Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Umsatzsteuerfestsetzungen für das Streitjahr geändert werden kann. Dem Rechtsstreit liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zu Grunde:
Die Klägerin erzielte im Streitjahr Umsätze aus Geldspielgeräten mit Gewinnmöglichkeit in Höhe von ... DM, Umsätze aus Unterhaltungsautomaten in Höhe von ... DM und sonstige steuerpflichtige Umsätze in Höhe von ... DM. Vorsteuerbeträge fielen in Höhe von ... DM an. Für das Streitjahr gab die Klägerin am 24. April 1997 eine Umsatzsteuererklärung ab, aus der sich ein Erstattungsbetrag ergab und der das Finanzamt zustimmte. In der Zustimmungserklärung wurde darauf hingewiesen, dass die Umsatzsteuererklärung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht.
Mit Schreiben vom 15. März 2005 legte die Klägerin gegen den Umsatzsteuerbescheid für 1995 Einspruch ein und beantragte die Herabsetzung der Umsatzsteuer auf Geldspielgeräte mit Gewinnmöglichkeiten auf 0,- DM. Vorsorglich wurde ein Änderungsantrag gemäß § 164 Abgabenordnung (AO) sowie ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO gestellt. Hintergrund dieses Antrages war, dass der EuGH in seinem Urteil vom 17. Februar 2005 (Az. C-453/02, Linneweber) entschieden hatte, dass sich ein Kläger hinsichtlich der Steuerbefreiung für Glücksspiele mit Geldeinsätzen auf die 6. EG-Richtlinie berufen könne. Da erst durch dieses Urteil des EuGH vom 17. Februar 2005 festgestanden habe, dass Geldspielgeräte mit Gewinnmöglichkeit nicht der Umsatzsteuer unterliegen würden, berufe sich die Klägerin auf die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Emmott (Az. C-208/90 vom 25. Juni 1991). Nach diesem Urteil könne sich ein Mitgliedstaat bis zum Zeitpunkt der ordnungsgemäßen Umsetzung einer EG-Richtlinie in nationales Recht nicht auf die Verspätung einer Klage berufen, die ein Einzelner zum Schutz der ihm durch die Bestimmung der EG-Richtlinie verliehenen Rechte gegen den Mitgliedstaat erhoben habe.
Mit Schreiben vom 25. Mai 2005 lehnte das Finanzamt unter Verweis auf die bereits eingetretene Festsetzungsverjährung die Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung für das Streitjahr ab. Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 3. Juni 2005 Einspruch.
Mit zwei Einspruchsentscheidungen vom 11. Juli 2005 wies das Finanzamt sowohl den Einspruch als unzulässig zurück, weil dieser verspätet eingelegt worden sei, als auch den Antrag auf Änderung, weil bereits Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Ebenso käme eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Frage, weil ein solcher Antrag nicht innerhalb eines Jahres nach Ablauf der jeweiligen Rechtsbehelfsfrist gestellt worden sei.
Ein Durchbrechen der Bestandskraft lasse sich auch nicht aus dem Urteil des EuGH vom 25. Juni 1991 in der Rechtssache Emmott herleiten. Zwar habe der EuGH in diesem Urteil den Standpunkt vertreten, dass der Ablauf nationaler Verfahrensfristen wie Widerspruchs- und Klagefristen gehemmt sei, wenn der nationale Verwaltungsakt im Widerspruch zum europäischen Gemeinschaftsrecht ergehe und dies zu einem Zeitpunkt, zu dem sonst trotz Ablaufes der Umsetzungsfrist der Mitgliedstaat den Gemeinschaftsrechtsakt nicht ordnungsgemäß in nationales Recht transformiert habe. Diese Rechtsprechung des EuGH gehe jedoch von dem Grundsatz aus, dass das Gemeinschaftsrecht es vor einer Harmonisierung von Bestimmungen über die Verfahrensgrundsätze nicht verbiete, einem Bürger, der vor einem innerstaatlichen Gericht die Entscheidung einer innerstaatlichen Stelle wegen Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht anfechte, den Ablauf der im innerstaatlichen Recht vorgesehenen Fristen für die Rechtsverfolgung entgegenzuhalten. In seinem Urteil vom 2. Dezember 1997 habe der EuGH daher auch betont, dass seine Entscheidung vom 25. Juni 1991 durch die besonderen Umstände jenen Falles gerechtfertigt gewesen sei, in denen den Betroffenen durch den Ablauf der Klagefrist jede Möglichkeit genommen sei, einen Anspruch auf Gleichbehandlung geltend zu machen, und habe damit deutlich gemacht, dass er den in dem Verfahren Emmott entwickelten Rechtsgrundsatz auch auf Fallkonstellationen der dort gegebenen Art. beschränkt wissen wolle.
