22.3 Besteuerung von Anteilsveräußerungen

...
Autor: Ott

22.17

Während bei der unentgeltlichen Übertragung von Anteilen an Kapitalgesellschaften regelmäßig beim Anteilseigener keine ertragsteuerlichen Folgen eintreten und für den Rechtsnachfolger nach § 17 Abs. 1 Satz 5 EStG die Anschaffungskosten des Rechtsvorgängers maßgebend sind, stellen sich die Besteuerungsfolgen bei der Veräußerung von Anteilen1) an Kapitalgesellschaften,2) die im Privatvermögen gehalten werden, in Abhängigkeit vom Beteiligungsumfang wie folgt dar:

Beteiligungsumfang

Gewinn

Verlust

Privatvermögen < 1 %

Bei Erwerb vor dem 01.01.2009: steuerfrei

Bei Erwerb ab dem 01.01.2009: Abgeltungsteuer nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG, keine Option zum Teileinkünfteverfahren

Bei Erwerb vor dem 01.01.2009: unbeachtlich

Bei Erwerb ab dem 01.01.2009: Verlust nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG, aber für Veräußerung von Aktien nur eingeschränkte Verlustverrechnung mit künftigen Einkünften aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG

Privatvermögen > 1 %

Ansatz zu 60 % nach Teileinkünfteverfahren

Ansatz zu 60 % nach Teileinkünfteverfahren; jedoch keine Berücksichtigung in den Fällen des § 17 Abs. 2 Satz 6 EStG

22.3.1 Anteile i.S.d. § 20 Abs. 2 EStG

22.18

Wie das vorstehende Schaubild zeigt, unterliegen Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen im Umfang von weniger als 1 % bei einem Erwerb nach dem 31.12.2008 - unabhängig von der Haltedauer - der Abgeltungsteuer von 25 % zuzüglich Solidaritätszuschlag. Entsteht bei der Veräußerung ein Verlust, so ist dieser grundsätzlich steuerlich zu erfassen, unterliegt aber der Verlustverrechnungsbeschränkung des § 20 Abs. 6 EStG. Danach dürfen Verluste aus Kapitalvermögen nicht mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen werden und auch nicht nach § 10d EStG abgezogen werden. Die Verluste mindern jedoch nach § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG die Einkünfte, die der Steuerpflichtige in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus Kapitalvermögen erzielt; nach § 20 Abs. 6 Satz 3 EStG ist § 10d Abs. 4 EStG sinngemäß anzuwenden.

22.19

Verluste, die bei der Veräußerung von Aktien entstehen, dürfen nach § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG nur mit Gewinnen aus Kapitalvermögen i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG, die aus der Veräußerung von Aktien entstehen, ausgeglichen werden. Dabei gelten die Sätze 2 und 3 des § 20 Abs. 6 EStG sinngemäß.

22.20

Verluste aus einer entschädigungslosen Depotausbuchung von Aktien z.B. aufgrund einer Insolvenz oder Liquidation unterliegen dagegen - nach der Änderung durch das JStG 20203) - ab dem Veranlagungszeitraum 2020 der verschärften Verlustverrechnungsbeschränkung in § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG. Danach dürfen solche Ausbuchungsverluste nur i.H.v. 20.000 € mit Einkünften aus Kapitalvermögen ausgeglichen werden; nicht verrechnete Verluste dürfen je Folgejahr auch nur bis 20.000 € mit Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden.4)

22.21

Hinweis

Nach § 17 Abs. 6 EStG gelten als Anteile i.S.v. § 17 EStG solche Anteile an Kapitalgesellschaften, an denen der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre nicht unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % beteiligt war, wenn

die Anteile aufgrund eines Einbringungsvorgangs i.S.d. UmwStG, bei dem nicht der gemeine Wert zum Ansatz kam, erworben wurden und

zum Einbringungszeitpunkt für die eingebrachten Anteile die Mindestquote nach § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG von 1 % erfüllt war oder die Anteile auf einer Sacheinlage i.S.d. § 20 Abs. 1 UmwStG beruhen.


3)

Jahressteuergesetz 2020 (JStG 2020) v. 21.12.2020, BGBl I, 3096.

4)

Vgl. dazu Schmidt/Levedag, EStG, 41. Aufl. 2022, § 20 Rdnr. 242 ff.; zur Kritik vgl. Jachmann-Michel, BB 2020, 727; Dahm/Hoffmann, DStR 2020, 81; Fuhrmann, NWB 2020, 150; Förster/von Cölln, DB 2021, 525; Förster/von Cölln/Lentz, DB 2020, 353; Ott, DStR 2020, 313; Geberth/Bartelt, DB 2019, 2604; Bron, BB 2020, 535.

22.3.2 Anteile i.S.v. § 17 EStG

22.3.2.1 Ermittlung des Veräußerungsgewinns

22.22

War der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre zu irgendeinem Zeitpunkt unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % an der Kapitalgesellschaft beteiligt, so wird ein Gewinn bzw. ein Verlust aus der Veräußerung von Anteilen an dieser Kapitalgesellschaft als Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach § 17 EStG erfasst. Die Besteuerung erfolgt nach § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. b) i.V.m. § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG stets nach dem Teileinkünfteverfahren. Nach § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG liegen keine außerordentlichen Einkünfte vor, so dass der nach Anwendung des Teileinkünfteverfahrens verbleibende Veräußerungsgewinn keine weiteren Vergünstigungen nach § 34 EStG erfährt.

22.23

Auch der Erwerb eigener Anteile durch die Kapitalgesellschaft5) stellt aus der Sicht des Veräußerers nach dem BFH-Urteil vom 06.12.20176) ein Veräußerungsgeschäft i.S.d. § 17 EStG dar.7) Schließlich gilt nach § 17 Abs. 4 EStG als Veräußerung i.S.d. § 17 Abs. 1 EStG auch die Auflösung einer Kapitalgesellschaft. Dabei tritt nach § 17 Abs. 4 Satz 2 EStG an die Stelle des Veräußerungspreises der gemeine Wert des dem Steuerpflichtigen zugeteilten oder zurückgezahlten Vermögens der Kapitalgesellschaft. Die bis zur Auflösung der Kapitalgesellschaft thesaurierten Gewinne werden als Bezüge nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG beim Anteilseigner erfasst.

22.24

Im Gegensatz zur Besteuerung nach Zuflussgrundsätzen in den Fällen des § 20 Abs. 2 EStG wird der Veräußerungsgewinn bzw. -verlust nach § 17 Abs. 2 EStG als Gewinnermittlungsvorschrift eigener Art8) - bezogen auf den Stichtag der Veräußerung - wie folgt ermittelt:

Veräußerungspreis

zu 60 %

abzgl. Veräußerungskosten9)

zu 60 %

abzgl. Anschaffungskosten

zu 60 %

= Veräußerungsgewinn bzw. -verlust

Zur Verhinderung von missbräuchlichen Verlustnutzungen sieht § 17 Abs. 2 Satz 6 EStG für bestimmte Fälle des unentgeltlichen sowie des entgeltlichen Erwerbs ein Abzugsverbot vor, wonach Veräußerungsverluste endgültig nicht mehr nutzbar sind.

22.25

Wird ein variabler Kaufpreis im Rahmen einer "Earn-Out-Klausel" vereinbart, so sollen bei rein umsatz- und/oder gewinnabhängigen Kaufpreisanteilen10) nachträgliche Einkünfte nach § 24 Nr. 2 i.V.m. § 17 EStG (mit Anwendung des Teileinkünfteverfahrens) in den Zuflussjahren der variablen Kaufpreisanteile vorliegen.11) Hängt das Entstehen eines zusätzlichen Kaufpreises dagegen von der Erreichung bestimmter Erfolgsindikatoren ab, so führt das nachträgliche Entstehen des Kaufpreisanspruchs zu einem rückwirkenden Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, wenn der Rechtsgrund für die später zu leistenden Zahlungen bereits im ursprünglichen Rechtsgeschäft angelegt ist.12) Ein weiterer Kaufpreisbetrag wird somit rückwirkend im Jahr der Veräußerung erfasst, erhöht den steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn und unterliegt ebenfalls dem Teileinkünfteverfahren.

22.26

Bei einem etwaigen späteren Ausfall des vereinbarten Kaufpreises wird der Veräußerungsgewinn bzw. -verlust - ggf. bei bestandskräftigen Bescheiden nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO - rückwirkend geändert.13)

22.27

Die Mindestbeteiligungsquote in § 17 EStG von 1 % gilt nach dem Steuersenkungsgesetz14) mit Wirkung ab dem 01.01.2002 und wurde bereits zuvor durch das StEntlG 1999/2000/200215) rückwirkend zum 01.01.1999 von mehr als 25 % auf mindestens 10 % abgesenkt. Nach dem Beschluss des BVerfG vom 07.07.201016) verstößt die zum 01.01.1999 erfolgte Absenkung der Beteiligungsquote gegen den verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz und ist nichtig, soweit in einem Veräußerungsgewinn Wertsteigerungen erfasst werden, die bis zur Verkündung des StEntlG 1999/2000/2002 am 31.03.1999 entstanden sind und die bei einer Veräußerung nach Verkündung des Gesetzes sowohl zum Zeitpunkt der Verkündung als auch zum Zeitpunkt der Veräußerung nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei hätten realisiert werden können. Bis zur Höhe des gemeinen Werts der Anteile zum 31.03.1999 bleiben damit im Ergebnis die bis zur Absenkung der Beteiligungsgrenze entstandenen stillen Reserven auch bei einer späteren Veräußerung steuerfrei.

22.28

Die Verwaltung wendet diese Grundsätze des BVerfG in allen noch offenen Fällen - auch auf die weitere Absenkung der Beteiligungsgrenze auf 1 % - an. Ist der gemeine Wert zum 31.03.1999 nicht bekannt, so sieht das hierzu ergangene BMF-Schreiben vom 20.12.201017) eine Vereinfachungsregelung zur Ermittlung des gemeinen Werts vor. Da Wertsteigerungen nach der Entscheidung des BVerfG nur steuerbar sind, soweit sie nach dem 31.03.1999 entstanden sind, handelt es sich bei dem Stichtagswert um einen steuerbegründenden Umstand, für den die Feststellungslast nach dem Urteil des BFH vom 25.11.201018) beim Finanzamt liegt. Die Wertermittlung kann alternativ auch nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren gem. §§ 199 ff. BewG vorgenommen werden.19) In den Fällen der Absenkung auf 1 % ist nach dem BFH-Urteil vom 24.10.201220) der gemeine Wert zum 26.10.2000 (Tag der Verkündung des Steuersenkungsgesetzes) maßgebend und nicht etwa der gemeine Wert am Tag des Inkrafttretens am 01.01.2002.21)


5)

Vgl. dazu Schmidt/Levedag, EStG, 41. Aufl. 2022, § 17 Rdnr. 30; Ott, Stbg 2017, 340 m.w.N.

