19.4 Grunderwerbsteuer beim Share Deal

...

19.4.3 Anteilsvereinigung in einer Hand (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 und 2 GrEStG)

19.54

Nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 GrEStG wird Grunderwerbsteuer ausgelöst, wenn sich erstmals unmittelbar oder mittelbar mindestens 90 % der Anteile am Gesellschaftsvermögen einer immobilienhaltenden Gesellschaft in der Hand eines Erwerbers vereinigen. Diese Vorschrift findet sowohl auf Personen- als auch auf Kapitalgesellschaften Anwendung. Vorrangig sind jedoch § 1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG zu prüfen, da § 1 Abs. 3 GrEStG diesen gegenüber subsidiär ist. § 1 Abs. 3 GrEStG sollte bei Personen- und Kapitalgesellschaften nur dann zur Anwendung kommen können, wenn die in § 1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG geregelten Zehnjahresfristen verstrichen sind.

19.55

Insoweit ist in Fällen des Share Deals jedoch die Auffassung der Finanzverwaltung zu beachten, dass im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ("Signing") und des Vollzugs ("Closing") jeweils gesonderte Erwerbstatbestände nach § 1 Abs. 2a oder Abs. 2b GrEStG und § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 3 GrEStG vorliegen sollen, die jeweils eigenständig der Finanzverwaltung angezeigt werden sollen (vgl. hierzu Rdnr. 19.32).

19.56

Beispiel

Rechtslage bis zum 30.06.2021:

V hält sämtliche Anteile an einer immobilienhaltenden GmbH & Co. KG. Die Komplementär-GmbH ist am Vermögen der KG nicht beteiligt. Im Jahr 2014 erwirbt der Investor (I) 94,9 % der KG-Anteile von V. Im Jahr 2020 erwirbt I die übrigen 5,1 % der Anteile, so dass er nunmehr sämtliche Anteile an der KG hält.

Lösung

Beim Erwerb der 94,9 % fällt keine Grunderwerbsteuer an, da die 95-%-Grenze in § 1 Abs. 2a GrEStG nicht überschritten wird. Beim Hinzuerwerb der verbleibenden 5,1 % der Anteile im Jahr 2020 wird zwar die 95-%-Grenze überschritten, jedoch handelt es sich bei I zu diesem Zeitpunkt bereits um einen Altgesellschafter, so dass der Tatbestand des § 1 Abs. 2a GrEStG nicht erfüllt wird. Allerdings liegt eine steuerbare Anteilsvereinigung in einer Hand nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG vor. Dieser Erwerb ist jedoch nach § 6 Abs. 2 GrEStG i.H.v. 94,9 % von der Grunderwerbsteuer befreit, da I in den vorangegangenen fünf Jahren bereits in eben dieser Höhe an der KG beteiligt war (vgl. § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG). Danach fällt Grunderwerbsteuer im Ergebnis nur auf 5,1 % des Grundbesitzwerts der von der KG gehaltenen Immobilien an. Steuerschuldner der Grunderwerbsteuer ist der I (vgl. § 13 Nr. 5a GrEStG).

19.57

Das vorstehende Beispiel zeigt eine klassische RETT-Blocker-Gestaltung bei Immobilienobjektgesellschaften in der Rechtsform der KG. Um diese Gestaltung zu verhindern, wurde - neben der Absenkung der grunderwerbsteuerauslösenden Beteiligungsschwelle von 95 % auf 90 % und der Verlängerung der Frist von fünf auf zehn Jahre in § 1 Abs. 2a GrEStG - auch die Vorbehaltensfrist des § 6 Abs. 4 Nr. 3 GrEStG zur Inanspruchnahme der Steuervergünstigung von fünf auf 15 Jahre (!) verlängert. Genau die vorstehende Gestaltung will die fünfzehnjährige Vorbehaltensfrist des § 6 Abs. 4 Nr. 3 GrEStG verhindern.

19.58

Beispiel

Rechtslage ab dem 01.07.2021:

V hält sämtliche Anteile an einer immobilienhaltenden GmbH & Co. KG. Die Komplementär-GmbH ist am Vermögen der KG nicht beteiligt. Im August 2022 erwirbt der Investor (I) 89,9 % der KG-Anteile von V. Im September 2037 erwirbt I die übrigen 10,1 % der Anteile, so dass er nunmehr sämtliche Anteile an der KG hält.

Lösung

Beim Erwerb der 89,9 % fällt keine Grunderwerbsteuer an, da die 90-%-Grenze in § 1 Abs. 2a GrEStG nicht überschritten wird. Beim Hinzuerwerb der verbleibenden 10,1 % der Anteile im September 2037 wird zwar die 90-%-Grenze überschritten, jedoch handelt es sich bei I zu diesem Zeitpunkt bereits um einen Altgesellschafter, so dass der Tatbestand des § 1 Abs. 2a GrEStG nicht erfüllt wird. Allerdings liegt eine steuerbare Anteilsvereinigung in einer Hand nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG vor. Dieser Erwerb ist jedoch nach § 6 Abs. 2 GrEStG i.H.v. 89,9 % von der Grunderwerbsteuer befreit, da I in den vorangegangenen 15 Jahren bereits in eben dieser Höhe an der KG beteiligt war (vgl. § 6 Abs. 4 Nr. 3 GrEStG). Danach fällt Grunderwerbsteuer im Ergebnis nur auf 10,1 % des Grundbesitzwerts der von der KG gehaltenen Immobilien an. Steuerschuldner der Grunderwerbsteuer ist der I (vgl. § 13 Nr. 5a GrEStG).

In diesem Beispiel besteht alternativ die Möglichkeit, dass die bei V verbliebene Beteiligung von 10,1 % bereits nach Ablauf von zehn Jahren (also nach Ablauf der in § 1 Abs. 2a GrEStG geregelten Zehnjahresfrist) nicht von I selbst, sondern vielmehr von einem Co-Investor erworben wird. In diesem Fall würde keinerlei Grunderwerbsteuer ausgelöst werden.