Bezogen auf den Streitfall spreche nichts dafür, dass die Klägerin gehindert gewesen sei, sich fristgerecht gegen die Umsatzsteuerfestsetzung für das Streitjahr zu wehren und sich auf einen Verstoß gegen Bundes- oder Gemeinschaftsrecht zu berufen. Für die Geltendmachung des Rechts auf richtlinienkonforme Anwendung und Auslegung sei daher das nationale Verfahrensrecht maßgebend. Dieses erlaube in Anbetracht der bereits eingetretenen Bestandskraft der Steuerfestsetzung keine Änderung oder Aufhebung derselben.
Mit Schriftsatz des damaligen Klägervertreters vom 8. August 2005 erhob die Klägerin gegen "die Einspruchsentscheidung vom 11. Juli 2005" Klage. Mit der Klage macht sie im Wesentlichen Folgendes geltend:
Unstrittig sei, dass der Umsatzsteuerbescheid für die Streitjahre rechtswidrig sei, soweit er nicht berücksichtige, dass die Umsätze mit Geldgewinnspielgeräten umsatzsteuerfrei seien. Die Klägerin könne sich unmittelbar auch mit Rückwirkung auf die Steuerbefreiung auf Art. 13 Teil B Buchstabe F der 6. EG-Richtlinie berufen.
Fraglich sei allein, ob der Klagantrag deswegen unbegründet sei, weil
a) die Klägerin nicht binnen Monatsfrist die Umsatzsteueranmeldung durch Einspruch angefochten habe oder
b) das nationale Verfahrensrecht es der Behörde nicht gestatte, aus eigener Rechtsmacht einen für Europa rechtswidrig erkannten Steuerbescheid aufzuheben, weil die §§ 173 - 176 AO diesen Änderungsgrund nicht kennen würden.
Der Bundesfinanzhof (BFH) habe diese Fragen in seinem Urteil vom 23. November 2006 zu Ungunsten der Rechtsauffassung der Klägerin im Ergebnis bejaht und habe auch eine Vorlage an den EuGH für nicht geboten gehalten, weil die Rechtslage klar und eindeutig durch den EuGH geklärt sei.
Diese Rechtsauffassung des BFH habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Beschluss vom 4. September 2008 abgelehnt. Das BVerfG habe festgestellt, dass die Rechtslage noch nicht eindeutig geklärt sei und der BFH somit gemäß Art. 234 Abs. 3 EG hätte vorlegen müssen. Eine Verfassungsrechtsverletzung habe das BVerfG nur deswegen verneint, weil die Nichtvorlage nicht willkürlich gewesen sei. Der BFH habe seinen Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Vorlage an den EuGH zwar überschritten, dies aber nicht in unvertretbarer Weise getan.