6)

Vgl. BFH, Urt. v. 06.12.2017 - IX R 7/17, BStBl II 2019, 213.

7)

So auch BMF-Schreiben v. 27.11.2013 - IV C 2 - S 2742/07/10009, BStBl I, 1615, wonach der Erwerb eigener Anteile aus Sicht der Kapitalgesellschaft als Kapitalherabsetzung behandelt wird, während auf der Gesellschafterebene ein Veräußerungsgeschäft vorliegt; gegen die Annahme einer Kapitalmaßnahme vgl. FG Münster, Urt. v. 13.10.2016 - 9 K 1087/14, K,G,F, EFG 2017, 423 (rkr.).

8)

So z.B. BFH, Urt. v. 02.10.1984 - VIII R 20/84, BStBl II 1985, 428.

9)

Zum Begriff und zu Beispielen vgl. nur Schmidt/Levedag, EStG, 41. Aufl. 2022, § 17 Rdnr. 148 f.

10)

Vgl. BFH, Urt. v. 14.05.2002 - VIII R 8/01, BStBl II, 532; vgl. auch Ettinger/Schmitz, GmbHR 2016, 966; ausführlich zu Earn-out-Klauseln vgl. Demuth, in: Ott, Beratungsschwerpunkte Unternehmenskauf, 2021, Rdnr. 11.78 ff.

11)

Vgl. BFH, Urt. v. 19.12.2018 - I R 71/16, BStBl II 2019, 493, zur Steuerfreistellung nach § 8b Abs. 2 KStG bei gewinn- und umsatzabhängigen Kaufpreisforderungen; vgl. auch Link, BB 2014, 554; Ettinger/Schmitz, GmbHR 2016, 966, jeweils unter Hinweis auf FG Münster, Urt. v. 29.08.2012 - 8 K 4732/10 E, StBW 2013, 56.

12)

Vgl. BFH, Urt. v. 23.05.2012 - IX R 32/11, BStBl II, 675; Ettinger/Schmitz, GmbHR 2016, 966.

13)

Vgl. BFH, Urt. v. 19.07.1993 - GrS 1/92, BStBl II, 894; BFH, Urt. v. 21.12.1993 - VIII R 69/88, BStBl II 1994, 648.

14)

Steuersenkungsgesetz v. 23.10.2000, BGBl I, 1433, verkündet am 26.10.2000.

15)

Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 v. 24.03.1999, BGBl I, 402, verkündet am 31.03.1999.

16)

BVerfG, Beschl. v. 07.07.2010 - 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BStBl II 2011, 86.

17)

BMF-Schreiben v. 20.12.2010 - IV C 6 - S 2244/10/10001, BStBl I 2011, 16; zu den Auswirkungen auf Einlagen und Einbringungen vgl. BMF-Schreiben v. 21.12.2011 - IV C 6 - S 2178/11/10001, BStBl I 2012, 42.

18)

Vgl. BFH, Urt. v. 25.11.2010 - IX R 47/10, DStR 2010, 620.

19)

Vgl. BMF-Schreiben v. 22.09.2011 - IV C 6 - S 2170/10/10001, BStBl I, 859, i.V.m. den gleichlautenden Erlassen der obersten Finanzbehörden der Länder v. 17.05.2011 - S 3715, BStBl I, 606 zu den §§ 199 - 203 BewG.

20)

Vgl. BFH, Urt. v. 24.10.2012 - IX R 36/11, BStBl II 2013, 164.

21)

So die h.M. im Schrifttum vgl. z.B. Kamps, Stbg 2010, 551; Förster, DB 2011, 259; Heuermann, DB 2011, 551; Söffing, BB 2011, 917; Schmidt/Renger, DStR 2011, 693; Milatz/Herbst, GmbHR 2011, 574.

22.3.2.2 Veränderungen von Anschaffungskosten

22.29

Bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns oder -verlusts werden sowohl etwaige Veräußerungskosten als auch die Anschaffungskosten berücksichtigt. Neben den historischen Anschaffungskosten (Kaufpreis beim entgeltlichen Erwerb, Kapitaleinzahlung bei Bargründung, Bewertungsansatz des eingebrachten Betriebsvermögens bzw. der eingebrachten Anteile bei Einbringungen nach den §§ 20 bzw. 21 UmwStG) können sich die Anschaffungskosten im Zeitablauf verändern. Nachträgliche (erhöhte) Anschaffungskosten ergeben sich z.B. durch22)

offene oder verdeckte Einlagen (z.B. Einzahlung von Barmitteln, Einlage von Wirtschaftsgütern);

disquotale Einlagen in die Kapitalrücklage;23)

Verzicht auf Forderungen in Höhe des werthaltigen Teils der Forderung24) bzw. Verzicht auf werthaltige Pensionsansprüche;25)

den versteuerten "Wegzugswert" im Ausland, höchstens den gemeinen Wert bei Zuzug nach Deutschland (§ 17 Abs. 2 Satz 3 EStG) oder den "Entnahmewert" bei vorausgegangener Entnahme aus dem Betriebsvermögen;

den versteuerten Einbringungsgewinn nach § 22 Abs. 1 Satz 4 bzw. Abs. 2 Satz 4 UmwStG.


22)

Vgl. nur Schmidt/Levedag, EStG, 41. Aufl. 2022, § 17 Rdnr. 175.

23)

Vgl. dazu Ott, DStR 2021, 897.

24)

Vgl. grundlegend dazu BFH, Beschl. v. 09.06.1997 - GrS 1/94, BStBl II 1998, 307; BFH, Urt. v. 20.04.2005 - X R 2/03, BStBl II, 694.

25)

Vgl. BFH, Urt. v. 15.10.1997 - I R 23/93, BFH/NV 1998, 826; BMF-Schreiben v. 14.08.2012 - IV C 2 - S 2743/10/10001:001, BStBl I, 874, zum Verzicht auf den Future-Service; Ott, DStR 2015, 2262.

22.3.2.3 Ausfall von Finanzierungshilfen des Anteilseigners

22.30

Nach dem BMF-Schreiben vom 21.10.201026) und den dort genannten vier Fallgruppen konnten unter bestimmten Voraussetzungen nachträgliche Anschaffungskosten auch beim Ausfall von Finanzierungshilfen (Ausfall von Gesellschafterdarlehen oder Inanspruchnahme des Anteilseigners aus Bürgschaften zugunsten der Kapitalgesellschaft) entstehen. Mit Urteil vom 11.07.201727) hat der BFH seine Rechtsprechung geändert und entschieden, dass ausgefallene Finanzierungshilfen für die Zeit nach dem Inkrafttreten des MoMiG am 01.11.200828) grundsätzlich nicht mehr zu nachträglichen Anschaffungskosten im Rahmen des § 17 EStG führen. Aus Vertrauensschutzgründen können jedoch die bisherigen Grundsätze weiter angewendet werden, wenn die Finanzierungshilfe bis zum 27.09.2017 geleistet wurde oder eigenkapitalersetzend geworden ist.

22.31

Zu den Auswirkungen der Rechtsprechungsänderung des BFH und zu dem vom BFH gewährten Vertrauensschutz hat die Finanzverwaltung mit dem BMF-Schreiben vom 05.04.201929) Stellung genommen und das BMF-Schreiben vom 21.10.201030) zur Behandlung nachträglicher Anschaffungskosten im Rahmen des § 17 Abs. 2 EStG weiterhin in allen offenen Fällen für anwendbar erklärt, bei denen auf die Behandlung des Darlehens bzw. der Bürgschaft die Vorschriften des MoMiG anzuwenden sind.

22.32

Mit dem Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (JStG 2019)31) wurde in einem neuen § 17 Abs. 2a EStG eine Definition nachträglicher Anschaffungskosten für Anteile an Kapitalgesellschaften i.S.d. § 17 EStG eingeführt. Die Regelung ist nach § 52 Abs. 25a EStG erstmals für Veräußerungen i.S.v. § 17 Abs. 1 EStG bzw. einer der Veräußerung gleichgestellten Vorgänge i.S.v. § 17 Abs. 4 oder 5 EStG (z.B. Auflösung der Kapitalgesellschaft) nach dem 31.07.2019 anzuwenden. Auf Antrag kann nach § 52 Abs. 25a EStG die Neuregelung des § 17 Abs. 2a EStG für Veräußerungen und gleichgestellte Fälle i.S.v. § 17 Abs. 1, 4 und 5 EStG auch rückwirkend vor dem 31.07.2019 zur Anwendung kommen.

22.33

Da der Antrag auf rückwirkende Anwendung weder form- noch fristgebunden ist, kann dieser bis zur Bestandskraft des entsprechenden Steuerbescheids z.B. während des finanzgerichtlichen Verfahrens nachgeholt oder umgekehrt auch wieder zurückgenommen werden.

22.34

Zwecks Ermittlung eines Veräußerungsgewinns bzw. -verlusts werden gem. § 17 Abs. 2a EStG (nachträgliche) Anschaffungskosten nunmehr wie folgt definiert:32)

"(2a) Anschaffungskosten sind die Aufwendungen, die geleistet werden, um die Anteile im Sinne des Absatzes 1 zu erwerben. Zu den Anschaffungskosten gehören auch die Nebenkosten sowie die nachträglichen Anschaffungskosten. Zu den nachträglichen Anschaffungskosten im Sinne des Satzes 2 gehören insbesondere

1.

offene oder verdeckte Einlagen,

2.

Darlehensverluste, soweit die Gewährung des Darlehens oder das Stehenlassen des Darlehens in der Krise der Gesellschaft gesellschaftsrechtlich veranlasst war, und

3.

Ausfälle von Bürgschaftsregressforderungen und vergleichbaren Forderungen, soweit die Hingabe oder das Stehenlassen der betreffenden Sicherheit gesellschaftsrechtlich veranlasst war.

Eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung liegt regelmäßig vor, wenn ein fremder Dritter das Darlehen oder Sicherungsmittel im Sinne der Nummern 2 oder 3 bei sonst gleichen Umständen zurückgefordert oder nicht gewährt hätte. Leistet der Steuerpflichtige über den Nennbetrag seiner Anteile hinaus Einzahlungen in das Kapital der Gesellschaft, sind die Einzahlungen bei der Ermittlung der Anschaffungskosten gleichmäßig auf seine gesamten Anteile einschließlich seiner im Rahmen von Kapitalerhöhungen erhaltenen neuen Anteile aufzuteilen."

