I. Zwischen den Beteiligten ist die Bilanzierung von Einlösungsverpflichtungen aus der Hingabe sog. Gutmünzen im Streit.
Die S-KG (KG) betrieb seit 1. Januar 1958 in Form einer KG und ab 1974 in Form einer GmbH & Co. KG den Einzelhandel mit Schuhen.
An der KG waren in den Streitjahren 1969 bis 1973 A.S., der Kläger und Revisionskläger -Kläger-, als Komplementär und B.S., die Klägerin und Revisionsklägerin -Klägerin-, als Kommanditistin beteiligt. Im Streitjahr 1974 waren die A.S. Verwaltungs GmbH als Komplementärin ohne Kapitaleinlage, aber gegen Haftungsvergütung und Ersatz der Unkosten und A.S. sowie B.S. als Kommanditisten beteiligt.
In den Jahren 1960 bis 1974 verkaufte die KG sog. Gutmünzen aus Metall zu 1 DM und 5 DM. Die Münzen, die kein Ausgabedatum trugen, konnten bei sämtlichen Filialen der KG in beliebiger Zahl und ohne zeitliche Beschränkung in Höhe des aufgedruckten Werts zum Empfang von Waren, zur Anrechnung auf den Kaufpreis von Waren oder zur Rückzahlung von Bargeld eingelöst werden. Die KG erfaßte nur die Ausgabe der Gutmünzen an die Filialen sowie die Bestände an den jeweiligen Bilanzstichtagen. Über Umsätze, die von ihren Filialen durch die mehrfache Ausgabe derselben Münzen getätigt wurden, liegen keine Aufzeichnungen vor.
Nach einer die Streitjahre betreffenden Betriebsprüfung erkannte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -FA-) in den geänderten Gewinnfeststellungsbescheiden 1969 bis 1974 vom 3. Januar 1977 den Ausweis der Verbindlichkeiten nur teilweise an.
Das Finanzgericht (FG) hat der von den Prozeßbevollmächtigten namens der KG erhobenen Klage nur teilweise stattgegeben.
Nach Erhebung der Klage wurden sämtliche Kommanditanteile auf die Komplementär-GmbH übertragen; diese führte das Geschäft unter Übernahme aller Aktiva und Passiva und unter Ausschluß der Liquidation ab 1978 fort. Im Verlauf des Klageverfahrens wurden die Gewinnfeststellungsbescheide vom 3. Januar 1977 der Klägerin bekanntgegeben. Da diese hiergegen keinen Rechtsbehelf erhob, wurde sie -ebenso wie der Kläger- im Jahr 1984 vom FG zum Klageverfahren beigeladen.
Nach Auffassung des FG waren die Verpflichtungen der KG zur Einlösung der Gutmünzen als Rückstellungen zu bilanzieren, da die Verbindlichkeiten zwar dem Grunde nach gewiß, der Höhe nach jedoch ungewiß gewesen seien. Angesichts des ständig steigenden Betrags nicht eingelöster Gutmünzen sei davon auszugehen, daß ein Teil der Verbindlichkeiten nicht geltend gemacht werde. Für die demnach zur Bewertung der Verbindlichkeiten erforderliche Schätzung holte das FG ein Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. W., dem Leiter des Seminars für Spezialgebiete der Statistik an der Universität X, ein. Dieser ermittelte anhand eines Wahrscheinlichkeitsmodells und auf der Grundlage der Einlösungen von Gutmünzen sowohl die wahrscheinlichsten Einlösungsbeträge (5,17 v.H. der jeweiligen Jahresausgabe; Gleichverteilung des Fehlerrisikos zwischen FA und KG) als auch diejenigen Einlösungsbeträge, die -ein gleichbleibendes Verhalten der Münzinhaber unterstellt- mit einer Wahrscheinlichkeit von 99 v.H. nicht überschritten werden. Ausgehend von letzteren Werten setzte das FG die festgestellten Gewinne niedriger fest. Im übrigen wies es die Klage ab. Mit der Revision machen die Kläger geltend, daß die Einlösungsverpflichtungen am jeweiligen Bilanzstichtag mit dem Nennwert zu bilanzieren seien. Für die Passivierung von Verbindlichkeiten, die dem Grunde und der Höhe nach gewiß seien, komme es nicht darauf an, ob mit ihrer Geltendmachung gerechnet werden müsse. Eine Schätzung sei demnach nicht vorzunehmen. Die Kläger beantragen sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die Gewinnfeststellungsbescheide unter Berücksichtigung der Nennwerte der Einlösungsverpflichtungen zu ändern.
as FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist nicht begründet. I.
1. Da die KG durch die Übertragung sämtlicher Kommanditanteile während des Klageverfahrens voll beendet wurde, ist das Rubrum des finanzgerichtlichen Urteils dahingehend zu berichtigen, daß das Urteil nicht gegen die KG, sondern gegen die Kläger ergangen ist (zur Berichtigung durch das Revisionsgericht vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 2. Mai 1984 VIII R 276/81 , BFHE 141, 498, BStBl II 1984, 820 m.w.N.).
Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 22. November 1988
2. Einer sachlichen Entscheidung des erkennenden Senats steht nicht entgegen, daß die Klägerin -obgleich sie zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheide bereits aus der KG ausgeschieden war- zum Einspruchsverfahren nicht hinzugezogen wurde (§ 360 Abs. 3 i.V.m. §§ 365, 179 Abs. 2 Satz 2 AO 1977).
Denn nach der Rechtsprechung des BFH wird eine unterbliebene notwendige Hinzuziehung zum Einspruchsverfahren durch die Beteiligung am finanzgerichtlichen Verfahren, sei es als Beigeladener (§ 57 Nr. 3 FGO) oder sei es als Kläger (§ 57 Nr. 1 FGO), geheilt (Urteile vom 19. August 1982
Der Senat sieht in dieser Auffassung jedenfalls dann eine zutreffende Auslegung des Gesetzes, wenn -wie im Streitfall- der Einspruch zurückgewiesen wurde und somit der Regelungsgehalt des allen Beteiligten bekanntgegebenen Gewinnfeststellungsbescheids durch die Rechtsbehelfsentscheidung der Finanzbehörde keine Änderung erfahren hat.
Der II. Senat des BFH hat auf Anfrage des erkennenden Senats mitgeteilt, daß er an seiner Auffassung, nach der die Heilung der im Einspruchsverfahren unterbliebenen notwendigen Hinzuziehung durch die Beiladung zum finanzgerichtlichen Verfahren nur dann einträte, wenn den Beigeladenen auch die Einspruchsentscheidung zugestellt werde (Urteile vom 3. Dezember 1986
Die Auffassung des FG, daß die Verpflichtungen der KG zur Einlösung der Gutmünzen in Höhe des Teilbetrages, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht geleistet werden muß, nicht passiviert werden durften, ist im Ergebnis zutreffend.
1. Nach den für die KG geltenden Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung sind die Verpflichtungen zur Einlösung der ausgegebenen Gutmünzen als "Verbindlichkeiten" in den Bilanzen der KG auszuweisen (§ 38 des Handelsgesetzbuches - HGB - a.F., §
a) Da sich die KG nach den Feststellungen der Vorinstanz durch die Ausstellung und Ausgabe der Gutmünzen gegenüber jedem Inhaber verpflichtete, die Marken unter Anrechnung auf den Kaufpreis (Leistung an Erfüllungs Statt, § 364 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) zurückzunehmen oder die aufgeprägten Geldbeträge bar auszuzahlen, sind die Gutmünzen als sog. kleine Inhaberpapiere i.S. von § 807 BGB zu qualifizieren (vgl. Zöllner, Wertpapierrecht, 14.Aufl., 1987, S. 177 f.). Ungeachtet dessen, für welche Einlösungsform sich der einzelne Inhaber einer Marke entscheidet, entstand jedenfalls aufgrund der Verpflichtung zur Barauszahlung eine nach den Ausgabebedingungen der KG unbedingte und in ihrer Höhe feststehende Verbindlichkeit.