Durch die Kühne & Heitz-Rechtsprechung sei bislang nicht geklärt, unter welchen Voraussetzungen eine Bestandskraftdurchbrechung wegen Art. 10 EG geboten sei, wenn das nationale Recht eben keine Befugnisnorm vorsehe, die es dem Finanzamt gestatte, allein aus dem Grund einer später erkannten Europarechtswidrigkeit einen fehlerhaften Steuerbescheid in einen rechtmäßigen Steuerbescheid zu ändern. Festzuhalten bleibe, dass das BVerfG den Umkehrschluss, den der BFH aus der bisherigen Rechtsprechung des EuGH ziehen zu können geglaubt habe, nicht für überzeugend halte.
Die Klägerin halte auch aufgrund der Ausführungen des BVerfG an ihrer Auffassung fest, dass die angegriffenen Steuerbescheide zu ändern seien, jedenfalls aber eine Vorlage an den EuGH erfolgen müsse.
Gemäß § 130 Abs. 1 AO i.V.m. Art.
Dem könne nicht entgegengehalten werden, § 172 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 d AO schließe eine Anwendbarkeit dieser Änderungsbefugnis aus, weil sie nur für allgemeine Steuerverwaltungsakte, nicht aber für Steuerbescheide gelte. Denn aus Gründen der gemeinschaftsrechtlichen Effektivität sei § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 d AO im vorliegenden Fall nicht anwendbar.
§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 d AO sei ein strukturelles Verfahrenshindernis, welches bewirke, dass unanfechtbare Steuerbescheide, die auf EU-rechtswidrige Steuernormen beruhten, vom Finanzamt nicht geändert werden dürften. Die Norm verstoße deshalb gegen Art. 10 EG, der die Mitgliedstaaten verpflichte, eine Verfahrensordnung zu schaffen, welche es erlaube, Europarecht effizient umzusetzen und nicht zu behindern. Dies sei bei § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 d AO der Fall. Die Vorschrift entziehe dem Finanzamt die Befugnis, nach § 130 Abs. 1 AO rechtswidrige Verwaltungsakte allein aus Gründen ihrer Rechtswidrigkeit aufzuheben. Die Europarechtswidrigkeit als solche sei daher - anders als im allgemeinen Verwaltungsrecht (§
Das strukturelle Verfahrenshindernis betreffe zwar nicht ausdrücklich nur EU-rechtswidrige Steuerbescheide, sondern allgemein alle rechtswidrigen Steuerbescheide. Gleichwohl wirke sich das Verfahrenshindernis strukturell in besonderer Weise bei EU-rechtswidrigen Steuerbescheiden aus, weil der Bürger den rechtswidrigen Vollzug von Steuergesetzen, die auf Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht beruhen würden, offenkundig nicht in gleicher Weise erkennen könne wie solche Rechtsverstöße, die allein auf nationalem Recht beruhen würden.
Der deutsche Staat dürfe sich bei einem Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht nicht darauf zurückziehen, dass eine Änderung von Steuerbescheiden zu Gunsten des Bürgers gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 d AO nicht möglich und nach Ablauf der Anfechtungsfrist selbst auf Antrag des Bürgers ausgeschlossen sei. Denn damit verlagere er die Verpflichtung zu europarechtskonformen Umsetzungen von Gemeinschaftsrecht auf den Bürger, der binnen einer einmonatigen Rechtsbehelfsfrist seine Rechte wahren müsse. Dass sich der deutsche Gesetzgeber nicht einfach auf die Struktur seines Verwaltungsverfahrensrechts zurückziehen dürfe, um die Effektivität des Gemeinschaftsrechts zu vereiteln, werde z.B. auch durch die Diskussion um den neu geschaffenen § 175 Abs. 2 AO deutlich, durch den der Gesetzgeber die fiskalisch nachteiligen Folgen des EuGH-Urteils in der Rechtssache Mannigen (EuGH-Urteil vom 7. September 2004) habe eindämmen wollen. Auch in diesem Fall werde in der Literatur die Auffassung vertreten, die deutsche Verfahrensvorschrift verletze den Effektivitätsgrundsatz. Im Schrifttum sei mittlerweile anerkannt, dass die Auslegung des nationalen Rechts im Lichte des Art. 10 EG so zu erfolgen habe, dass im Zweifel die Auslegung zu bevorzugen sei, die eine Aufhebung jedenfalls abstrakt zulasse. Nach § 130 Abs. 1 AO, dem §
