände entgegenstehen.
  • Im Allgemeinen hat eine Teileinspruchsentscheidung auch unbenannte Streitpunkte zu erfassen.
  • Es ist kein Grund erkennbar, an die Bestimmung der Reichweite einer Teileinspruchsentscheidung strengere Anforderungen zu stellen als an einen Vorläufigkeitsvermerk, der ebenfalls eine partielle Änderung eines im Übrigen bestandskräftig gewordenen Bescheids ermöglicht.
  • Grundsätzlich kann der Verwaltungsakt zum Nachteil des Einspruchsführers geändert werden, wenn dieser auf die Möglichkeit einer verbösernden Entscheidung unter Angabe von Gründen hingewiesen und ihm Gelegenheit gegeben wurde, sich hierzu zu äußern. Allein in der Entscheidung über einen Teil des Einspruchs liegt jedoch keine Verböserung mit den hieraus resultierenden Rechtsfolgen.
  • Es gibt keinen Anspruch auf Nichtentscheidung über einen Einspruch.
  • Laut Gesetzesbegründung soll sich die Teileinspruchsentscheidung insbesondere bei Einsprüchen mit Bezug auf Musterverfahren anbieten. Das sind typischerweise Masseneinsprüche. Wie aber bereits die Formulierung "insbesondere" zum Ausdruck bringt, ist diese Konstellation weder notwendige noch hinreichende Bedingung für die Teileinspruchsentscheidung und keine Voraussetzung.

Praxishinweis

Die Teileinspruchsentscheidung hat nicht zur Folge, dass stets noch eine förmliche endgültige Einspruchsentscheidung ergehen muss. Das Rechtsbehelfsverfahren kann nämlich beispielsweise auch dadurch abgeschlossen werden, dass

  • die Finanzbehörde dem Einspruch hinsichtlich der zunächst weiter offen gebliebenen Streitfrage abhilft,
  • der Steuerpflichtige seinen Einspruch zurücknimmt oder
  • eine Allgemeinverfügung über die BMF-Internetseiten sowie das BStBl ergeht.

Wird die Teileinspruchsentscheidung bestandskräftig, kann im weiteren Verfahren über den noch offenen Teil der angefochtenen Steuerfestsetzung nicht mehr geltend gemacht werden, die in der Teileinspruchsentscheidung vertretene Rechtsauffassung entspreche nicht der aktuellen Gesetzesfassung. Dies ist auch in einem eventuellen Klageverfahren gegen eine spätere "finale Einspruchsentscheidung" zu beachten.

Neben der Teileinspruchsentscheidung kommt es auch schneller zur Bestandskraft von Bescheiden, da anhängige Einsprüche per Allgemeinverfügung zurückgewiesen werden können, sollten EuGH, BVerfG oder BFH zugunsten des Finanzamts entscheiden und eine solche Allgemeinverfügung als Massen-Einspruchsentscheidung auf den Internetseiten des BMF sowie im BStBl veröffentlicht wird. Sie gilt dann am Tag nach der Herausgabe des entsprechenden BStBl als bekanntgegeben.

BFH, Urt. v. 14.03.2012 - X R 50/09
BFH, Urt. v. 30.09.2010 - III R 39/08, BStBl 2011 II 11 (Verfassungsbeschwerde eingelegt unter 1 BvR 1359/11)
Jahressteuergesetz 2007 v. 13.12.2006, BGBl 2006 I 2878

Quelle: Dipl.-Finanzwirt Robert Kracht - vom 03.07.12