BVerfG - Urteil vom 24.06.1958
2 BvF 1/57
Normen:
BVerfGG § 76 Nr. 1 ; EStDV 1955 § 49 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3 ; EStG 1955 § 10b ; EStG 1957 § 10b ; GG Art. 3 Abs. 1 Art. 21 Abs. 1 S. 1, S. 4 Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 ; KStDV 1955 § 26 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3 ; KStG 1955 § 11 Nr. 5 ; KStG 1957 § 11 Nr. 5 ;
Fundstellen:
BVerfGE 8, 51
BB 1958, 656
DÖV 1958, 577
NJW 1958, 1131

Verfassungswidrigkeit steuerrechtlicher Vorschriften wegen Verletzung der Chancengleichheit politischer Parteien

BVerfG, Urteil vom 24.06.1958 - Aktenzeichen 2 BvF 1/57

DRsp Nr. 1996/7360

Verfassungswidrigkeit steuerrechtlicher Vorschriften wegen Verletzung der Chancengleichheit politischer Parteien

»1. Da die Abhaltung von Wahlen eine öffentliche Aufgabe ist und den Parteien bei der Durchführung dieser öffentlichen Aufgabe von Verfassungs wegen eine entscheidende Rolle zukommt, ist es zulässig, nicht nur die Wahlen selbst, sondern auch für die die Wahlen tragenden politischen Parteien finanzielle Mittel von Staats wegen zur Verfügung zu stellen.2. Auch ein Gesetz, das in seinem Wortlaut eine ungleiche Behandlung vermeidet und seinen Geltungsbereich abstrakt-allgemein umschreibt, widerspricht dem Gleichheitssatz dann, wenn sich aus seiner praktischen Auswirkung eine offenbare Ungleichheit ergibt und diese ungleiche Auswirkung gerade auf die rechtliche Gestaltung zurückzuführen ist. Nicht die äußere Form, sondern der materiell-rechtliche Gehalt ist entscheidend.3. Der Gesetzgeber ist nicht verpflichtet, bestehende faktische, auf der unterschiedlichen soziologischen Struktur der politischen Parteien beruhende Verschiedenheiten der Wettbewerbschancen auszugleichen. Aber er darf nicht ohne zwingenden Grund eine Regelung treffen, die eine schon bestehende faktische Ungleichheit der Wettbewerbschancen der Parteien verschärft.