Das verwaltungsrechtliche Schrifttum gehe davon aus, dass sich die vom EuGH formulierten Mindestanforderungen an die Effektivität des Gemeinschaftsrechtsvollzugs im deutschen Recht mit den bestehenden gesetzlichen Instrumenten zur Durchbrechung der Bestandskraft "ohne konzeptionelle Friktionen" verwirklichen ließen. Die Vertreter dieser Auffassung im Schrifttum würden davon ausgehen, dass die vom EuGH vorgesehene Aufhebungsmöglichkeit rechtswidriger bestandskräftiger Verwaltungsakte im deutschen Recht durch die §§
Das verwaltungsrechtliche Schrifttum lasse außer Acht, dass § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 d AO für rechtswidrige Steuerbescheide, auf die es hier ankomme, eine völlig andere Rechtslage schaffe, auf die die §§
Soweit der EuGH in seinem Urteil vom 13. Januar 2004 (Rechtssache Kühne & Heitz) vier Bedingungen als Voraussetzungen für die Durchbrechung einer Bestandskraft aufgestellt habe, so seien diese Bedingungen nicht Bestandteil eines abschließenden Rechtssatzes, sondern als Anwendung der Prinzipien der Effektivität und Äquivalenz in einer besonderen Fallkonstellation anzusehen.
Dass sich aus den Urteilen des EuGH weder eine klare Dogmatik noch allgemein gültige, abschließende Rechtssätze ableiten ließen, sei auch die Auffassung des BVerfG. So dürfte auch die weitere in der Kühne & Heitz-Entscheidung aufgestellte Voraussetzung, "dass die (im Nachhinein als gemeinschaftswidrig erkannte Verwaltungs-)Entscheidung infolge eines Urteils eines in letzter Instanz entscheidenden nationalen Gerichts bestandskräftig geworden ist", auf die besonderen Umstände jenes Einzelfalles zurückzuführen sein, ohne dass diese Voraussetzung zwangsläufig beanspruchen könne, auch für andersartige Fallkonstellationen allgemein verbindlich und abschließend zu sein. Der Entscheidung in der Rechtssache Kühne & Heitz habe der besondere Umstand zu Grunde gelegen, dass das mitgliedstaatliche Gericht einer Vorlagepflicht nicht nachgekommen sei. Gerade wegen dieses Umstandes habe der EuGH sogar nach Durchlaufen des Rechtsweges eine Änderung für erforderlich gehalten.
Die Klägerin halte es nicht für ausgeschlossen, dass der EuGH bei einer andersartigen Fallkonstruktion nicht an dieser Voraussetzung festhalte, sondern andere Voraussetzungen aufstelle. Denn wenn der EuGH auf der einen Seite die Überprüfung und Korrektur einer bestandskräftigen gemeinschaftsrechtlichen Verwaltungsentscheidung nicht davon abhängig mache, dass sich der Betroffene zuvor bereits vor einem innerstaatlichen Gericht auf das Gemeinschaftsrecht bzw. die rechtlichen Gesichtspunkte, die sich zu seinen Gunsten aus einer zwingenden Gemeinschaftsvorschrift ergeben, würde berufen haben müssen, sei es mit diesem Rechtsgedanken schwer zu vereinbaren, wenn der EuGH für eine derartige Überprüfung auf der anderen Seite daran festhalten würde, dass der Betroffene zuvor sämtliche Instanzen des innerstaatlichen Rechtsweges erfolglos durchlaufen haben müsse. So zeige auch diese Überlegung, dass die Voraussetzungen, welche erfüllt sein müssten, um einen Verstoß gegen gemeinschaftsrechtliche Prinzipien der Effektivität und Äquivalenz festzustellen und damit zur Durchbrechung der Bestandskraft an sich bereits bestandskräftiger Verwaltungsentscheidungen kommen zu können, sehr vom jeweiligen Einzelfall abhängig seien. Demgemäß sei der vom BFH vertretenen Rechtsauffassung, dass sämtliche der vom EuGH in der Rechtssache Kühn & Heitz aufgestellten Voraussetzungen vorliegen müssten, um die Behörde zur Überprüfung einer gemeinschaftswidrigen, wenn auch bestandskräftigen Verwaltungsentscheidung zu verpflichten, nicht beizupflichten.