22.35

Nunmehr definiert § 17 Abs. 2a EStG in Anlehnung an § 255 HGB eigenständig für die Fälle des § 17 EStG den Begriff der Anschaffungskosten, soweit Anteile an Kapitalgesellschaften i.S.v. § 17 EStG betroffen sind. Zwar weicht die Aussage, dass zu den Anschaffungskosten auch Anschaffungsnebenkosten (wie z.B. Notargebühren und Beratungskosten) und nachträgliche Anschaffungskosten gehören, nicht von der bisherigen Auslegung des Anschaffungskostenbegriffs ab. Neu ist aber, dass § 17 Abs. 2a Satz 3 EStG nunmehr den Begriff der nachträglichen Anschaffungskosten beispielhaft und in einer nicht abschließenden Aufzählung definiert. Damit hat der Gesetzgeber versucht, zur steuerlichen Behandlung des Ausfalls von Gesellschafterdarlehen und zur Inanspruchnahme aus Gesellschafterbürgschaften vor der Änderung der Rechtsprechung mit dem Grundsatzurteil vom 11.07.2017 zurückzukehren.


26)

Vgl. BMF-Schreiben v. 21.10.2010 - IV C 6 - S 2244/08/10001, BStBl I, 832; vor MoMiG vgl. BMF-Schreiben v. 08.06.1999 - IV C 2 - S 2244 - 12/99, BStBl I, 545.

27)

Vgl. BFH, Urt. v. 11.07.2017 - IX R 36/15, BStBl II 2019, 208; vgl. dazu z.B. Kahlert, DStR 2017, 2305; Förster/von Cölln, DB 2017, 2886; Ratschow, GmbHR 2017, 1204; Levedag, GmbHR 2017 R 326; Fuhrmann, NWB 2017, 4003; Ott, Stbg 2018, 17; Moritz/Strohm, DB 2018, 86.

28)

Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) v. 23.10.2008, BGBl I, 2016.

29)

Vgl. BMF-Schreiben v. 05.04.2019 - IV C 6 - S 2244/17/10001, BStBl I, 257; vgl. dazu Ott, Stbg 2019, 310; zur Kritik an der Vertrauensschutzregelung vgl. FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 18.04.2018 - 3 K 3138/15, EFG 2018, 1366, die in der Revisionsentscheidung des BFH, Urt. v. 02.07.2019 - IX R 13/18, BStBl II 2020, 89, zurückgewiesen wurde.

30)

Vgl. BMF-Schreiben v. 21.10.2010 - IV C 6 - S 2244/08/10001, BStBl I, 832; vor MoMiG vgl. BMF-Schreiben v. 08.06.1999 - IV C 2 - S 2244 - 12/99, BStBl I, 545.

31)

Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (JStG 2019) v. 12.12.2019, BGBl I, 2451.

32)

Umfassend zur Neuregelung des § 17 Abs. 2a EStG vgl. Ott, DStR 2020, 313; ders., DStZ 2020, 189; Jachmann-Michel, BB 2020, 727; Werth, FR 2020, 530; Krumm, FR 2020, 197; Trossen, GmbH-StB 2020, 307; Levedag, GmbHR, 2021, 14; ders., GmbHR 2020, 114; Ratschow, GmbHR 2020, 569; Förster/von Cölln, DB 2021, 525; Förster/von Cölln/Lentz, DB 2020, 353; Graw, DB 2020, 690; Fuhrmann, NWB 2020, 150; Kahlert, NWB 2020, 903; Demuth, KÖSDI 2020, 21771; Schmitt/Levedag, EStG, 41. Aufl. 2022, § 17 Rdnr. 171 ff.; Weber-Grellet, DB 2021, 91; Dorn, Ubg 2020, 450.

22.3.2.4 BMF-Schreiben vom 07.06.2022

22.3.2.4.1 Regelungsinhalt

22.36

Zur ertragsteuerlichen Behandlung von Gesellschafterdarlehen sowie zu Bürgschaftsregress- und vergleichbaren Forderungen liegt inzwischen das BMF-Schreiben vom 07.06.202233) vor, das auch zu dem komplexen Zusammenspiel von § 17 Abs. 2a EStG einerseits und § 20 Abs. 2 und Abs. 6 EStG und dem inzwischen ebenfalls geänderten § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b) EStG Stellung andererseits nimmt.

22.37

Die Ausführungen zum Umfang und zur Höhe der nachträglichen Anschaffungskosten i.S.d. § 17 Abs. 2a EStG nehmen im BMF-Schreiben vom 07.06.2022 mit den Rdnr. 1-1934) im Abschnitt I einen breiten Raum ein. Zu den nachträglichen Anschaffungskosten i.S.v. § 17 Abs. 2a Satz 3 Nr. 1 EStG gehören offene und verdeckte Einlagen. Nach Rdnr. 4 zählen dazu z.B.

Nachschüsse nach §§ 26 ff. GmbHG,

Barzuschüsse und sonstige Zuzahlungen i.S.v. § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB wie

-

Einzahlungen in die Kapitalrücklage und

-

"Einlagen in letzter Minute", die in zeitlicher Nähe zur Veräußerung der Beteiligung geleistet werden.

22.38

Im Einklang mit der Rechtsprechung des BFH führt nach Rdnr. 5 auch der Verzicht auf ein Gesellschafterdarlehen in Höhe des werthaltigen Teils zu einer verdeckten Einlage und damit zu nachträglichen Anschaffungskosten i.S.d. § 17 Abs. 2a Satz 3 EStG.35) Einer verdeckten Einlage in das Gesellschaftsvermögen wirtschaftlich vergleichbar ist nach Rdnr. 6 auch ein Rangrücktritt i.S.d. § 5 Abs. 2a EStG, der nur eine Tilgung aus künftigen (Liquidations-)Gewinnen, nicht aber aus dem sonstigen freien Vermögen vorsieht, wenn und soweit der die Ausbuchung auslösende Rangrücktritt nicht betrieblich, sondern durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst war und die entsprechenden Forderungen des Gläubigers noch werthaltig waren.36)

22.39

Zentraler Regelungsinhalt des § 17 Abs. 2a Satz 3 Nr. 2 und 3 EStG ist, dass unter bestimmten Voraussetzungen auch Darlehensverluste und Ausfälle von Bürgschaftsregressforderungen und vergleichbaren Forderungen ebenfalls (wieder) zu nachträglichen Anschaffungskosten der Beteiligung führen. Im Gegensatz zur früheren BFH-Rechtsprechung, die auf das Eigenkapitalersatzrecht abstellte, können nunmehr nachträgliche Anschaffungskosten im Anwendungsbereich von § 17 Abs. 2a EStG - abgesehen von der Mindestquote von 1 % und ansonsten unabhängig von einer Beteiligungsquote37) - (nur) berücksichtigt werden, soweit die Gewährung oder das Stehenlassen des Darlehens gesellschaftsrechtlich veranlasst war. Im Gegensatz zum Gesetzeswortlaut wird in Rdnr. 7 ausgeführt, dass Verluste aus Gesellschafterdarlehen nur dann zu berücksichtigen sind, wenn die Gewährung oder das Stehenlassen des Darlehens gesellschaftsrechtlich, d.h. durch das Gesellschaftsverhältnis, veranlasst war.

22.40

Die gesellschaftsrechtliche Veranlassung i.S.d. § 17 Abs. 2a Satz 4 EStG ist nach Rdnr. 8 danach zu beurteilen, ob die Gesellschaft unter den bestehenden Verhältnissen von einem fremden Dritten noch ein Darlehen zu marktüblichen Bedingungen erhalten hätte. Dabei führen nicht marktüblich vereinbarte Bedingungen (wie z.B. Zinslosigkeit) für sich allein noch nicht zur Annahme einer gesellschaftsrechtlichen Veranlassung. Nach Rdnr. 9 ist ein Darlehen vielmehr dann gesellschaftsrechtlich veranlasst, wenn im Zeitpunkt seiner Gewährung (so z.B. bei einem Krisendarlehen) oder Weitergewährung (so z.B. bei einem sog. stehengelassenen Darlehen) die Rückzahlung des Darlehens angesichts der finanziellen Situation der Gesellschaft in dem Maß gefährdet ist, dass ein ordentlicher Kaufmann das Risiko einer Darlehensgewährung zu denselben Bedingungen wie der Gesellschafter nicht mehr eingegangen wäre (sog. Krise). Unabhängig von einer tatsächlichen Krise wird nach Rdnr. 9 bei krisenbestimmten Darlehen und Finanzplandarlehen stets eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung angenommen.

22.41

Bei fehlender gesellschaftsrechtlicher Veranlassung kommt nach Rdnr. 10 eine Berücksichtigung als nachträgliche Anschaffungskosten i.S.d. § 17 Abs. 2a EStG nicht in Betracht. Allerdings ist dann insoweit eine steuerliche Berücksichtigung des Darlehensverlusts im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen unter den dortigen Voraussetzungen möglich. Davon ausgenommen sind nach Rdnr. 10 i.V.m. Rdnr. 5 und 6 der Verzicht auf ein Gesellschafterdarlehen und der Rangrückrücktritt i.S.d. § 5 Abs. 2a EStG, soweit diese als verdeckte Einlagen anzusehen sind.


33)

Vgl. BMF-Schreiben v. 07.06.2022 - IV C 6 - S 2244/20/10001 :001, BStBl I, 897; vgl. dazu Ott, DStZ 2022, 580; ders., StuB 2022, 561; Trossen, GmbH-StB 2022, 283.

34)

Die im Folgenden angegebenen Randnummern beziehen sich jeweils auf das BMF-Schreiben v. 07.06.2022.

35)

Vgl. BFH, Beschl. v. 09.06.1997 - GrS 1/94, BStBl II 1998, 307.

36)

Vgl. BFH, Urt. v. 11.07.2017 - IX R 6/15, BStBl II 2019, 208; BFH, Urt. v. 15.04.2015 - I R 44/14, BStBl II, 769; BFH, Urt. v. 30.11.2021 - I R 100/10, BStBl II 2022, 332.

37)

Erfasst werden auch Darlehensverluste, wenn die Gesellschafter unter das Kleinanlegerprivileg des § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 i.V.m. Abs. 5 InsO fallen oder nach dem sog. Sanierungsprivileg gem. § 39 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. Abs. 4 InsO nicht dem Nachranggebot unterliegen.

