Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 22. Mai 2013
Die Klage wird abgewiesen, soweit das Finanzgericht Münster ihr nicht mit Urteil vom 14. September 2011
Die Kosten des Rechtsstreits bis zum 14. September 2011 haben die Klägerin zu 37 % und der Beklagte zu 63 % zu tragen. Die weiteren Kosten ab dem 15. September 2011 fallen allein der Klägerin zur Last.
I.
Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang.
Die Geschäftsanteile der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), einer GmbH, wurden ursprünglich zu 99 % von der T–S.A. gehalten. Diese veräußerte ihre Beteiligung im Oktober 2003 für 1 € an die M–S.A., bei der es sich nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil um die Muttergesellschaft der T–S.A. handelt.
Am 14. Dezember 2004 erwarben zwei Mitarbeiter der Klägerin sämtliche Geschäftsanteile für je 1 €.
Die Klägerin hatte in der Zeit bis 2004 (Streitjahr) erhebliche Verbindlichkeiten gegenüber den beiden S.A. Mit Aufsichtsratsbeschluss vom 19. Oktober 2004 erließ die T–S.A. der Klägerin Verbindlichkeiten in Höhe von 442.276 €. Die M–S.A., die der Klägerin im Streitjahr bis zur Anteilsveräußerung am 14. Dezember Liquiditätszuschüsse in Höhe von insgesamt 160.000 € jeweils mit dem Verwendungszweck "avance en compte courant" gezahlt hatte, verzichtete im Rahmen des Veräußerungsvertrags vom 14. Dezember 2004 auf alle ihr gegen die Klägerin zustehenden Forderungen. Am 23. Dezember 2004 leistete die M–S.A. eine weitere Zahlung von 95.000 € an die Klägerin mit dem Verwendungszweck "avance en compte courant". Mit Schreiben vom 15. April und 24. Juni 2005 erließ die M–S.A. der Klägerin ihre Forderungen aus den im Streitjahr gewährten Liquiditätszuschüssen von insgesamt 235.000 € sowie eine weitere Forderung von 20.000 €.
In ihrem der Steuererklärung für das Streitjahr zugrundeliegenden Jahresabschluss zum 31. Dezember 2004 erfasste die Klägerin die Forderungsverzichte in Höhe von 442.276 €, 235.000 € und 20.000 € (insgesamt 697.276 €) als außerordentliche Erträge. Die Klägerin beantragte beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt —FA—) am 8. November 2005 unter Hinweis auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 27. März 2003 (sog. Sanierungserlass, BStBl I 2003,
Das FA setzte die Körperschaftsteuer mit bestandskräftig gewordenem Bescheid erklärungsgemäß fest. Den Antrag auf Steuererlass lehnte das FA ab, weil es an der nach dem sog. Sanierungserlass erforderlichen Sanierungsabsicht gefehlt habe. Die Verzichte seien in erster Linie durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst gewesen.
Die dagegen erhobene Klage hatte im ersten Rechtsgang teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) Münster hat den Ablehnungsbescheid des FA mit Urteil vom 14. September 2011
Der erkennende Senat hat jenes FG-Urteil auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin mit Beschluss vom 17. Juli 2012
Im zweiten Rechtsgang hat das FG der Klage auch im Hinblick auf die Forderungsverzichte der M–S.A. stattgegeben und das FA verpflichtet, den Erlassantrag unter Beachtung der Entscheidungsgründe des FG-Urteils neu zu bescheiden (Urteil des FG Münster vom 22. Mai 2013
Gegen das FG–Urteil richtet sich die —vom Senat zugelassene— Revision des FA. Das FA ist nach wie vor der Auffassung, die Forderungsverzichte erfüllten nicht die Voraussetzungen des sog. Sanierungserlasses, weil sie primär durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst seien. Im Übrigen müsse der erst nach Verkauf der Geschäftsanteile geleistete Liquiditätszuschuss der M–S.A. über 95.000 € vom 23. Dezember 2004 als echter Zuschuss angesehen werden, sodass ein Rückforderungsrecht, auf das die M–S.A. hätte verzichten können, nie bestanden habe. Ferner könne sich der im Anteilskaufvertrag vom 14. Dezember 2004 erklärte Forderungsverzicht der M–S.A. zeitlich nicht auf jenen —erst später ausgereichten— Liquiditätszuschuss beziehen.
Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Mit Beschluss vom 13. Juli 2016 hat der erkennende Senat auf Antrag der Beteiligten gemäß § 155 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. §
II.
Die Revision erweist sich als im Ergebnis begründet und führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage, soweit das FG dieser nicht bereits rechtskräftig (mit Urteil vom 14. September 2011
1. Nach § 163 Satz 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Unter denselben Voraussetzungen können gemäß § 227 AO Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder teilweise erlassen werden. Die Entscheidung über die abweichende Steuerfestsetzung oder den Erlass von Steuern ist eine Ermessensentscheidung. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um ein voraussetzungsloses Ermessen. Vielmehr setzen die abweichende Steuerfestsetzung gemäß § 163 AO und der Erlass von Steuern gemäß § 227 AO voraus, dass die Erhebung bzw. Einziehung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre; der Begriff der Unbilligkeit bestimmt Inhalt und Grenzen des Ermessens. Die Voraussetzungen der Unbilligkeit, die sich aus persönlichen oder sachlichen Gründen ergeben können, sind im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung der behördlichen Entscheidung uneingeschränkt zu prüfen (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 255, 482, BStBl II 2017,
2. Soweit das BMF mit dem sog. Sanierungserlass die Auffassung vertreten hat, unter den dort beschriebenen Voraussetzungen sei die Erhebung der auf einen Sanierungsgewinn entfallenden Steuer sachlich unbillig i.S. des § 163 Satz 1 und des § 227 AO, handelt es sich folglich um eine norminterpretierende —nämlich das Merkmal sachlicher Unbilligkeit konkretisierende— Verwaltungsvorschrift, welche die gleichmäßige Auslegung und Anwendung des Rechts sichern soll. Norminterpretierende Verwaltungsvorschriften haben nach ständiger BFH-Rechtsprechung keine Bindungswirkung im gerichtlichen Verfahren. Sie stehen unter dem Vorbehalt einer abweichenden Auslegung der Norm durch die Rechtsprechung, der allein es obliegt zu entscheiden, ob die Auslegung der Rechtsnorm durch die Finanzverwaltung im Einzelfall Bestand hat. Sonach lässt sich der Steuererlass in Fällen, in denen die Unbilligkeit der Besteuerung i.S. der §§ 163 und 227 AO nicht gegeben ist, auch nicht mit einer durch Verwaltungsvorschrift geschaffenen Selbstbindung der Finanzverwaltung und einem darauf gestützten Anspruch des Steuerpflichtigen auf Gleichbehandlung begründen (vgl. wiederum den Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 255, 482, BStBl II 2017,
3. Nach dem Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 255, 482, BStBl II 2017,
4. In Reaktion auf den am 8. Februar 2017 veröffentlichten Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 255, 482, BStBl II 2017,
a) Wenn sich die bisherige Rechtsprechung verschärft oder eine höchstrichterliche Entscheidung von einer bisher allgemein geübten Verwaltungsauffassung abweicht, kann die Finanzverwaltung allerdings gehalten sein, allgemeine Übergangsregelungen bzw. Anpassungsregelungen zu erlassen oder entsprechende Einzelmaßnahmen zu treffen, um den Steuerpflichtigen im Hinblick auf seine im Vertrauen auf die bisherige Rechtslage getroffenen Dispositionen nicht zu enttäuschen (vgl. Senatsurteil vom 31. Oktober 1990
b) Ein schützenswertes Vertrauen des Steuerpflichtigen im vorstehend beschriebenen Sinne ist indessen nur dann gegeben, wenn als Vertrauensgrundlage eine gesicherte, für die Meinung des Steuerpflichtigen sprechende Rechtsauffassung bestanden hat und die Rechtslage nicht als zweifelhaft erschien (BFH-Urteil vom 15. Januar 1986
Entgegen der in der mündlichen Verhandlung vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin vertretenen Auffassung ist auch das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 13. März 2014
c) In der vorliegenden Konstellation ist eine allgemeine verwaltungsseitige "Übergangsregelung" in Form der Anordnung der schlichten Fortgeltung des Sanierungserlasses für alle Altfälle ausgeschlossen, weil eine solche Maßnahme dem Gesetzgeber vorbehalten ist.