Die Klägerin beantragt,
Das Verfahren wegen der streitigen Rechtsfragen dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorzulegen;
unter Abänderung des Umsatzsteuerbescheides vom 23. Juni 1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. Juli 2005, die Umsatzsteuer für das Jahr 1995 auf ... DM festzusetzen.
hilfsweise, das Finanzamt zu verpflichten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 25. Mai 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. Juli 2005, die Umsatzsteuer auf ... DM festzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Ergänzend zur Einspruchsentscheidung trägt das Finanzamt Folgendes vor:
Das BVerfG habe ausdrücklich auf die Entscheidung des EuGH vom 12. Februar 2008 verwiesen. In dieser Entscheidung habe der EuGH zum einen erneut ausgeführt, dass besondere Umstände eine nationale Verwaltungsbehörde nach dem in Art. 10 EG verankerten Grundsatz der Zusammenarbeit verpflichten könnten, seine in Folge der Erschöpfung des innerstaatlichen Rechts bestandskräftigen Verwaltungsentscheidungen zu überprüfen und einer vom Gericht vorgenommenen Auslegung einer einschlägigen Bestimmung des Gemeinschaftsrechts Rechnung zu tragen. Der EuGH habe zugleich Folgendes ausgeführt:
- "Wie das vorlegende Gericht in Erinnerung ruft, geht aus den Randnrn. 26 und 28 des Urteils Kühne & Heitz hervor, dass der Gerichtshof als eine der Voraussetzungen, die eine solche Überprüfungspflicht begründen können, insbesondere den Umstand berücksichtigt hat, dass das Urteil des letztinstanzlichen Gerichts, das zur Bestandskraft der angefochtenen Verwaltungsentscheidung führte, in Anbetracht einer nach seinem Erlass ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs auf einer unrichtigen Auslegung des Gemeinschaftsrechts beruhte, die erfolgte, ohne dass der Gerichtshof angerufen wurde, obwohl der Tatbestand des Art. 234 Abs. 3 EG erfüllt war."
Der EuGH habe sodann unter Verweis auf seine ständige Rechtsprechung jedoch auch klargestellt, dass mangels einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung die Bestimmung der zuständigen Gerichte und die Auslegung von Verfahrensvorschriften, die den Schutz der Bürger von aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechten gewährleisten sollen, Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten sei, wobei diese Verfahren allerdings nicht weniger günstig gestaltet sein dürften als bei entsprechenden Klagen, die nur innerstaatliches Recht betreffen würden und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürften. Dabei habe er betont, dass die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung im Interesse der Rechtssicherheit mit dem Gemeinschaftsrecht grundsätzlich vereinbar sei, da solche Fristen nicht geeignet seien, die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren. Der EuGH habe damit in ständiger Rechtsprechung den Rechtssatz aufgestellt, dass zwar die Möglichkeit, einen Antrag auf Überprüfung einer bestandskräftigen Verwaltungsentscheidung zu stellen, durch das Gemeinschaftsrecht in zeitlicher Hinsicht nicht beschränkt werde, die Mitgliedstaaten jedoch im Einklang mit den gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen der Effektivität und der Äquivalenz angemessene Rechtsbehelfsfristen festlegen könnten. Die nach nationalem Recht bestehende grundsätzliche Festsetzungsfrist von vier Jahren für Steuerfestsetzungen sei auch nicht als gemeinschaftswidrig anzusehen. In seiner Entscheidung vom 17. Juli 1997 (Az.