22.3.2.4.2 Höhe der nachträglichen Anschaffungskosten

22.42

§ 17 Abs. 2a EStG trifft keine Aussage zur Höhe der nachträglichen Anschaffungskosten. Für den Darlehensausfall und den Darlehensverzicht wird diese Lücke nun durch das BMF-Schreiben vom 07.06.2022 in den Rdnr. 11 ff. ausgefüllt. Im Anschluss an das frühere BMF-Schreiben vom 21.10.201038) werden die bereits in der Vergangenheit bekannten vier Fallgruppen der Krisendarlehen, krisenbestimmten Darlehen, Finanzplandarlehen und stehengelassenen Darlehen unterschieden:

22.43

Bei Hingabe des Darlehens in der Krise sowie bei einem Verzicht in der Krise ergeben sich nach Rdnr. 11 nachträgliche Anschaffungskosten i.S.d. § 17 Abs. 2a Satz 3 EStG in Höhe des Nennwerts. Entsprechendes gilt bei einem krisenbestimmten Darlehen, bei dem nach Rdnr. 12 der Gesellschafter schon vor Eintritt der Krise mit bindender Wirkung gegenüber der Gesellschaft oder den Gesellschaftsgläubigern (z.B. durch Rangrücktritt) erklärt, dass er das Darlehen auch im Fall einer Krise stehenlassen werde, sowie bei einem Finanzplandarlehen. Ein Finanzplandarlehen ist nach Rdnr. 14 ein Darlehen, dass von vornherein in die Finanzplanung der Gesellschaft in der Weise einbezogen wird, dass die zur Aufnahme der Geschäfte erforderliche Kapitalausstattung der Gesellschaft krisenunabhängig durch eine Kombination von Eigen- und Fremdfinanzierung erreicht werden soll.

Beispiel

A, der an der A-GmbH als Gründungsgesellschafter mit nominal 40.000 € beteiligt ist, hat dieser im Jahr 2015 ein Gesellschafterdarlehen i.H.v. 500.000 € gewährt, nachdem die A-GmbH in eine wirtschaftliche Krise geraten ist. Eine Tilgung des Darlehens erfolgt nicht. Im Jahr 2021 wird bei der A-GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet, das im Jahr 2022 mit der Löschung der A-GmbH und ohne Auszahlung bzw. Darlehensrückzahlung an die Gesellschafter beendet wird.

Lösung

Neben der verlorenen Stammeinlage i.H.v. 40.000 € (= Anschaffungskosten) kann A sein ausgefallenes Gesellschafterdarlehen i.H.v. 500.000 € (= nachträgliche Anschaffungskosten i.S.d. § 17 Abs. 2a Satz 3 Nr. 2 EStG) im Rahmen des § 17 Abs. 4 EStG als Auflösungsverlust geltend machen. Der Auflösungsverlust i.H.v. 540.000 €, der dem Teileinkünfteverfahren unterliegt, kann steuerlich somit zu 60 % = 324.000 € berücksichtigt werden.

22.44

Die vollständige Berücksichtigung des Darlehensverlusts gem. § 17 Abs. 2a EStG in den vorstehend genannten Fällen bewirkt gleichzeitig, dass nach der in § 20 Abs. 8 EStG normierten Subsidiarität des § 20 EStG die vorrangige Anwendung des § 17 EStG greift. Nach zutreffender Verwaltungsansicht in Rdnr. 11 und 15 ist eine Berücksichtigung des Darlehensverlusts im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen daher nicht möglich.


38)

Vgl. BMF-Schreiben v. 21.10.2010 - IV C 6 - S 2244/17/10001, BStBl I, 832.

22.3.2.4.3 Stehengelassene Darlehen - Ausfall und Verzicht

22.45

Eine Sonderstellung nimmt - wie vor der Rechtsprechungsänderung - ein stehengelassenes Darlehen ein, das nach Rdnr. 16 dann vorliegt, wenn der Gesellschafter ein vor der Krise gewährtes Darlehen bei Eintritt der Krise stehenlässt, obwohl er es hätte abziehen können, und es angesichts der veränderten finanziellen Situation der Gesellschaft absehbar war, dass die Rückzahlung gefährdet sein wird. Der Verlust eines solchen Darlehens führt nämlich nach Rdnr. 17 nur in Höhe des im Zeitpunkt des Eintritts der Krise noch werthaltigen Teils des Darlehens zu nachträglichen Anschaffungskosten i.S.v. § 17 Abs. 2a Satz 3 Nr. 2 EStG. Der zu diesem Zeitpunkt nicht mehr werthaltige Teil des stehengelassenen Darlehens kann dann nur im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen unter den dortigen Voraussetzungen berücksichtigt werden.

Beispiel

A, der zu 100 % an der A-GmbH (Stammkapital 25.000 €) beteiligte Gründungsgesellschafter, hat dieser im Jahr 2015 ein fremdüblich vereinbartes Darlehen i.H.v. 500.000 € gewährt. Im Jahr 2021 gerät die A-GmbH in die Krise. A lässt das Darlehen, das bei Kriseneintritt nur noch zu 20 % (= 100.000 €) werthaltig ist, stehen. Die A-GmbH wird im Jahr 2022 insolvenzfrei liquidiert. Es erfolgt jedoch weder eine Rückzahlung des eingezahlten Stammkapitals noch des Darlehens.

Lösung

Das Stehenlassen in der Krise bewirkt, dass im Hinblick auf das Darlehen eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung vorliegt. Nur der im Zeitpunkt des Kriseneintritts im Jahr 2021 noch werthaltige Teil der Darlehensforderung i.H.v. 100.000 € führt als Darlehensverlust zu nachträglichen Anschaffungskosten i.S.v. § 17 Abs. 2a Satz 3 Nr. 2 EStG und kann im Rahmen der Ermittlung des Auflösungsergebnisses gem. § 17 Abs. 4 EStG berücksichtigt werden. Dagegen kann der im Zeitpunkt des Kriseneintritts nicht mehr werthaltige Teil von 400.000 € zum Verlustzeitpunkt im Jahr 2022 bei den Einkünften aus Kapitalvermögen unter den dortigen Voraussetzungen berücksichtigt werden. Da die Darlehenshingabe vor dem 01.01.2021 erfolgt ist, kann der unter § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 7 EStG fallende Verlust uneingeschränkt mit anderen positiven Einkünften verrechnet werden, weil A zu mindestens 10 % an der A-GmbH beteiligt ist. Die geänderte Fassung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b) EStG und damit die Begrenzung der Verlustverrechnung nach § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG greift nach § 52 Abs. 25a EStG für das Jahr 2022 (noch) nicht.

Im Rahmen der Liquidation im Jahr 2022 ergibt sich für A folgender Auflösungsverlust nach § 17 Abs. 4 EStG :

Rückzahlung Stammkapital

0 €

Anschaffungskosten

-25.000 €

nachträgliche Anschaffungskosten

-100.000 €

Verlust nach § 17 Abs. 4 EStG

-125.000 €

Nach dem Teileinkünfteverfahren kann A diesen Verlust i.H.v. 60 % = 75.000 € mit anderen Einkünften verrechnen.

22.46

Mit der in Rdnr. 17 vertretenen Ansicht zur Höhe der nachträglichen Anschaffungskosten hat sich die Finanzverwaltung wohl den Grundsätzen der BFH-Rechtsprechung im Urteil vom 27.10.202039) sowie der Auffassung des FG Berlin-Brandenburg im Urteil vom 04.06.202140) sowie einem Teil der Literatur angeschlossen41) und ist der im Schrifttum vertretenen Gegenansicht nicht gefolgt, die auch bei einem stehengelassenen Darlehen als nachträgliche Anschaffungskosten einen Ansatz mit dem Nennwert befürwortet. Nach dieser Gegenansicht wird nämlich bei einem Stehenlassen ab dem Kriseneintritt die Verstrickung des Darlehens mit § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG gelöst, und das Darlehen wird in den Anwendungsbereich des § 17 EStG hineingezogen.42) Im Übrigen wird beim Ausfall eines stehengelassenen Darlehens nur dann eine Gleichbehandlung von Eigen- und Fremdkapitalfinanzierung sichergestellt, wenn der Darlehensnennbetrag als nachträgliche Anschaffungskosten i.S.v. § 17 Abs. 2a EStG erfasst wird.43) Zur weiteren Klärung hat das FG Berlin-Brandenburg die Revision beim BFH wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, so dass insoweit die weitere Entwicklung abzuwarten bleibt.

22.47

Verzichtet der Darlehensgeber auf ein stehengelassenes Darlehen, so verlangt Rdnr. 18 zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten - nämlich zum Zeitpunkt des Kriseneintritts und zum Zeitpunkt des Verzichts - eine Feststellung des gemeinen Werts der Darlehensforderung. Die Wertfeststellung im Zeitpunkt des Kriseneintritts hat folgende Auswirkungen:

Der noch werthaltige Teil des stehengelassenen Darlehens führt zu nachträglichen Anschaffungskosten i.S.v. § 17 Abs. 2a Satz 3 Nr. 2 EStG.

Dagegen kann der zu diesem Zeitpunkt nicht mehr werthaltige Teil des stehengelassenen Darlehens nur im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen unter den dortigen Voraussetzungen berücksichtigt werden.44)

22.48

Die im Zeitpunkt des Kriseneintritts vorzunehmende Wertfeststellung entscheidet darüber, welcher Teil des Darlehens unter § 17 Abs. 2a bzw. unter § 20 EStG fällt. Der unter § 20 EStG fallende Teil wird spätestens ab dem Veranlagungszeitraum 2024 von der "Verlustverrechnungsfalle" des § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG erfasst und darf jährlich nur bis zu 20.000 € mit positiven Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden, während der unter § 17 Abs. 2a EStG fallende Teil nach dem Teileinkünfteverfahren zu 60 % berücksichtigt werden kann. Die weitere Wertfeststellung im Zeitpunkt des Verzichts dient dazu, den noch werthaltigen Teil des Darlehens als verdeckte Einlage den nachträglichen Anschaffungskosten i.S.v. § 17 Abs. 2a Satz 3 Nr. 1 EStG zuzuordnen, während der nicht mehr werthaltige Teil einen Darlehensverlust i.S.v. § 17 Abs. 2a Satz 3 Nr. 2 EStG darstellt. Vielfach wird der Wert des stehengelassenen Darlehens bereits zum Zeitpunkt des Kriseneintritts erheblich unter dem Nennwert bzw. im Einzelfall sogar bei 0 € liegen, so dass für nachträgliche Anschaffungskosten i.S.d. § 17 Abs. 2a EStG regelmäßig wenig Raum verbleibt.

