Die Klage wird abgewiesen.
2.Die Klägerinnen haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3.Die Revision wird zugelassen.
Streitig ist ein Antrag nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO), mit dem die Herabsetzung des Grundbesitzwerts begehrt wird.
Die Klägerinnen erhielten im Wege einer Schenkung das Eigentum an der in S. gelegenen Wohnung Nr. 1 mit Wirkung zum 07.07.2010 übertragen. Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 16.06.2011 stellte der Beklagte den Grundbesitzwert der Wohnung unter Anwendung der § 151 Abs. 1 Satz 1 Bewertungsgesetz (BewG) i. V. m. § 176 ff BewG für Zwecke der Schenkungsteuer auf 62.183 € gesondert fest. Den Betrag rechnete er den Klägerinnen jeweils zur Hälfte zu. Von der Möglichkeit des § 198 BewG den niedrigeren gemeinen Wert durch ein Wertgutachten nachzuweisen, machten sie in ihrer am 06.05.2011 von der Klägerin zu 2. persönlich beim Beklagten abgegebenen Feststellungserklärung keinen Gebrauch. Die für den Bewertungsstichtag maßgebliche Anleitung für die Anlage Grundstück zur Feststellungserklärung enthielt zu den Zeilen 106 bis 108 "Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts" Hinweise auf die Nachweisführung durch Gutachten oder einen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zustande gekommenen Kaufpreis.
Die Klägerinnen veräußerten die Wohnung Nr. 1 zusammen mit der im Alleineigentum der Klägerin zu 2. stehenden gleichgroßen Wohnung Nr. 2 am 27.09.2011 zum Gesamtpreis von 100.000 €.
Unter Hinweis auf R 198 Abs. 4 ErbStR 2011, wonach ein im gewöhnlichen Geschäftsverkehr innerhalb eines Jahres vor oder nach dem Bewertungsstichtag zustande gekommener Kaufpreis über das zu bewertende Grundstück als Nachweis des niedrigeren gemeinen Wertes dienen kann, beantragten die nunmehr steuerlich vertretenen Klägerinnen mit Schreiben vom 21.05.2014 die Änderung des Bescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO. Zur Begründung beriefen sie sich auf eine Verfügung der OFD Karlsruhe vom 05.09.2013 (
Antrag und Einspruch blieben erfolglos. Der Beklagte führte aus, die Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO scheide mangels einer nachträglich bekannt gewordenen Tatsache aus. Denn das Grundstück sei erst nach der abschließenden Entscheidung des für die Feststellung des Grundbesitzwerts zuständigen Amtsträgers veräußert worden. Die Veräußerung beinhalte ferner kein rückwirkendes Ereignis i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.
Gegen die Einspruchsentscheidungen vom 23.10.2014 haben die Klägerinnen am 24.11.2014 jeweils für sich Klage erhoben, die das Gericht zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Aktenzeichen
Für ihre Klage berufen sich die Klägerinnen im Wesentlichen auf das Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 24.03.2010 (
Die Klägerinnen beantragen,
den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 28.05.2014 über die Ablehnung der Anträge auf Änderung des Feststellungsbescheids vom 16.06.2011, in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 23.10.2014, zu verpflichten, den Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes auf den 07.07.2010 vom 16.06.2011 dahingehend zu ändern, dass der Wert der wirtschaftlichen Einheit mit 50.000 € festgestellt und ihnen jeweils mit 25.000 € zugerechnet wird,
die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht er sich auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Beklagte hat die beantragte Änderung des bestandkräftigen Feststellungsbescheids vom 16.06.2011 mangels einschlägiger Änderungsvorschrift zu Recht abgelehnt.