In einer weiteren Entscheidung vom 24. September 2002 (Az. C-255/00) habe der EuGH schon eine nationale Ausschlussfrist von drei Jahren als angemessen beurteilt. Unter Berücksichtigung dessen erscheine die nach nationalem Recht beachtliche Festsetzungsverjährungsfrist für Steuerfestsetzungen bzw. deren Aufhebung oder Änderung nicht gemeinschaftsrechtswidrig.
Darüber hinaus sei zu bedenken, dass auch nach der Rechtsprechung des BFH und des BVerfG für die obersten nationalen Gerichte keine allgemeine Verpflichtung bestehe, rechtswidrige Verwaltungsakte unbeschadet des Eintritts ihrer Bestandskraft von Amts wegen oder auf Antrag des Adressaten aufzuheben. Dies gelte selbst in Fällen, in denen sich der Steuerpflichtige letztlich über die Verfassungsmäßigkeit bzw. Verfassungswidrigkeit eines Steuergesetzes irre. Diese Auffassung finde ihre Bestätigung in §
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die vorbereitenden Schriftsätze und den Inhalt der beigezogenen Umsatzsteuer- und Vertragsakte ergänzend Bezug genommen.
Die Klage ist unbegründet.
Weder der Umsatzsteuerbescheid für das Kalenderjahr 1995 vom 23. Juni 1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. Juli 2005 noch die Ablehnung des Finanzamtes vom 25. Mai 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. Juli 2005, den Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 1995 zu ändern, sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. §
Der Beklagte hat den Einspruch gegen den Umsatzsteuerbescheid für 1995 zu Recht als unzulässig verworfen.
Nach § 355 Abs. 1 S. 1 AO ist der Einspruch (§ 347 Abs. 1 S. 1 AO) innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Ein Einspruch gegen eine Steueranmeldung ist gemäß § 355 Abs. 1 S. 2 AO innerhalb eines Monats nach Eingang der Steueranmeldung bei der Finanzbehörde, in den Fällen des § 168 S. 2 AO innerhalb eines Monats nach Bekanntwerden der Zustimmung, einzulegen. Der Kläger hat mit Schreiben vom 15. März 2005 Einspruch gegen die Umsatzsteuerfestsetzungen für das Streitjahr eingelegt. Zu diesem Zeitpunkt war die einmonatige Frist für die Einlegung eines Einspruchs bereits abgelaufen.
Eine Anlaufhemmung ergibt sich auch nicht aus dem in Art. 10 EG verankerten Effektivitätsgebot.
a) Gemäß Art.
Überdies unterscheidet sich der Sachverhalt, der dem EuGH-Urteil Kühne & Heitz (a.a.O.) zugrunde lag, maßgeblich vom vorliegenden Streitfall. Denn die Kühne & Heitz NV hatte sämtliche ihr zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe ausgeschöpft, während der Kläger von seinem Recht, gegen die Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre 1993 bis 1996 rechtzeitig Einspruch einzulegen, keinen Gebrauch gemacht hat. Auch deshalb kann sich der Kläger nicht auf das EuGH-Urteil Kühne & Heitz berufen (vgl. BFH-Urteil vom 23. November 2006 V R 67/05, BStBl II 2007, 436; vgl. auch EuGH-Urteil i 21 Germany GmbH und Arcor AG & Co. KG in DVBl 2006, 1441 RandNr. 53 f.).
Außerdem hat der EuGH in seinem Urteil i 21 Germany GmbH und Arcor AG & Co. KG (a.a.O.) entschieden, dass das aus Art.
Daraus folgt, dass die Monatsfrist für die Einlegung eines Einspruchs gemäß § 355 Abs. 1 AO gemeinschaftsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
b) Auch aus der Rechtsprechung des EuGH zu - anders gearteten - Verjährungsfristen ergibt sich nichts anderes.