Beispiel

A, der Alleingesellschafter der A-GmbH, hat dieser im Jahr 2015 ein fremdüblich vereinbartes Darlehen i.H.v. 500.000 € gewährt. Die A-GmbH gerät im Jahr 2021 in die Krise. A lässt das Darlehen, das bei Kriseneintritt nur noch zu 50 % (= 250.000 €) werthaltig ist, stehen. Im Jahr 2022 verzichtet A auf die gesamte Darlehensforderung, die zu diesem Zeitpunkt nur noch zu 20 % (= 100.000 €) werthaltig ist. A veräußert im Jahr 2024 seinen gesamten Anteil an der A-GmbH.

Lösung

Das Stehenlassen des Darlehens in der Krise bewirkt eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung der Darlehensgewährung. Der zum Eintritt der Krise nicht mehr werthaltige Teil der Darlehensforderung i.H.v. 250.000 € kann im Verzichtszeitpunkt (also im Jahr 2022) grundsätzlich bei den Einkünften aus Kapitalvermögen unter den dortigen Voraussetzungen berücksichtigt werden. Der im Zeitpunkt des Verzichts im Jahr 2022 noch werthaltige Teil der Darlehensforderung i.H.v. 100.000 € ist (erst) im Zeitpunkt der Veräußerung des Geschäftsanteils im Jahr 2024 als verdeckte Einlage und damit als nachträgliche Anschaffungskosten nach § 17 Abs. 2a Satz 3 Nr. 1 EStG zu berücksichtigen. Der zum Verzichtszeitpunkt nicht mehr werthaltige Teil der Darlehensforderung i.H.v. 150.000 € (250.000 € abzgl. 100.000 €) ist ebenfalls erst im Veranlagungszeitraum 2024 als Darlehensverlust nach § 17 Abs. 2a Satz 3 Nr. 2 EStG zu berücksichtigen.


39)

Vgl. BFH, Urt. v. 27.10.2020 - IX R 5/20, BStBl II, 490; so jedenfalls Trossen, GmbH-StB 2022, 283, 285.

40)

Vgl. FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 04.06.2021 - 5 K 5188/19, EFG 2022, 160; die Revision ist anhängig beim BFH unter dem Az. IX R 21/21.

41)

Vgl. z.B. Weber-Grellet, DB 2021, 81; Förster/von Cölln, DB 2021, 525; Jachmann-Michel, BB 2020, 727; Werth, FR 2020, 530; Krumm, FR 2020, 197; Kubik/Münch, BB 2020, 1093; wohl auch Ratschow, GmbHR 2020, 569.

42)

Vgl. Schmidt/Levedag, EStG, 41. Aufl. 2022, § 17 Rdnr. 190 i.V.m. § 20 EStG Rdnr. 259; ders., GmbHR 2021, 14, 19f, unter Hinweis auf BFH, Urt. v. 29.11.2017 - X R 8/16, BStBl II 2018, 426.

43)

Vgl. Schmidt/Levedag, EStG, 41. Aufl. 2022, § 17 Rdnr. 190 i.V.m. § 20 EStG Rdnr. 259; ders., GmbHR 2021, 14, 20; Demuth, KÖSDI 2020, 21771, 21777; Ott, DStR 2020, 313, 317.

44)

So auch FG Düsseldorf, Urt. v. 11.11.2021 - 14 K 2330/19 E, EFG 2022, 394.

22.3.2.4.4 Veräußerung einer gesellschaftsrechtlich veranlassten Darlehensforderung

22.48a

Ergibt sich bei der Veräußerung einer Darlehensforderung ein Verlust, ist wie folgt zu differenzieren: Während bei einer nicht gesellschaftsrechtlich veranlassten Darlehensgewährung nachträgliche Anschaffungskosten nach § 17 Abs. 2a EStG bereits tatbestandlich nicht berücksichtigt werden können, führt nach Rdnr. 19 die verlustbringende Veräußerung einer gesellschaftsrechtlich veranlassten Darlehensforderung an die Gesellschaft oder einen Dritten - ohne nähere Begründung - ebenfalls nicht zu nachträglichen Anschaffungskosten i.S.v. § 17 Abs. 2a EStG, soweit keine verdeckte Einlage vorliegt. Eine verdeckte Einlage kann sich indes nur bei der Veräußerung der Darlehensforderung an die Gesellschaft ergeben, nicht jedoch bei einer Veräußerung an einen Dritten. Die Frage, ob von § 17 Abs. 2a Satz 3 Nr. 2 EStG auch ein Verlust aus der Veräußerung der Darlehensforderung erfasst wird, ist derzeit von der Finanzrechtsprechung noch nicht geklärt.

22.48b

Die Folge der Verwaltungsauffassung ist, dass der Verlust aus der Veräußerung einer Darlehensforderung nur im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 2 EStG berücksichtigt werden kann. Das führt spätestens ab dem Veranlagungszeitraum 2024 zur Anwendung der Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG. Von § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG werden u.a. Verluste aus der Übertragung von wertlosen Wirtschaftsgütern i.S.d. § 20 Abs. 1 EStG (wozu auch Kapitalforderungen gehören) erfasst. Vom Gesetzeswortlaut nicht erfasst werden dagegen Verluste aus der Veräußerung von noch teilweise werthaltigen Kapitalforderungen, so dass zumindest ein betragsmäßig nicht beschränkter Verlustausgleich mit anderen Einkünften aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG möglich wäre.

Beispiel

A, der Alleingesellschafter der A-GmbH, hat dieser im Jahr 2017 ein fremdüblich vereinbartes, aber krisenbestimmtes Darlehen i.H.v. 500.000 € gewährt. Die A-GmbH gerät im Jahr 2022 in die Krise und A veräußert im selben Jahr das Darlehen, das bei Kriseneintritt nur noch zu 40 % (= 200.000 €) werthaltig ist, zum Kaufpreis von a) 200.000 € an einen Dritten bzw. b) von 10.000 € an die A-GmbH.

Lösung zu a)

Der Verlust aus der Veräußerung der Darlehensforderung an den Dritten i.H.v. 300.000 € führt nicht zu nachträglichen Anschaffungskosten i.S.v. § 17 Abs. 2a Satz 3 Nr. 2 EStG, sondern kann im Jahr 2022 nur im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen unter den dort genannten Voraussetzungen berücksichtigt werden.

Lösung zu b)

Die Veräußerung der Darlehensforderung an die A-GmbH führt zu einem Verlust i.H.v. 490.000 €. In Höhe der Differenz zwischen dem werthaltigen Teil der Forderung von 200.000 € und dem Kaufpreis von 10.000 € (= 190.000 €) liegt eine verdeckte Einlage vor, die als nachträgliche Anschaffungskosten nach § 17 Abs. 2a Satz 3 Nr. 1 EStG (erst) berücksichtigt werden kann, wenn ein Realisationstatbestand i.S.v. § 17 EStG verwirklicht wird. Der verbleibende Verlust i.H.v. 300.000 € kann dagegen bereits im Jahr 2022 nur im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen unter den dort genannten Voraussetzungen berücksichtigt werden.

22.3.2.4.5 Ausfälle von Bürgschaftsregress- und vergleichbaren Forderungen

22.48c

Das BMF-Schreiben vom 07.06.2022 äußert sich leider nur rudimentär zur Behandlung von ausgefallenen Bürgschaftsregressforderungen und vergleichbaren Forderungen und verweist in Rdnr. 20 diesbezüglich auf die sinngemäße Anwendung der Ausführungen zu den ausgefallenen Darlehensforderungen. Offen bleiben daher z.B. die Fragen, ob ggf. eine ausgefallene Bürgschaftsregressforderung bei einer stehengelassenen Bürgschaft als sonstige Kapitalforderung i.S.v. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG angesehen werden kann und was unter einer vergleichbaren Forderung zu verstehen ist. Zu letzterer Frage wird im Schrifttum darauf hingewiesen, dass zu den vergleichbaren Forderungen z.B. Ansprüche aus Patronatsverpflichtungen oder aus Abtretungen infolge von Schuldbeitritten zählen.45) Schließlich fehlen auch Ausführungen zu der Frage, zu welchem Zeitpunkt und nach welchen Kriterien in den vorgenannten Fällen die Einkunftserzielungsabsicht bei den vorstehend genannten Forderungen zu prüfen ist.


45)

Vgl. Trossen, GmbH-StB 2022, 283, 286; Graw, DB 2020, 690, 694.

22.3.2.4.6 Berücksichtigung von Darlehensverlusten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen

22.48d

Zur Berücksichtigung von Darlehensverlusten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 und Satz 2 EStG 46) enthält das BMF-Schreiben vom 07.06.2022 in Abschnitt III folgende Klarstellungen:

Nach Rdnr. 21 kommt § 20 Abs. 2 EStG gem. § 20 Abs. 8 EStG nur zur Anwendung, soweit der Darlehensverlust nicht nach dem vorrangig anzuwendenden § 17 EStG zu berücksichtigen ist.

Nach Rdnr. 22 setzt die Berücksichtigung des Verlusts aus dem Ausfall einer Darlehensforderung nach § 20 Abs. 2 EStG eine Einkunftserzielungsabsicht voraus, d.h., das Darlehen muss in der Absicht gewährt werden, positive Einkünfte zu erzielen.

Schließlich muss nach Rdnr. 26 die rechtliche Grundlage durch Darlehensgewährung oder durch Erwerb der Darlehensforderung nach dem 31.12.2008 (also seit Einführung der Abgeltungsteuer) begründet worden sein.47) Eine Darlehensgewährung vor dem 01.01.2009 führt nicht zu einem berücksichtigungsfähigen Kapitalverlust nach § 20 Abs. 2 EStG.

22.48e

Ein zentraler Prüfungspunkt bei der Berücksichtigung von Darlehensverlusten nach § 20 Abs. 2 ESG wird künftig der Nachweis darüber sein, dass eine Einkunftserzielungsabsicht vorgelegen hat. Infolge des beschränkten und pauschalierten Werbungsabzugsverbots bei den Einkünften aus Kapitalvermögen ist regelmäßig von einer (widerlegbaren) Einkunftserzielungsabsicht auszugehen.48) Wichtig ist der Hinweis in Rdnr. 22, dass allein die Unverzinslichkeit einer Darlehensforderung eines Gesellschafters nicht dazu führt, dass keine Einkunftserzielungsabsicht vorliegt, weil diese sich auch aus anderen Vorteilen (z.B. Wertsteigerung des Anteils an der Gesellschaft, Erzielung eines Geschäftsführergehalts) ergeben kann. Von einer fehlenden Einkunftserzielungsabsicht ist nur dann auszugehen, wenn die Erzielung von positiven Einkünften im Zusammenhang mit der Darlehensgewährung insgesamt unmöglich ist. Das BMF-Schreiben vom 07.06.2022 äußert sich leider nicht zu der wichtigen Frage, wann eine solche Unmöglichkeit vorliegt.

