Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 26. Oktober 2016
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
I.
Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigung eines Verlusts im Rahmen einer (Antrags–)Veranlagung gemäß § 32d Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr (2013) geltenden Fassung (EStG).
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) hatte in den Jahren 2009 und 2010 über die Sparkasse X 800 Inhaber-Stammaktien der G–SE zu Anschaffungskosten in Höhe von insgesamt 5.759,78 € erworben. Einen Teil dieser Aktien (auf die Anschaffungskosten in Höhe von 3.817,40 € entfielen) veräußerte er am 21. Oktober 2013 zu einem Gesamtverkaufspreis von 8 € an die Sparkasse X, wobei diese in gleicher Höhe Transaktionskosten einbehielt. Die restlichen Aktien (auf die Anschaffungskosten in Höhe von 1.942,38 € entfielen) veräußerte er am 20. Dezember 2013 zu einem Gesamtverkaufspreis von 6 € an die Sparkasse X, wobei diese wiederum Transaktionskosten in Höhe des Kaufpreises berechnete.
Die Sparkasse X buchte den Verlust in Höhe von insgesamt 5.759,78 € unter Verweis auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 9. Oktober 2012 IV C 1–S 2252/10/10013 (BStBl I 2012,
In seiner Einkommensteuererklärung 2013 erklärte der Kläger den Verlust in Höhe von 5.759,78 € bei den Einkünften aus Kapitalvermögen und stellte u.a. den Antrag auf Überprüfung des Steuereinbehalts gemäß § 32d Abs. 4 EStG. Daneben gab er positive Kapitalerträge in Höhe von 9.541 € an, davon entfielen 6.839 € auf Gewinne aus Aktienveräußerungen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) berücksichtigte die Verluste im Einkommensteuerbescheid 2013 vom 22. Oktober 2014 wegen der fehlenden Steuerbescheinigung nicht.
Den Einspruch des Klägers wies das FA mit der Begründung, es liege keine Veräußerung vor, weil der Veräußerungspreis die Transaktionskosten nicht übersteige (BMF-Schreiben in BStBl I 2012,
Hiergegen wendet sich die vom FG zugelassene Revision des FA, der das BMF beigetreten ist. Sie tragen im Wesentlichen vor, es liege ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 der Abgabenordnung (AO) vor. Für den Kläger habe der einzige Zweck beim Aktienverkauf gegen einen nur symbolischen, nicht dem realen Wert entsprechenden Kaufpreis darin bestanden, in den Genuss einer Steuerminderung zu kommen. Faktisch hätten die Vertragsparteien einen Veräußerungspreis von 0 € vereinbart. Dieses wirtschaftliche Ergebnis habe der Kläger auch erzielen können, wenn er die Aktien in seinem Depot belassen hätte. Die Papiere wären dann wegen ihrer Wertlosigkeit aus seinem Depot schlicht ausgebucht worden. Die Ausbuchung stelle aber weder eine Veräußerung i.S. von § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG dar noch liege einer der Ersatztatbestände des § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG vor; jedenfalls wäre der Verlust in diesem Fall nicht bereits im Streitjahr angefallen.
Das FA beantragt,
das angefochtene Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Das BMF hat keinen Antrag gestellt.
II.
Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
1. Das FG ist zu Recht von einem steuerlich anzuerkennenden Verlust gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 4 Satz 1 EStG ausgegangen, der aufgrund des Antrags des Klägers im Rahmen der (Antrags–)Veranlagung nach § 32d Abs. 4 EStG mit Gewinnen des Klägers aus Aktienveräußerungen zu verrechnen ist (§ 20 Abs. 6 Satz 4 EStG).
a) Gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch Gewinne aus der Veräußerung von Aktien. Vom Anwendungsbereich des Gesetzes ist gemäß § 20 Abs. 4 und Abs. 6 EStG auch ein negativer Gewinn —ein Veräußerungsverlust— erfasst (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 12. Januar 2016
Eine Veräußerung i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG ist die entgeltliche Übertragung des —zumindest wirtschaftlichen— Eigentums auf einen Dritten (vgl. nur BFH-Urteil vom 12. Mai 2015
Weitere Tatbestandsmerkmale als den entgeltlichen Rechtsträgerwechsel stellt das Gesetz nicht auf (Niedersächsisches FG, Urteil vom 21. Mai 2014
b) Nach den bindenden Feststellungen des FG hat der Kläger die Anteile an der G-SE im Streitjahr gegen einen Kaufpreis von 8 € bzw. 6 € —und damit entgeltlich— auf einen Dritten übertragen. Es liegen deshalb Veräußerungen i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG vor, was auch das FA und das BMF im Revisionsverfahren nicht mehr in Abrede gestellt haben.
c) Der nach § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG zu ermittelnde Verlust aus den Veräußerungsgeschäften beträgt unstreitig insgesamt 5.759,78 €.
