Steuerberatung -

Kein Steuererlass bei Anwendung rechtswidriger Vorschriften in bestandskräftigen Bescheiden

Bestandskräftige Steuerbescheide können im Erlassverfahren nur überprüft werden, wenn es unmöglich oder unzumutbar war, sich rechtzeitig innerhalb der Rechtsmittelfrist dagegen zu wehren.

Bestandskräftige Steuerfestsetzungen können im Erlassverfahren nach § 227 AO nur dann überprüft werden, wenn es dem Steuerpflichtigen unmöglich oder unzumutbar war, sich rechtzeitig innerhalb der Rechtsmittelfrist gegen die Steuerfestsetzung zu wehren.

Das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung und in die Verfassungsmäßigkeit der zu Grunde liegenden Regelung führt nicht zu mangelnder Zumutbarkeit der Rechtsbehelfseinlegung.

Bis zu einer abschließenden Entscheidung des BVerfG darüber, ob die rückwirkende Verlängerung der Spekulationsfrist des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 1 EStG durch das StEntlG 1999/2000/2002 mit dem Grundgesetz vereinbar ist, bleibt die Vorschrift anwendbares Recht.

Vor diesem Zeitpunkt kommt ein Erlass der auf derartige Spekulationsgeschäfte entfallenden Steuer ohnehin nicht in Betracht.

Im Urteilsfall ging es um einen Verkauf Anfang Januar 1999 eines in 1995 erworbenen Grundstücks. Der Veräußerungsgewinn wurde erfasst, der Steuerbescheid bestandskräftig. Erst anschließen wurde ein Antrag auf Erlass der auf den Verkauf des Grundstücksanteils entfallenden Steuer gestellt, da zwischenzeitlich verschiedene Verfahren anhängig seine, die in dieser Regelung einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot sähen. Das Finanzamt lehnte dies mit der Begründung ab, dass Einwände gegen die sachliche Richtigkeit der Steuerfestsetzung nur im Einspruchsverfahren, nicht aber in einem Billigkeitsverfahren geltend gemacht werden können.

Prüfung erstreckt sich auf fehlerfreie Ausübung einer Ermessensentscheidung

Gemäß § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Entscheidung über einen Erlassantrag ist eine Ermessensentscheidung, wie sich schon aus der Formulierung „können” in § 227 AO ergibt. Behördliche Ermessensentscheidungen kann das FG nach § 102 FGO grundsätzlich nur darauf hin überprüfen, ob eine Ermessensüber- oder -unterschreitung oder ein Ermessensfehlgebrauch vorliegt, und zwar bezogen auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung.

Die gerichtliche Prüfung hat sich nur auf eine mögliche ermessensfehlerfreie Entscheidung zu beschränken, ob die Ablehnung des Erlassgesuches unter dem Gesichtspunkt von Recht und Billigkeit vertretbar war. Die Frage ist daher, ob den Verwaltungsbehörden daraus ein Vorwurf gemacht werden kann, dass sie am gesetzlichen Steuertatbestand festgehalten haben.

Das Gericht muss die Ablehnung des Erlasses bestätigen,

  • wenn die Entscheidung ohne Verstoß gegen die Grundsätze von Recht und Billigkeit
  • unter Abwägung der Interessen des Steuergläubigers am Einzug der nach dem Gesetz entstandenen und festgesetzten Steuern
  • unter Abwägung der Verhältnisse des Steuerschuldners

so getroffen werden konnte, wie sie getroffen wurde. Dem Gericht steht es nicht zu, an die Stelle der nach Recht und Billigkeit vertretbaren Verwaltungsentscheidungen als Ausfluss eigenen Ermessens eine ebenso gut mögliche für den Steuerpflichtigen günstigere Entscheidung zu setzen.

Ablehnung eines Erlassantrags bei strittiger Vorschrift ist ermessensfehlerfrei

Den Erlass der auf den Spekulationsgewinn entfallenden Einkommensteuer hat das Finanzamt ermessensfehlerfrei abgelehnt, in dem es festgestellt hat, dass keine hinreichenden Billigkeitsgründe ersichtlich sind.

§ 227 AO lässt es nicht zu, dass sich Finanzbehörden oder Gerichte allgemein zu dem vom Gesetzgeber gewollten Sinn und Zweck einer Bestimmung in Widerspruch setzen. Er erlaubt einen Steuererlass daher nur, wenn die Einziehung der Steuer abweichend von den normalerweise unter den Steuertatbestand fallenden Sachverhalten im Einzelfall aus besonderen Gründen unbillig wäre. Diese besonderen Billigkeitsgründe können in der Person des Steuerpflichtigen oder in der Sache selbst liegen. Mangels persönlicher kommen im Urteilsfall nur sachliche Billigkeitsgründe in Betracht.

Dabei kann es nicht allgemein darum gehen, noch nach Ablauf der Rechtsmittelfrist fehlerhafte Steuerbescheide zu korrigieren. Selbst eindeutig und offensichtlich falsche bestandskräftige Steuerfestsetzungen können daher im Erlassverfahren nur dann überprüft werden, wenn es dem Steuerpflichtigen unmöglich oder unzumutbar war, sich rechtzeitig innerhalb der Rechtsmittelfrist zu wehren. Dem Grundstücksverkäufer war es aber weder unmöglich noch unzumutbar, verfassungsrechtliche Einwendungen gegen die rückwirkende Verlängerung der Spekulationsfrist geltend zu machen. Das Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung und die Verfassungsmäßigkeit der zu Grunde liegenden gesetzlichen Regelung führt nicht zu mangelnder Zumutbarkeit einer Rechtsmitteleinlegung (siehe BFH vom 09.09.1994, III R 17/93, BStBl 1995 II S. 8).

Im Übrigen steht nach der bisherigen Rechtsprechungslage noch nicht abschließend fest, ob die rückwirkende Verlängerung der Spekulationsfrist für private Grundstücksveräußerungsgeschäfte nach dem 31. Dezember 1998 verfassungswidrig ist. Zwar hat der BFH mit Vorlagebeschluss vom 16.12.2003 (IX R 46/02, BStBl 2004 II S. 284, beim BVerfG unter 2 BvR 2/04) dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die rückwirkende Verlängerung der Spekulationsfrist des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 1 EStG durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 mit dem Grundgesetz unvereinbar ist. Bis zu einer abschließenden Entscheidung bleibt § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 1 EStG anwendbares Recht, sodass der begehrte Erlass auch schon unter diesem Gesichtspunkt nicht positiv hätte beschieden werden können.

FG Münster Urteil vom 08.06.2005 (1 K 5607/03 E)

Quelle: FG Münster - Urteil vom 08.06.05