Beispiel

A hat als Gesellschafter der A-GmbH dieser im Jahr 2019 ein in vier Jahren endfälliges Darlehen i.H.v. 100.000 € gewährt und hierfür in den Jahren 2019 und 2020 angemessene Zinsen erhalten. Aufgrund einer Krise erhöht A im Dezember 2020 sein Darlehen um weitere 200.000 €. Ab dem Jahr 2021 werden weder Zinsen noch Tilgungsleistungen erbracht. Seit dem Jahr 2020 weist die A-GmbH in ihren Bilanzen einen jährlich ansteigenden Eigenkapitalfehlbetrag aus (bilanzielle Überschuldung). A veräußert im Jahr 2022 das gesamte Darlehen im Nennwert von 300.000 € zum Preis von 3.000 € an seine Ehefrau.

Lösung

Während aufgrund der Zinszahlungen in den Jahren 2019 und 2020 die Einkunftserzielungsabsicht für das im Jahr 2019 gewährte Darlehen zu bejahen ist, könnte das Finanzamt die Einkunftserzielungsabsicht für das im Dezember 2020 aufgestockte Darlehen mit dem Argument verneinen, dass bereits zu diesem Zeitpunkt aufgrund der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft (bilanzielle Überschuldung) ungewiss ist, ob es zu einer vollständigen Rückzahlung des Darlehens oder gar zu einer Zinszahlung kommen wird. Eine Darlehensgewährung in einer solchen Krisensituation führt zu einer typischerweise gesellschaftsrechtlichen Veranlassung. In einem vergleichbaren Fall hat das FG Düsseldorf entschieden, dass die Einkunftserzielungsabsicht insoweit widerlegt ist.49)

Die Folge der fehlenden Einkunftserzielungsabsicht wäre, dass der Verlust aus der Veräußerung des Darlehens im Jahr 2022 nur im Hinblick auf das im Jahr 2019 gewährte Darlehen von 100.000 € (anteiliger Kaufpreis von 1.000 € abzgl. Nennwert von 100.000 € = Verlust von 99.000 €) nach § 20 Abs. 2 EStG berücksichtigt werden kann. Dagegen kann der Verlust aus der Veräußerung des im Dezember 2020 aufgestockten Teils des Darlehens von 198.000 € (anteiliger Kaufpreis von 2.000 € abzgl. Nennwert von 200.000 €) wegen fehlender Einkunftserzielungsabsicht nicht berücksichtigt werden. Ob jedoch aus der bilanziellen Situation der Gesellschaft tatsächlich Rückschlüsse auf die Einkunftserzielungsabsicht beim Gesellschafter gezogen werden können, erscheint zumindest fraglich, weil grundsätzlich Zinszahlungen trotz einer bilanziellen Überschuldung geleistet werden können.

22.48f

Im vorstehenden Bespiel ist eine Darlehensgewährung in der Krise regelmäßig gesellschaftsrechtlich veranlasst und führt bei einer Beteiligung von mindestens 1 % zu nachträglichen Anschaffungskosten nach dem ohnehin vorrangig anzuwendenden § 17 Abs. 2a Satz 3 Nr. 2 EStG. Eine Berücksichtigung nach § 17 Abs. 2a EStG kommt aber erst dann in Betracht, wenn die Beteiligung an der A-GmbH veräußert wird oder die Anteile an der A-GmbH im Zuge einer Liquidation oder insolvenzbedingt untergehen. Die spätere Berücksichtigung nach § 17 Abs. 2a EStG hilft indes nicht in den Fällen, in denen die Darlehensforderung bereits in einem Jahr vor der Veräußerung bzw. dem Untergang der Gesellschaftsanteile erfolgt. Die Veräußerung einer (gesellschaftsrechtlich veranlassten) Darlehensforderung führt nämlich nach Rdnr. 19 nicht zu nachträglichen Anschaffungskosten i.S.d. § 17 Abs. 2a EStG, soweit nicht - ausnahmsweise - in einem solchen Fall eine (verdeckte) Einlage vorliegt.

22.48g

Von besonderer Bedeutung für die Praxis ist die Aussage in Rdnr. 23, wonach eine erneute Prüfung der Einkunftserzielungsabsicht im Zeitpunkt des Kriseneintritts nicht mehr vorzunehmen ist, wenn diese im Zeitpunkt der Darlehensgewährung vorgelegen hat. Dies gilt insbesondere bei einem stehengelassenen Darlehen für den bei Eintritt der Krise wertlosen Teil eines ursprünglich fremdüblich gewährten Darlehens.

22.48h

Das BMF-Schreiben vom 07.06.2022 enthält leider keine Ausführungen zu der Frage, ob und ggf. zu welchem Zeitpunkt bzw. nach welchen Kriterien beim Ausfall einer Bürgschaftsregressforderung oder einer vergleichbaren Forderung die Einkunftserzielungsabsicht zu prüfen ist, soweit die Anwendung von § 17 Abs. 2a EStG mangels einer gesellschaftsrechtlichen Veranlassung ausgeschlossen ist. Der Ausfall der Bürgschaftsregressforderung kann bei vorhandener Einkunftserzielungsabsicht grundsätzlich nach § 20 Abs. 2 EStG berücksichtigt werden.50) Die steuerliche Berücksichtigung nach § 20 Abs. 2 EStG setzt indes voraus, dass eine Einkünfteerzielungsabsicht vorliegt.51) Während das FG Münster im Urteil vom 03.11.202152) davon ausgeht, dass hierfür z.B. eine fremdüblich vereinbarte Bürgschaftsprovision ausreichen kann, hat das FG Düsseldorf im Urteil vom 11.11.202153) zutreffend ausgeführt, der Gesellschafter werde bereits mit der Übernahme der Bürgschaft aufschiebend bedingt durch die Befriedigung des Gläubigers Inhaber der Darlehensforderung, so dass es für die Frage der (vermuteten) Einkunftserzielungsabsicht - unabhängig von einer Bürgschaftsprovision - bei wertender Betrachtung auf den Zeitpunkt der Hingabe der Bürgschaft ankommt. Daraus folgt, dass bei Bürgschaften, wie auch bei ausgefallenen Darlehen, eine Einkunftserzielungsabsicht widerlegbar zu vermuten ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn im Zeitpunkt der Hingabe der Bürgschaft keine Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass der Gesellschafter von der Inanspruchnahme und der Wertlosigkeit seines Rückgriffsanspruchs ausgehen konnte.

22.48i

Eine andere Frage ist, ob der Verlust aus dem endgültigen Ausfall einer Bürgschaftsregressforderung nach der geänderten Fassung des § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) EStG bei einem zu mindestens 10 % beteiligten Gesellschafter zu einem Ausschluss aus der Abgeltungsteuer führt und damit von der Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG erfasst wird. Der Eintritt einer solchen Rechtsfolge deutet sich im Urteil des FG Düsseldorf vom 11.11.202154) an.

22.48j

Ein Darlehensverlust kann nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i.V.m. Satz 2 und Abs. 4 EStG nur berücksichtigt werden, wenn die Darlehensforderung endgültig ausfällt und der Steuerpflichtige für den nicht werthaltigen Teil Anschaffungskosten getragen hat. Während solche Anschaffungskosten bei einer Darlehensgewährung durch den Steuerpflichtigen stets vorliegen, ist dies nach Auffassung des BFH55) bei einem teilentgeltlichen Forderungserwerb zu einem Preis unter dem Nennwert nicht unbedingt der Fall. Damit ein endgültiger Forderungsausfall vorliegt, muss nach Rdnr. 24 feststehen, dass keine Rückzahlung mehr stattfinden wird.56) Nicht ausreichend hierfür ist i.d.R. die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners. Ein endgültiger Forderungsausfall liegt aber dann vor, wenn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist, aus anderen Gründen feststeht, dass keine Rückzahlung mehr stattfinden wird,57) oder bei Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Schuldners der Insolvenzverwalter gegenüber dem Insolvenzgericht die Masseunzulänglichkeit gem. § 208 Abs. 1 Satz 1 InsO angezeigt hat.58) Der Verlust wird in dem Veranlagungszeitraum realisiert, in dem seine Höhe endgültig feststeht.

22.48k

Wird auf eine nicht werthaltige Darlehensforderung verzichtet, so steht dies nach Rdnr. 25 einem Forderungsausfall gleich und führt nach § 20 Abs. 2 EStG zu einem steuerlich anzuerkennenden Veräußerungsverlust, wenn der Steuerpflichtige für den nicht werthaltigen Teil der Forderung Anschaffungskosten getragen hat. Ein freiwilliger Verzicht steht der Anerkennung des Verlusts nicht entgegen, weil § 20 Abs. 2 EStG nicht danach differenziert, ob Verluste zwangsläufig eintreten oder willentlich herbeigeführt werden.59) Von praktischer Bedeutung ist, dass der Steuerpflichtige den Zeitpunkt des Verzichts exakt bestimmen kann; im Übrigen macht er insoweit lediglich von seinen gesetzlich vorgesehenen Gestaltungsmöglichkeiten Gebrauch, ohne diese zu missbrauchen.60)


46)

Vgl. dazu das Grundsatzurteil des BFH v. 24.10.2017 - VIII R 13/15, BStBl II 2020, 831.

47)

Vgl. dazu BFH, Urt. v. 14.01.2020 - IX R 9/18, BStBl II, 490.

48)

Vgl. BFH, Urt. v. 14.07.2017 - VIII R 38/15, BStBl II, 1040.

49)

Vgl. FG Düsseldorf, Urt. v. 28.01.2020 - 10 K 2166/16, E, EFG 2020, 444; bestätigt durch BFH, Urt. v. 27.10.2020 - IX R 5/20, BStBl II 2021, 600.

50)

So auch FG Düsseldorf, Urt. v. 11.11.2021 - 14 K 2330/19 E, EFG 2022, 394; die Revision ist anhängig beim BFH unter dem Az. IX R 2/22.

51)

Vgl. nur Schmidt/Levedag, EStG, 41. Aufl. 2022, § 20 Rdnr. 20.

52)

Vgl. FG Münster, Urt. v. 03.11.2021 - 13 K 3187/19 E, F, EFG 2022, 325 (rkr.).

53)

Vgl. FG Düsseldorf, Urt. v. 11.11.2021 - 14 K 2330/19 E, EFG 2022, 394; die Revision ist anhängig beim BFH unter dem Az. IX R 2/22.

54)

Vgl. FG Düsseldorf, Urt. v. 11.11.2021 - 14 K 2330/19 E, EFG 2022, 394; die Revision ist anhängig beim BFH unter dem Az. IX R 2/22.

55)

Vgl. BFH, Urt. v. 06.08.2019 - VIII R 18/16, BStBl II 2020, 833; vgl. dazu Levedag, GmbH 2021, 14, 20 f.; Ott, Stbg 2021, 103, 107; ders., DStR 2020, 2337, 2340 f. jeweils m.w.N.

56)

Vgl. BFH, Urt. v. 27.10.2020 - IX R 5/20, BStBl II 2021, 600.

57)

Vgl. BFH, Urt. v. 24.10.2017 - VIII R 13/15, BStBl II 2020, 831.

58)

Vgl. BFH, Urt. v. 01.07.2021 - VIII R 28/18, BStBl II, 911.

59)

Vgl. BFH, Urt. v. 06.08.2019 - VIII R 18/16, BStBl II 2020, 833; a.A. FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 12.07.2016 - 3 K 1133/14, EFG 2016, 2073, zur Frage der Freiwilligkeit.

60)

Vgl. BFH, Urt. v. 12.06.2018 - VIII R 32/16, BStBl II 2019, 221.

22.3.2.4.7 Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG

22.48l

Die Verrechnung von Kapitalverlusten nach § 20 Abs. 2 EStG wird von der Verlustverrechnungsbeschränkung gem. § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG erfasst. Danach dürfen Verluste aus Kapitalvermögen aus der ganzen oder teilweisen Uneinbringlichkeit einer Kapitalforderung, aus der Ausbuchung wertloser Wirtschaftsgüter i.S.d. § 20 Abs. 1 EStG, aus der Übertragung wertloser Wirtschaftsgüter i.S.d. § 20 Abs. 1 EStG auf einen Dritten oder einem sonstigen Ausfall von Wirtschaftsgütern i.S.d. § 20 Abs. 1 EStG nur i.H.v. 20.000 € mit Einnahmen aus Kapitalvermögen ausgeglichen werden. Nicht verrechnete Verluste werden vorgetragen und dürfen je Folgejahr nur i.H.v. 20.000 € mit Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden.61) Von dieser "Verlustverrechnungsfalle" werden - dem Gesetzeswortlaut nach - Verluste aus der Veräußerung von teilweise noch werthaltigen Kapitalforderungen nicht erfasst, so dass insoweit eine unbeschränkte Verrechnung mit anderen Einkünften aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG möglich ist. Die Wirkungen einer solchen Verlustverrechnung halten sich indes in Grenzen.

22.48m

Die Verlustverrechnungsbegrenzung nach § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG steht in engem Zusammenhang mit § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b) EStG. Danach werden Kapitalerträge i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 4 und 7 sowie Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und 7 EStG aus dem Anwendungsbereich der Abgeltungsteuer ausgeschlossen und dem progressiven Einkommensteuertarif nach § 32a EStG unterworfen, wenn sie von einer GmbH an einen Anteilseigner gezahlt werden, der zu mindestens 10 % an der GmbH beteiligt ist. Dies gilt auch, wenn der Gläubiger der Kapitalerträge eine dem Anteilseigner nahestehende Person ist.62)

22.48n

Nach der Änderung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b) EStG durch das Jahressteuergesetz 2020 gilt der Ausschluss aus der Abgeltungsteuer nur noch, "soweit die den Kapitalerträgen entsprechenden Aufwendungen beim Schuldner Betriebsausgaben oder Werbungskosten im Zusammenhang mit Einkünften sind, die der inländischen Besteuerung unterliegen, und § 20 Abs. 9 Satz 1 EStG zweiter Halbsatz keine Anwendung findet". Diese geänderte Fassung ist nach § 52 Abs. 33b Satz 1 EStG - unabhängig von der Beteiligungsquote - bereits auf Kapitalerträge anzuwenden, die nach dem 31.12.2020 erzielt werden mit der Folge, dass § 20 Abs. 2 i.V.m. Abs. 6 Satz 6 EStG greift. Dagegen ist für Kapitalerträge aus Darlehen, deren rechtliche Grundlage vor dem 01.01.2021 begründet wurde, die geänderte Regelung erst ab dem Veranlagungszeitraum 2024 anwendbar.

22.48o

Nach der Begründung des Regierungsentwurfs63) sind von der Änderung insbesondere Verluste aus der Veräußerung oder dem Untergang von Darlehensforderungen des Gesellschafters gegenüber seiner Gesellschaft betroffen, so dass solche Darlehensverluste des zu mindestens 10 % beteiligten Anteilseigners nicht mehr aus der Abgeltungsteuer ausgeschlossen werden, sondern - bei vorhandener Einkunftserzielungsabsicht - bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen sind. Soweit nicht vorrangig eine Erfassung nach § 17 Abs. 2a EStG greift, ergeben sich dann Verluste nach § 20 Abs. 2 EStG, die aber dann in der Verlustverrechnungsfalle nach § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG eingesperrt sind.

22.48p

In der Literatur wird mit guten Gründen vertreten, der geänderte § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b) EStG setze ein Korrespondenzverhältnis zwischen dem Substanzverlust beim Gesellschafter und den entsprechenden Aufwendungen bei der Gesellschaft voraus und erfasse einen Substanzverlust bei Gesellschafterdarlehen nur dann, wenn die Kapitalgesellschaft für den Erwerb der Darlehensforderung einen Kaufpreis an den Gesellschafter zahlt. Fehlt ein solches Korrespondenzverhältnis, bleibe es im Hinblick auf Verluste aus dem Ausfall oder der Abtretung von Gesellschafterdarlehen dabei, dass diese bei einer Beteiligungsquote von mindestens 10 % aus der Abgeltungsbesteuerung ausgeschlossen bleiben.64) Die Folge wäre, dass in diesen Fällen dann auch die Anwendung von § 20 Abs. 6 EStG insgesamt suspendiert bliebe. Ohne sich mit dieser Literaturmeinung auseinanderzusetzen, wendet die Finanzverwaltung gemäß Rdnr. 26-31 die geänderte Fassung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b) EStG restriktiv auf Verluste aus dem Ausfall oder dem Verzicht von Darlehen an. Diese werden künftig der tariflichen Besteuerung nach § 32d EStG entzogen und stattdessen dem Regime der Abgeltungsteuer unterworfen, weil solchen Verlusten regelmäßig keine Betriebsausgaben auf Seiten der Gesellschaft gegenüberstehen.

22.48q

Für einen zu mindestens 10 % an der Kapitalgesellschaft beteiligten Anteilseigner führt die geänderte Fassung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b) EStG somit zu gravierenden Nachteilen, weil Darlehensverluste nach § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG jährlich nur noch i.H.v. 20.000 € mit etwaigen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden dürfen. Im Übrigen läuft die Verlustverrechnung oftmals leer bzw. wird über sehr lange Zeiträume gestreckt, soweit positive Kapitaleinkünfte nicht oder nicht in ausreichendem Umfang vorliegen.

22.48r

Wurde das Darlehen nach dem 31.12.2008, aber vor dem 01.01.2021 begründet, haben Anteilseigner mit einer Mindestbeteiligung von 10 % noch bis zum Ablauf der "Anlaufhemmung" (also bis zum Ende des Veranlagungszeitraums 2023) die Möglichkeit, Darlehensverluste bei Ausfall oder Verzicht uneingeschränkt mit anderen positiven Einkünften jedweder Art vollständig zu verrechnen. Diese vollständige Verlustverrechnungsmöglichkeit ergibt sich vor allem bei Verlusten aus stehengelassenen Darlehen, da krisenbestimmte Darlehen ebenso wie Krisen- und Finanzplandarlehen vorrangig mit ihrem Nennwert als nachträgliche Anschaffungskosten i.S.v. § 17 Abs. 2a EStG zu berücksichtigen sind.

22.48s

Als Gestaltung bietet sich an, durch einen rechtzeitigen Darlehensverzicht oder durch Veräußerung an die Gesellschaft oder an Dritte bis zum Ablauf des Veranlagungszeitraums 2023 einen Darlehensverlust zu generieren, der dann noch gem. § 20 Abs. 2 EStG uneingeschränkt mit anderen positiven Einkünften verrechnet werden kann. Unabhängig von einer gesellschaftsrechtlichen Veranlassung des Darlehens werden solche Verluste nach Rdnr. 19 nicht von § 17 Abs. 2a Satz 3 Nr. 2 EStG erfasst, soweit beim Darlehensverzicht keine verdeckte Einlage vorliegt. Alternativ können bei stehengelassenen Darlehen - ohne zeitliche Restriktionen - mittels einer Gesellschaftereinlage in die Kapitalrücklage mit anschließender Darlehensrückzahlung (sog. Cash-Circle)65) zumindest nach § 17 Abs. 2a Satz 3 Nr. 1 EStG berücksichtigungsfähige nachträgliche Anschaffungskosten generiert werden. Vorsicht ist unter dem Gesichtspunkt des § 42 AO geboten, wenn die Einlage und die anschließende Darlehensrückzahlung nur buchhalterisch über konzerninterne Verrechnungskonten abgebildet werden.66)


61)

Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 20 Abs. 6 Satz 4-6 EStG vgl. BFH, Urt. v. 11.07.2020 - VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562; vgl. auch Drüen, FR 2020, 663, 668.

62)

Zum Begriff der nahestehenden Person vgl. BMF-Schreiben v. 19.05.2022 - IV C 1 - S 2252/19/10003 :009, BStBl I, 742, Rdnr. 136, und die dort zitierte Rechtsprechung; instruktiv dazu vgl. Kaminski, Stbg 2022, 257.

63)

Vgl. RegE JStG 2020, BT-Drucks. 19/22850, S. 87 f.

64)

Vgl. Schmidt/Levedag, EStG, 41. Aufl. 2022, § 32d Rdnr. 13; ders., GmbHR 2021, 14, 22; Förster/von Cölln, DB 2021, 525, 529 f.

65)

Zu diesem sog. Cash-Circle vgl. BFH, Urt. v. 20.07.2018 - IX R 5/15, BStBl II 2019, 194; vgl. dazu auch Ott, DStZ 2020, 412, 416 m.w.N.; vgl. auch FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 13.04.2010 - 6 K 53/06, EFG 2010, 1671; Niedersächsisches FG, Urt. v. 26.09.2012 - 2 K 13510/10, GmbHR 2013, 613; FG München, Urt. v. 27.10.2009 - 6 K 3941/06, EFG 2010, 462.