2. Entgegen der Auffassung des FA und des BMF liegt kein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten i.S. des § 42 AO vor.
a) Nach § 42 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Ein Missbrauch nach § 42 Abs. 2 Satz 1 AO ist gegeben, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt.
Das Motiv, Steuern zu sparen, macht eine Gestaltung noch nicht unangemessen (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 29. November 1982 GrS 1/81, BFHE 137, 433, BStBl II 1983, 272, unter C.III., und BFH-Urteil vom 29. Mai 2008 IX R 77/06, BFHE 221,
b) Nach diesen Grundsätzen liegt hier kein Missbrauch i.S. des § 42 AO vor.
Der Kläger verfolgte das Ziel, sich von den nahezu wertlosen Wertpapieren durch Übertragung auf einen Dritten zu trennen. Dieses Ziel war (sinnvoll) nicht anders als durch eine Veräußerung zu erreichen. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG sieht die Veräußerung von Aktien ausdrücklich vor und unterwirft sie der Besteuerung. Der Kläger hat daher nicht gegen eine vom Gesetzgeber vorgegebene Wertung verstoßen, sondern lediglich von einer ihm durch das Gesetz eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht. Daran ändert sich nichts dadurch, dass ein Verlustgeschäft vorliegt, denn auch Veräußerungsverluste werden, wie ausgeführt (oben unter II.1.a), vom Anwendungsbereich des § 20 EStG erfasst.
Selbst wenn, wie das FA meint, wegen der Höhe der Transaktionskosten wirtschaftlich eine Veräußerung zum Preis von 0 € anzunehmen wäre, läge kein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten vor. Nach gefestigter Rechtsprechung des BFH stellte vielmehr auch diese Gestaltung ohne Weiteres —als Übertragung wertloser Anteile ohne Gegenleistung— eine Veräußerung i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG dar (vgl. oben unter II.1.a). Die Argumente des FA, es liege ein wirtschaftlich sinnloses Geschäft vor, geht ebenfalls fehl. Das anzuerkennende wirtschaftliche Ziel des Klägers bestand in der Veräußerung der Aktien als solcher, unabhängig vom erzielbaren Ertrag. (Mutmaßliche) Vor– oder Nachteile des Erwerbers aus dem Veräußerungsgeschäft sind im Rahmen der vorliegenden Prüfung unerheblich.
Der Kläger durfte sich im Hinblick auf mögliche steuerliche Auswirkungen auch für die Veräußerung noch im Streitjahr entscheiden. Soweit das Steuergesetz an freie wirtschaftliche Dispositionen —hier Aktienveräußerungen— anknüpft, liegt es in der Natur der Sache, dass der Steuerpflichtige den Zeitpunkt bzw. Zeitraum der Besteuerung bestimmen kann. Es steht grundsätzlich in seinem Belieben, ob, wann und mit welchem Ertrag er Wertpapiere erwirbt und wieder veräußert (vgl. BFH-Urteil vom 25. August 2009
Die vom FA angeführte alternative Handlungsmöglichkeit, die Wertpapiere nicht zu veräußern, sondern im Depot zu belassen, damit sie "dann" (irgendwann) "schlicht" ausgebucht würden, ignoriert das wirtschaftliche Ziel des Klägers, sich sofort von den Wertpapieren zu trennen, und kann daher nicht als "angemessene Gestaltung" nach § 42 Abs. 2 Satz 1 AO zum Vergleich herangezogen werden. Ungeachtet hier nicht zu klärender Fragen über die zivil- und steuerrechtliche Einordnung und die tatsächlichen Bedingungen einer Ausbuchung darf die Dispositionsfreiheit des Klägers nicht durch steuerliche Sanktionen derart eingeschränkt werden, dass er sich auf unbestimmte Zeit nicht von (lästig gewordenen) Aktien trennen kann.
3. Nach zutreffender Auffassung des FG steht die Regelung des § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG der Verlustverrechnung nicht entgegen. Diese Vorschrift, nach der Verluste aus Kapitalvermögen, die der Kapitalertragsteuer unterliegen, nur verrechnet werden dürfen, wenn eine Bescheinigung der auszahlenden Stelle i.S. des § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG vorliegt, dient der Verhinderung eines doppelten Verlustabzugs. Eine solche Gefahr ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Die Sparkasse X ging aufgrund der veröffentlichten Auffassung der Finanzverwaltung davon aus, dass der erzielte Verlust einkommensteuerrechtlich unbeachtlich war. Es ist daher ausgeschlossen, dass der Verlust doppelt berücksichtigt wird. Es wäre reiner Formalismus, in diesem Fall für die Verlustverrechnung eine Bescheinigung i.S. des § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG zu verlangen (Senatsurteile vom 20. Oktober 2016