Hierin unterscheiden sich die Verbindlichkeiten der KG zur Einlösung der ausgegebenen Gutmünzen von den dem Grund und der Höhe nach ungewissen Verpflichtungen eines Gewerbetreibenden, der seinen Kunden einen Barzahlungsnachlaß durch Ausgabe von Rabattmarken unter der Bedingung gewährt, daß diese durch die Zahl der zurückgegebenen Marken das Erreichen eines Mindesteinkaufswerts belegen (vgl. hierzu eingehend BFH-Urteil vom 4. Dezember 1959
b) Der Beurteilung der Einlösungsverpflichtungen als Verbindlichkeiten steht nicht entgegen, daß nach den §§ 807 i.V.m. 797 Satz 1 BGB die KG nur gegen Aushändigung der Gutmünzen zur Leistung verpflichtet war. Denn die Vorschrift des § 797 Satz 1 BGB enthält keine Bedingung für das Entstehen der Verbindlichkeit, sondern gewährt dem Aussteller ein Zurückbehaltungsrecht i.S. der §§ 273, 274 BGB mit der Folge, daß er seine Leistungspflicht nur Zug um Zug gegen Aushändigung der Inhabermarke zu erfüllen hat (Hüffer, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2.Aufl., 1986, § 797 Anm. 2).
c) Gegen die Passivierung der Verpflichtungen der KG als Verbindlichkeiten läßt sich weiterhin nicht einwenden, daß nach einer im handelsrechtlichen Schrifttum vertretenen Auffassung Verpflichtungen, die dem Grunde und der Höhe nach feststehen, bereits dann als Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten auszuweisen sind, wenn erhebliche Zweifel darüber bestehen, ob der Schuldner tatsächlich in Anspruch genommen wird (Clemm/Nonnenmacher, a.a.O., § 247 Anm. 361; anderer Ansicht Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft, 4.Aufl., 1968, § 149 Anm. 38). Der Senat kann sich dieser Auffassung nicht anschließen. Denn sie hätte, sofern hiermit auch eine Bewertung der Verbindlichkeiten nach den für Rückstellungen geltenden Grundsätzen zum Ausdruck gebracht werden soll (dazu Schmidt, a.a.O., § 5 Anm. 43 m.w.N.), zur Folge, daß die strengen Voraussetzungen, die nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung an den Nichtausweis bestehender Verbindlichkeiten in der Bilanz des Kaufmanns zu stellen sind, unterlaufen würden (vgl. Abschn.2).
2. Trotz des rechtlichen Bestehens der Einlösungsverpflichtungen war die KG zu den jeweiligen Bilanzstichtagen nicht berechtigt, sämtliche Verbindlichkeiten zu passivieren.