Die Versäumung der einmonatigen Einspruchsfrist durch den Kläger ist auch nicht ausnahmsweise unerheblich. Auf das EuGH-Urteil Emmott in Slg. 1991, I-4269, HFR 1993, 137, UR 1993, 315 kann sich der Kläger im Streitfall nicht mit Erfolg berufen. Der EuGH hat in diesem Urteil zwar entschieden, dass sich ein säumiger Mitgliedstaat bis zum Zeitpunkt der ordnungsgemäßen Umsetzung einer Richtlinie nicht auf die Verspätung einer Klage berufen könne, die ein Einzelner zum Schutz der ihm durch die Bestimmungen einer Richtlinie verliehenen Rechte gegen ihn erhoben habe, und dass eine Klagefrist des nationalen Rechts erst zu diesem Zeitpunkt beginnen könne. Wie der EuGH mittlerweile jedoch wiederholt klargestellt hat, war diese Entscheidung durch die besonderen Umstände des Falles gerechtfertigt, in dem der Klägerin durch den Ablauf der Klagefrist jede Möglichkeit genommen war, ihren auf eine Gemeinschaftsrichtlinie gestützten Anspruch auf Gleichbehandlung geltend zu machen (vgl. z.B. EuGH-Urteil Fantask in Slg. 1997, I-6783, HFR 1998,
Im Streitfall hat der Beklagte die Klägerin nicht an der rechtzeitigen Einlegung des Einspruchs gehindert und ihm deshalb nicht treuwidrig die Versäumung der - von Amts wegen zu beachtenden - Einspruchsfrist des § 355 Abs. 1 AO entgegengehalten (vgl. BFH-Urteil vom 23. November 2006 V R 51/05, BStBl II 2007, 433).
Die Klägerin hatte es vorliegend in der Hand, die Umsatzsteuerfestsetzung für die Streitjahre durch rechtzeitigen Einspruch auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht hin überprüfen zu lassen. Sie hat dies jedoch nicht gemacht.
Das Finanzamt hat es ebenso zu Recht abgelehnt, den Umsatzsteuerbescheid für 1995 zu ändern.
Diesem Änderungsbegehren steht schon der Ablauf der Festsetzungsfrist gemäß §§ 169 Abs. 2 Nr. 2, 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO entgegen. Die Umsatzsteuererklärung 1995 ging am 24. April 1997 beim Beklagten ein, sodass die Festsetzungsfrist mit Ablauf des 31. Dezember 2000 endete. Hemmungsgründe im Sinne des § 171 AO sind nicht vorgetragen und auch nach Aktenlage nicht ersichtlich.
Auch gemeinschaftsrechtlich ergeben sich keine Bedenken dagegen, Folgerungen aus dem Ablauf der Festsetzungsfrist zu ziehen. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des EuGH, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich frei sind, das Besteuerungsverfahren zu regeln und dabei auch Fristen zu setzen, innerhalb derer Ansprüche auf Rückerstattung von Abgaben geltend zu machen sind. Dabei sind Fristen von drei Jahren nach Zahlung der Steuern als unbedenklich angesehen worden (EuGH, Urteile vom 15. September 1998, C-231/96 - Edis, HFR 1998, 1033; vom 11. Juli 2002, C-62/00 - Marks & Spencer I, UR 2002, 436, Rz. 35; vom 24. März 2009,
Überdies ist auch keine Korrekturvorschrift ersichtlich, nachdem der Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 4 Satz 1 AO mit Ablauf des 31. Dezember 2000 entfallen ist.