aa) Der Große Senat des BFH hat in dem Beschluss in BFHE 255, 482, BStBl II 2017,
bb) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe handelt es sich bei der unterschiedslosen Anwendung des sog. Sanierungserlasses auf sämtliche noch offene "Altfälle" gemäß Ziffer 1 des BMF-Schreibens in BStBl I 2017,
cc) Der Verstoß der Ziffer 1 des BMF-Schreibens in BStBl I 2017,
aaa) Zeitgleich mit der Abfassung des BMF-Schreibens in BStBl I 2017,
Ursprünglich hatte der Bundesrat zwar noch vorgeschlagen, dass die Befreiung von der Einkommensteuer "in allen offenen Fällen" und die Befreiung von der Gewerbesteuer "auch für Erhebungszeiträume vor 2017" anzuwenden sein sollten (BTDrucks 18/11531, S. 9 und 11). Auf eine solche Rückwirkung ist aber in der endgültigen Gesetzesfassung auf Vorschlag des Finanzausschusses des Bundestags verzichtet worden. In der Begründung der Entwurfsfassung des Finanzausschusses heißt es dazu: "Für Steuerfälle, in denen der Schuldenerlass bis zum 8. Februar 2017 ausgesprochen wurde oder in denen bis zum Stichtag eine verbindliche Auskunft erteilt wurde, ist nach dem zur Veröffentlichung im Bundessteuerblatt Teil I vorgesehenen BMF-Schreiben vom 27. April 2017 ... der Sanierungserlass aus Vertrauensschutzgründen weiterhin anwendbar" (BTDrucks 18/12128, S. 33).
bbb) Führt der Gesetzgeber eine steuerliche Begünstigungsregelung ein, nachdem sich durch eine Gerichtsentscheidung herausgestellt hat, dass eine bislang im Billigkeitsweg durchgeführte Verwaltungspraxis gegen das Legalitätsprinzip verstößt, obliegt ihm auch die Entscheidung darüber, ob und auf welche Weise die gesetzliche Begünstigung auf Altfälle anzuwenden ist. Bezieht der Gesetzgeber die Altfälle nicht durch eine Übergangsregelung mit in die Neuregelung ein, steht es der Finanzverwaltung nicht zu, die bisherige Verwaltungspraxis unter Berufung auf Vertrauensschutzgesichtspunkte im Billigkeitsweg fortzusetzen. Verwaltungsanweisungen, mit denen zur Vermeidung unbilliger Ergebnisse generelle Unzulänglichkeiten des Gesetzes —hier: das Fehlen einer Übergangsregelung für Altfälle— korrigiert werden sollen, sind unzulässig (vgl. Lüdicke, a.a.O., S. 274; Loose in Tipke/Kruse, a.a.O., § 163 AO Rz 8, § 227 AO Rz 54a; Oellerich in Beermann/Gosch, AO § 163 Rz 7).
Dass der Finanzausschuss des Deutschen Bundestags sich in der Begründung seines Regelungsvorschlags explizit auf das BMF-Schreiben in BStBl I 2017,
Ebenso wenig ändert es an dieser Erkenntnis etwas, dass sich die gesetzlichen Neuregelungen (Steuerbefreiungstatbestände) auf der Ebene der Steuerfestsetzung auswirken, während über die Begünstigungen nach dem sog. Sanierungserlass im Billigkeitsverfahren zu entscheiden war. Insbesondere hätte nichts dagegen gesprochen, auch jene Altfälle in eine gesetzliche Übergangsregelung einzubeziehen, in denen —wie im Streitfall— die Billigkeitsverfahren noch offen, die Steuern (unter Einbeziehung der Sanierungsgewinne) aber bereits bestandskräftig festgesetzt worden sind.
5. Nach alldem muss der Revision des FA stattgegeben werden, ohne dass es für die Entscheidung auf die zwischen den Beteiligten streitigen Fragen zur Sanierungsabsicht und zum Umfang der verzichtsbedingten Vermögensmehrungen ankommt. Da die Klägerin ihren Antrag nicht mit persönlichen oder einzelfallbezogenen sachlichen Unbilligkeitsgründen begründet hat, ist die Klage in dem noch anhängigen Umfang abzuweisen.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.