a) Wie der BFH mehrfach ausgesprochen hat, ist die für die Bewertung von Verbindlichkeiten in § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG angeordnete sinngemäße Anwendung des Anschaffungswertprinzips (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG) dahin zu verstehen, daß ihre Bilanzierung -nach den im Steuerrecht zu beachtenden Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung- grundsätzlich zum Nennwert oder zum höheren Teilwert zu erfolgen hat (vgl. §
b) Nach dem handelsrechtlichen Schrifttum widerspricht es jedoch den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung, wenn ein Kaufmann Verbindlichkeiten in seiner Bilanz ausweist, obwohl mit einer Inanspruchnahme durch den Gläubiger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr zu rechnen ist, so daß die -bestehende- rechtliche Verpflichtung für ihn keinerlei wirtschaftliche Bedeutung mehr hat (Hüttemann in Handbuch des Jahresabschlusses in Einzeldarstellungen, Abt.III/8 "Die Verbindlichkeiten", Anm. 41, und in Grundsätze ordnungsgemäßer Bilanzierung für Verbindlichkeiten, 2.Aufl., 1976, S. 9 ff.). Dieser Auffassung hat sich der BFH in seinen NV-Urteilen vom 10. Mai 1984
Der erkennende Senat stimmt dieser Ansicht zu. Er tritt hiermit nicht in Widerspruch zu seinem Urteil vom 17. November 1987
c) Die Geltung dieser Grundsätze wird im Streitfall nicht dadurch in Frage gestellt, daß die nicht passivierbaren Verbindlichkeiten Teil eines Gesamtbestandes gleichartiger Verpflichtungen und angesichts ihres geringen Einzelwerts und den Umständen ihrer Begründung einer individuellen Bestimmung nicht zugänglich sind. Denn eine Bilanzierung zum Nennwert würde den Bestand an Schulden, die den Kaufmann wirtschaftlich belasten, unrichtig wiedergeben (§
d) Der Anwendung einer solchen Schätzungsmethode steht nicht entgegen, daß Schulden des Kaufmanns nach den §§
Rechtsgrund des pauschalen Bewertungsverfahrens ist in Fällen der vorbezeichneten Art, daß die individuelle Ermittlung des Wertes und der Risiken eines einzelnen Bewertungsobjekts unmöglich, schwierig oder unzumutbar erscheint (Urteil in BFHE 134,
e) Für die demnach erforderliche schätzweise Ermittlung derjenigen Verbindlichkeiten, die von der KG mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht erfüllt werden müssen, ist jedoch der Grundsatz der vorsichtigen Bewertung zu beachten (vgl. § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB n.F.; Urteile des BFH vom 27. Mai 1964
Dem Vorsichtsprinzip würde weiterhin eine schätzweise Ermittlung der nicht passivierbaren Verbindlichkeiten getrennt nach den Jahren ihrer tatsächlichen rechtlichen Entstehung am ehesten gerecht. Da die Klägerin jedoch keine Aufzeichnungen über die jährliche Gesamtausgabe und -einlösung der Gutmünzen führte und diese selbst auch kein Ausgabedatum trugen, hat der Senat keine Bedenken, wenn die Verbindlichkeiten, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht erfüllt werden müssen, anhand des Inventurbestands und dem Wert der ausgegebenen Gutmünzen zum jeweiligen Bilanzstichtag, den hiernach als wahrscheinlich anzusehenden Jahresumsatzbeträgen und auf der Grundlage der Erfahrungen in den Vorjahren geschätzt werden. Sofern sich an einem Bilanzstichtag mit hinreichender Bestimmtheit zeigen sollte, daß die Inhaber von Gutmünzen von ihren Forderungsrechten in größerem Umfang als in den Vorjahren Gebrauch machen, wäre auch dieser Umstand nach dem Grundsatz der vorsichtigen Bilanzierung zu berücksichtigen.
3. Die Schätzung des FG entspricht diesen Anforderungen.
Da im Streitjahr 1969 die fünfjährige Mindestfrist seit der erstmaligen Ausgabe der Gutmünzen deutlich überschritten wurde, bestehen -angesichts der Erfahrungswerte aus den Vorjahren- gegenüber der Schätzung der nicht passivierbaren Verbindlichkeiten dem Grunde nach keine Bedenken. Weiterhin nicht zu beanstanden ist -wie bereits dargelegt (siehe oben 2.e)- die Methode (statistisches Wahrscheinlichkeitsmodell) des der gerichtlichen Schätzung zugrunde liegenden Sachverständigengutachtens. Im Ergebnis zutreffend hat die Vorinstanz schließlich als Maßstab seiner Schätzung nicht den wahrscheinlichen Betrag der nicht zu erfüllenden Verpflichtungen, sondern den Nennbetrag der Verpflichtungen angesehen, für die mit "hoher Wahrscheinlichkeit" (99 v.H.) eine Inanspruchnahme nicht zu erwarten ist.