Auch § 130 Abs. 1 AO ist im Streitfall entgegen der Auffassung der Klägerin und einer in der Literatur vertretenen Auffassung (Jahndorf/Oellerich, Der Betrieb -DB-, 2008, 2559 [2564]) nicht einschlägig, da die §§ 172 ff. AO abschließende Sonderregelungen von Korrekturvorschriften für bestandskräftige Steuerbescheide darstellen. Dies ist ausdrücklich in § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe d AO geregelt (vgl. auch BFH, Beschluss vom 15. Juni 2009,
Es gibt auch keinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz, dass gemeinschaftsrechtswidrige Akte der öffentlichen Gewalt über die üblichen Rechtsbehelfsfristen hinaus einer Änderung zugänglich sein müssen. Es reicht vielmehr aus, wenn entsprechend den Grundsätzen der Effektivität und Gleichwertigkeit die Verfahrensordnungen so ausgestaltet sind, dass sie die Ausübung der Rechte, die die Gemeinschaftsrechtsordnung den Bürgern einräumt, nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren und die Modalitäten insoweit nicht ungünstiger sind als die, die bei ähnlichen internen Sachverhalten gelten (EuGH, Urteile vom 19. September 2006, C-392/04 und C-422/04 - i-21 Germany & Arcor, EuZW 2006, 696, Rz. 57; vom 12. Februar 2008, C-2/06 - Kempter, HFR 2008, 521, Rz. 57; vom 3. September 2009,
Der Klägerin standen ausreichende Rechtschutzmöglichkeiten zur Verfügung, wie bereits oben erörtert wurde. Ferner hätte sie bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist (Ablauf des Jahres 2000) einen Antrag auf Änderung gemäß § 164 Abs. 2 AO stellen können. Davon hat sie keinen Gebrauch gemacht, auch dann nicht, nachdem der Bundesfinanzhof in seinem Beschluss vom 30. November 2000 (V B 187/00) Zweifel an der Gemeinschaftskonformität des § 4 Nr. 9 Buchstabe b UStG in der im Streitjahr geltenden Fassungen geäußert hat. Ferner waren die Möglichkeiten zur Korrektur von gemeinschaftsrechtswidrigen Verwaltungsakten nicht schlechter ausgeprägt als für sonstige Rechtsfehler.
Die Voraussetzungen für einen Korrekturanspruch aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Grundlage sind nicht erfüllt. Denn nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH ist dafür Folgendes erforderlich (EuGH, Urteile vom 13. Januar 2004, C-453/00 - Kühne & Heitz, NJW 2004,
- Die Behörde muss nach nationalem Recht befugt sein, ihre Entscheidung zurückzunehmen,
- die Entscheidung muss infolge eines Urteils letzter Instanz bestandskräftig geworden sein ('Ausschöpfung des Rechtsweges'),
- das Urteil muss auf einer unrichtigen Auslegung des Gemeinschaftsrechts beruhen, weil sich das Gericht nicht an den EuGH gewandt hat und
- ein Antrag muss auf Aufhebung oder Änderung der bestandskräftigen Entscheidung unmittelbar nach Kenntnis der Entscheidung des EuGH gestellt worden sein, wobei es Sache der Mitgliedstaaten ist, diese Frist näher zu konkretisieren.
Jedenfalls die ersten beiden Voraussetzungen sind im Streitfall nicht gegeben. Weder sieht eine Vorschrift des nationalen Verfahrensrechts vor, dass die streitbefangenen Verwaltungsakte änderbar wären, noch hat die Klägerin die angefochtenen Verwaltungsakte innerhalb der Rechtsbehelfsfristen unter Ausschöpfung des gerichtlichen Instanzenzuges angefochten. Unter diesen Umständen kann dahingestellt bleiben, ob tatsächlich unklar ist, welche Bedeutung der vom EuGH aufgestellten Voraussetzung zukommt, dass die Behörde nach nationalem Recht befugt sein müsse, die Verwaltungsentscheidung zurückzunehmen, wie es das BVerfG (Beschluss vom 4. September 2008,
Insofern hat der Senat auch davon abgesehen, die Frage, wann gemeinschaftsrechtswidrige bestandskräftige Verwaltungsakte einer Korrektur zugänglich sind, einer Vorlage zum EuGH zu unterziehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung, §