66)

Zur Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs vgl. FG Düsseldorf, Urt. v. 22.12.2021 - 7 K 101/18 K, G, F, EFG 2022, 721 mit Anm. von Florczak; die Revision ist anhängig beim BFH unter dem Az. I R 11/22; zur Kritik an diesem Urteil zum sog. Roundtrip of Cash vgl. Mihm, BB 2022, 1265.

22.3.2.4.8 Zeitliche Anwendung des BMF-Schreibens vom 07.06.2022

22.48t

Nach Rdnr. 32 sind die Ausführungen in Abschnitt I und II des BMF-Schreibens vom 07.06.2022 zum Umfang und zur Höhe der nachträglichen Anschaffungskosten i.S.d. § 17 Abs. 2a EStG unter Hinweis auf § 52 Abs. 25a EStG in allen offenen Fällen anzuwenden, wenn die Veräußerung i.S.v. § 17 Abs. 1 EStG oder der einer Veräußerung gleichgestellte Vorgang i.S.v. § 17 Abs. 4 und 5 EStG entweder nach dem 31.07.2019 stattgefunden hat oder bis zum 31.07.2019 stattgefunden hat und der Steuerpflichtige die Anwendung von § 17 Abs. 2a EStG nach § 52 Abs. 25a Satz 2 EStG beantragt. Der Zeitpunkt der Darlehensgewährung oder des Darlehenserwerbs ist jeweils unmaßgeblich, weil es ausschließlich auf den Zeitpunkt des Übergangs des zivilrechtlichen/wirtschaftlichen Eigentums an den Anteilen an der Kapitalgesellschaft ankommt.

22.48u

Soweit bei der Realisation eines Tatbestands nach § 17 Abs. 1, 4 oder 5 EStG bis zum 31.07.2019 bereits in Veranlagungszeiträumen vor 2019 der Verlust von gesellschaftsrechtlich veranlassten Darlehen im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen berücksichtigt wurde, ist dies nach Rdnr. 32 nicht zu beanstanden. Eine Berücksichtigung des Darlehensverlusts in einem späteren Veranlagungszeitraum im Rahmen der nachträglichen Anschaffungskosten bei § 17 EStG ist in diesen Fällen nicht möglich. Wird ein Antrag auf rückwirkende Anwendung von § 17 Abs. 2a EStG gestellt, sind nach Rdnr. 34 Verluste aus Kapitalvermögen aufgrund eines Verlusts eines gesellschaftsrechtlich veranlassten Darlehens in Veranlagungszeiträumen vor der Veräußerung der Anteile an der Kapitalgesellschaft nicht zu berücksichtigen. Liegen für diese Veranlagungszeiträume bereits Steuerbescheide vor, sind diese nach § 174 Abs. 2 AO zu ändern, soweit diese Verluste im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen berücksichtigt wurden.

22.48v

Schließlich enthält Rdnr. 35 den Hinweis, dass die BMF-Schreiben vom 21.10.2010 zu nachträglichen Anschaffungskosten bei § 17 EStG 67) sowie vom 05.04.201968) zur Anwendung der vom BFH eingeräumten Vertrauensschutzregelung weiter anzuwenden sind, wenn kein Antrag nach § 52 Abs. 25a EStG gestellt wird.


67)

Vgl. BMF-Schreiben v. 21.10.2010 - IV C 6 - S 2244/17/10001, BStBl I, 832.

68)

Vgl. BMF-Schreiben v. 05.04.2019 - IV C 6 - S 2241/17/10001, BStBl I, 257.

22.3.2.5 Minderung von Anschaffungskosten

22.49

Spätere Minderungen der Anschaffungskosten können sich ergeben:

durch Rückzahlungen von Beträgen aus dem steuerlichen Einlagekonto i.S.d. § 27 KStG im Rahmen einer Gewinnausschüttung oder einer Kapitalherabsetzung mit Auszahlung an die Gesellschafter;

durch Gewährung sonstiger Gegenleistungen bei Einbringung in eine Kapitalgesellschaft, da diese nach § 20 Abs. 3 Satz 3 oder § 21 Abs. 2 Satz 6 UmwStG die Anschaffungskosten der erhaltenen Anteile kürzen;

durch Eintritt des Besserungsfalls bei einem Forderungsverzicht mit Besserungsabrede;

durch Entnahmen im Rückwirkungszeitraum bei einer Einbringung nach § 20 UmwStG, die den Buchwert des eingebrachten Betriebsvermögens übersteigen. Nach dem BFH-Urteil vom 07.03.201869) sind nämlich solche Entnahmen nach § 20 Abs. 5 Satz 3 UmwStG von den Anschaffungskosten der im Zuge der Einbringung gewährten Anteile abzuziehen, wobei die Anschaffungskosten hierdurch auch negativ werden können.70) Damit ist der BFH der Auffassung der Finanzverwaltung in Rdnr. 20.19 UmwSt-Erlass sowie des FG Hessen71) entgegengetreten, die in Höhe der negativen Anschaffungskosten von einer gewinnrealisierenden Aufstockung bei der Einbringung ausgegangen sind.

Schließlich kann auch ein vollständiger Untergang von Anschaffungskosten eintreten, wenn eine Kapitalgesellschaft nach den §§ 3 ff. UmwStG in ein Personenunternehmen umgewandelt wird und ein Übernahmeverlust entsteht, der nach § 4 Abs. 6 UmwStG vollständig außer Ansatz bleibt, wenn der Übernahmeverlust die fiktiven Ausschüttungen der bei der Kapitalgesellschaft thesaurierten Gewinne nach § 7 UmwStG übersteigt oder die Anteile an der umzuwandelnden Kapitalgesellschaft innerhalb der letzten fünf Jahre vor dem steuerlichen Übertragungsstichtag entgeltlich erworben wurden.


69)

Vgl. BFH, Urt. v. 07.03.2018 - I R 12/16, DStR 2018, 1560.

70)

So bereits Rödder, DStR 1996, 860; Ott, GmbHR 2015, 918; Krohn/Schell, Ubg 2015, 197; Widmann, in: Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 20 UmwStG Rdnr. R 320 (04/2007) und R 553 (08/2007); vgl. auch Herlinghaus, in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 3. Aufl. 2019, § 20 Rdnr. 488; Menner, in: Haritz/Menner/Bilitewski, UmwStG, 5. Aufl. 2019, § 20 Rdnr. 670.

71)

Vgl. FG Hessen, Urt. v. 01.12.2015 - 4 K 1355/13, EFG 2016, 687; so auch Patt/Rasche, DStR 1995, 1529; Patt, in: Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 20 UmwStG Rdnr. 218a und b (01/2017).

22.3.2.6 Freibetrag nach § 17 Abs. 3 EStG

22.50

Der Veräußerungsgewinn wird ggf. nach § 17 Abs. 3 EStG um einen Freibetrag i.H.v. maximal 9.060 € gekürzt, wobei die Kürzung nach h.M. erst nach Anwendung des Teileinkünfteverfahrens berücksichtigt wird.72) Der volle Freibetrag von 9.060 € wird - unabhängig vom Lebensalter des Veräußerers - gewährt, wenn eine 100%ige Beteiligung veräußert wird. In anderen Fällen wird der Freibetrag nur anteilig gewährt (z.B. bei Veräußerung einer Beteiligung von 50 % beträgt der Freibetrag maximal 4.530 €). Der Freibeitrag wird um den Betrag gekürzt, um den der Veräußerungsgewinn den Teil von 36.100 € übersteigt, der dem veräußerten Anteil an der Kapitalgesellschaft entspricht. Bei der Veräußerung eines 100%igen Anteils mit einem Veräußerungsgewinn von 45.160 € oder mehr entfällt der Freibetrag (45.160 € abzgl. 36.100 € = 9.060 €).


72)

Vgl. Schmidt/Levedag, EStG, 41. Aufl. 2022, § 17 Rdnr. 201.

22.3.3 Übertragung gegen wiederkehrende Bezüge

22.51

Bei der Übertragung von Anteilen an Kapitalgesellschaften gegen wiederkehrende Bezüge gilt Folgendes:

Bei der Übertragung gegen eine Leibrente stellt der Barwert der Leibrenten den Veräußerungspreis i.S.d. § 17 EStG dar. Der Veräußerer hat nach R 17 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. R 16 Abs. 11 EStR das Wahlrecht zwischen der sogenannten Sofort- und der Zuflussbesteuerung.73) Erfolgt die Übertragung gegen Ratenzahlung, gilt das Wahlrecht nach R 17 Abs. 7 EStR i.V.m. H 16 Abs. 11 EStH nur, wenn die Raten während eines mehr als zehn Jahre dauernden Zeitraums zu zahlen sind und die Ratenvereinbarung sowie die sonstige Ausgestaltung des Vertrags eindeutig die Absicht des Veräußerers zum Ausdruck bringen, sich eine Versorgung zu verschaffen.74)

Bei der Übertragung eines mindestens 50 % betragenden Anteils an einer GmbH gegen Versorgungsleistungen liegt nach § 10 Abs. 1a Nr. 2 Buchst. c) EStG eine unentgeltliche Übertragung vor, wenn der Übergeber als Geschäftsführer tätig war und der Übernehmer diese Tätigkeit nach der Übertragung fortsetzt.75)


73)

Zur Aufteilung in einen Zins- und Tilgungsanteil vgl. BMF-Schreiben v. 03.08.2004 - IV A 6 - S 22454 - 17/04, BStBl I, 1187.

74)

Vgl. BFH, Urt. v. 20.07.2010 - IX R 45/09, BStBl II, 969.

75)

Vgl. Renten-Erlass IV, BMF-Schreiben v. 11.03.2010 - IV C 3 - S 2221/09/10004, BStBl I, 227, Rdnr. 15-20.


1)

Zum Begriff der Anteile an Kapitalgesellschaften vgl. nur Schmidt/Levedag, EStG, 41. Aufl. 2022, § 17 Rdnr. 101 ff.

2)

Als Veräußerung gilt die Übertragung zumindest des wirtschaftlichen Eigentums an den Anteilen von einer Person auf eine andere gegen Entgelt. Erfasst wird z.B. neben dem Kauf oder Tausch auch die verdeckte Einlage in eine Kapitalgesellschaft sowie die Übertragung auf eine Personengesellschaft mit Betriebsvermögen gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten, vgl. umfassend dazu nur Schmidt/Levedag, EStG, 41. Aufl. 2022, § 17 Rdnr. 21 ff.