Änderungen im Steuerrecht: Wann greift der Vertrauensschutz?

Wann darf auf den Bestand von Steuergesetzen vertraut werden? Der BFH hat entschieden, dass bei bilanzierenden Steuerpflichtigen der Vertrauensschutz vor unecht rückwirkenden Gesetzen nicht über mindestens zwei Veranlagungszeitraumwechsel hinweg gewährt werden muss. Der BFH klärte zudem, inwieweit die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Rückwirkung im Steuerrecht übertragbar sind.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in seiner Entscheidung vom 24.02.2022 (III R 9/20) die Grundsätze zur unechten Rückwirkung von Gesetzen konkretisiert.

Sachverhalt im Besprechungsfall

Die Kläger sind die Erben des Erblassers E. E hielt eine atypisch stille Unterbeteiligung am Kommanditanteil einer KG eines seiner Kinder. E kündigte das Unterbeteiligungsverhältnis fristgerecht. Das Auseinandersetzungsguthaben wurde in Raten in den Jahren 2001 bis 2012 ausgezahlt. 

Zwischen der Kündigung 1998 und dem Eintritt der Kündigungsfolgen im Jahr 2000 wurde § 34 Abs. 1 EStG für E nachteilig geändert. Das Finanzamt wendete im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2000 die nachteilige Regelung an. Einspruch und Klage des E blieben erfolglos. Der BFH folgte dem. 

Entscheidung im Besprechungsfall

Für den BFH liegt weder ein Fall der verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässigen echten Rückwirkung bzw. der Rückbewirkung von Rechtsfolgen noch ein Fall der einer echten Rückwirkung nahestehenden, an besonders strengen Kriterien zu messenden rückwirkenden Änderung des Steuerrechts für den laufenden Veranlagungszeitraum vor. 

Die Gesetzesänderung erfolgte bereits im Jahr 1999 und die Einkommensteuerschuld entstand erst mit Ablauf des Jahres 2000. 

Es gelten somit die Maßstäbe, welche die Rechtsprechung für die Fälle einer unechten Rückwirkung bzw. einer Rückanknüpfung belastender Rechtsfolgen entwickelt hat, die erst in einem zukünftigen Veranlagungszeitraum eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits vorher ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst wurden. 

Die Beendigung der Unterbeteiligung des E und damit die Besteuerung des Veräußerungserlöses im Jahr 2000 waren durch in der Vergangenheit liegende Umstände - die Vereinbarung aus dem Jahr 1992 und die mit Schreiben aus dem Jahr 1998 ausgesprochene Kündigung - bereits umgesetzt worden, bevor der Gesetzesentwurf in den Bundestag eingebracht und das Gesetz im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde. 

Nach Ansicht des BFH sind § 34 Abs. 1 und § 52 Abs. 47 EStG 1999/2000 mit den Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes vereinbar. Für den BFH liegen keine Umstände, die im Streitfall besondere Momente überwiegender Schutzwürdigkeit des E begründen könnten, vor. 

E hat noch keine zeitnahen Dispositionen getroffen. Insbesondere gibt es keinen Erfahrungssatz, wonach für die Ermittlung stiller Reserven und das Aufstellen einer Bilanz ein längerer Vorlauf oder eine längere Kündigungsfrist als ein Jahr notwendig ist. 

Zudem begründet die bloße Erwartung, etwaige Gewinne später zu einem ermäßigten Steuersatz versteuern zu können, keinen gesteigerten Grad an Abgeschlossenheit, der zur Verfassungswidrigkeit führen könnte. Bei Gewinneinkunftsarten, insbesondere bei den gewerblichen Einkünften, sind Wertzuwächse grundsätzlich bis zuletzt steuerverhaftet. 

Die bloße Hoffnung oder Erwartung, dass Vermögensgegenstände, auf denen stille Reserven ruhen, bis zur Betriebsaufgabe oder bis zur Veräußerung im Betriebsvermögen bleiben und die Einkommensteuer danach (nach altem Recht) zum halben durchschnittlichen Steuersatz bemessen werden wird, hat nichts mit einem besonderen Grad an Abgeschlossenheit des Vorgangs zu tun und ist auch im Übrigen nicht besonders schutzwürdig. 

Einen allgemeinen (Vertrauens-)Schutz vor zukünftigen steuerrechtlichen Änderungen in Bezug auf noch nicht realisierte und nicht verfestigte Wertsteigerungen im Bereich der gewerblichen Einkünfte gibt es nicht. 

Praxishinweis: Der BFH hat die Grundsätze zur unechten Rückwirkung weiter konkretisiert: Bei bilanzierenden Steuerpflichtigen ist Vertrauensschutz gegenüber unecht rückwirkenden Gesetzen nicht über mindestens zwei Veranlagungszeitraumwechsel hinweg zu gewähren. 

 

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) „Rückwirkung im Steuerrecht III“ (v. 07.07.2010) ist nicht nur auf Arbeitnehmerabfindungen zugeschnitten. Hingegen sind die BVerfG-Beschlüsse „Rückwirkung im Steuerrecht I und II“ (v. 07.07.2010) wegen des Dualismus der Einkunftsarten auf Vermögenszuwächse im Gewerbebetrieb nicht übertragbar.

BFH, Urt. v. 24.02.2022 - III R 9/20

Axel Scholz, RA und StB, FA für Steuerrecht

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