Gem. § 198 BewG hatten die Klägerinnen die Möglichkeit, einen niedrigeren gemeinen Wert als den nach den §§ 179, 182 bis 196 BewG ermittelten Wert nachzuweisen. Der Nachweis kann bis zur Bestandskraft des Feststellungsbescheides geführt werden. Wird der tatsächliche niedrigere gemeine Wert jedoch erst nach Bestandskraft des Feststellungsbescheides geltend gemacht, kann dieser nur noch berücksichtigt werden, wenn die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO vorliegen (Finanzgericht -FG- Baden-Württemberg, Urteil vom 25.06.2012
Im Streitfall besteht entgegen der Auffassung der Klägerinnen keine Möglichkeit zur Änderung des Feststellungsbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, da die Voraussetzungen der Änderungsvorschrift nicht erfüllt sind. Hiernach ist ein Steuerbescheid zu Gunsten des Steuerpflichtigen zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Nach ständiger Rechtsprechung erfasst der Begriff der "Tatsache" i. S. des § 173 AO jeden Lebenssachverhalt, der Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestands sein kann, also tatsächliche Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften - materieller oder immaterieller Art. Die Tatsachen müssen beim Erlass des ursprünglichen Bescheids bereits existent, aber dem Finanzamt noch nicht bekannt sein. Soweit Tatschen nachträglich entstanden sind und ein rückwirkendes Ereignis darstellen, können diese allenfalls im Rahmen einer Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO berücksichtigt werden. Hingegen umfasst nach allgemeiner Auffassung der Tatsachenbegriff keine Schlussfolgerungen aller Art, rechtliche Würdigungen und Bewertungen, Rechtsansichten und juristische Subsumtionen, bei denen auf Grund von Tatsachen anhand gesetzlicher Vorschriften ein bestimmter Schluss gezogen wird. Da der Wert eines Gegenstands lediglich das Ergebnis der Wertung von Tatsachen ist, die den Wert ausmachen, ist er keine Tatsache (Bundesfinanzhof -BFH- Urteil vom 08.07.2015
Aus den vorstehenden Gründen folgt der Senat nicht der Rechtsauffassung der Klägerinnen und des FG Berlin-Brandenburg, wonach die wertbegründenden Eigenschaften einer Sache ihrerseits Tatsache i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO seien und der bei einem Grundstücksverkauf zu einem unter dem nach steuerlichen Bewertungsvorschriften ermittelten Grundstückswert liegende Kaufpreis eine wertaufhellende Tatsache bzw. ein Beweismittel in Bezug auf den am Bewertungsstichtag bestehenden Verkehrswert. Denn bei Beachtung der zuvor ausgeführten Rechtsgrundsätze stellt ausschließlich der Kaufvertrag vom 27.09.2011 und nicht der Kaufpreis als Würdigung der wertbildenden Faktoren die "neue Tatsache" i.S. der Norm dar. Dem folgt nunmehr auch ausdrücklich die Finanzverwaltung. Die von den Klägerinnen angeführte Rechtsauffassung hat die Finanzverwaltung aufgegeben (vgl. Verfügung des Bayerischen Landesamtes für Steuern vom 12.03.2014,S 3229.1.-1/2 St 34, Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main, 21.08.2014, S 3229 A-03-St 131/St 116, FMNR495310013 sowie der Thüringer Landesfinanzdirektion vom 28.04.2014 S 3229 A -01 - A 6.17/ S 3180 A -01 - A 6.17).
Ferner erfordert nach ständiger Rechtsprechung die Formulierung des § 173 Abs. 1 AO "nachträglich bekannt werden", dass sowohl die entsprechende Tatsache als auch das betreffende Beweismittel zum Zeitpunkt des Erlasses des zu ändernden Bescheides bereits entstanden ("existent") und lediglich dem zuständigen Finanzamt unbekannt gewesen sein müssen (BFH-Urteile vom 26.10.1988
Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt. Zwar ist ein im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zeitnah zum Bewertungsstichtag erzielter Kaufpreis für das zu bewertende Grundstück nach der Rechtsprechung in aller Regel geeignet, gemäß § 198 BewG den Nachweis eines geringeren gemeinen Wertes zu erbringen (vgl. BFH-Urteile vom 08.10.2003
Auch eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO wegen Eintritts eines rückwirkenden Ereignisses scheidet aus. Ein rückwirkendes Ereignis liegt vor, wenn der nach dem Steuertatbestand rechtserhebliche Sachverhalt sich später anders gestaltet und sich steuerlich in der Weise in die Vergangenheit auswirkt, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 19.07.1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897). Da sich der vom Beklagten bei der Bewertung der Wohnung nach §§ 176 ff. BewG zugrunde gelegte Sachverhalt durch den Abschluss des Kaufvertrages nicht nachträglich geändert, sind die Voraussetzungen der Norm nicht erfüllt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Dem Antrag auf Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren war wegen der Klageabweisung nicht stattzugeben. Die Revision war wegen § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen, da das Urteil von der Entscheidung des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg (
Revision eingelegt: BFH - AZ:
Nachfolgeinstanz: BFH - AZ: