Steuerberatung -

Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bei mehreren Wohnsitzen

Hat ein Arbeitnehmer mehrere Wohnungen, so kann die Wohnung, die nicht der Arbeitsstätte am nächsten liegt, auch dann den Mittelpunkt des Lebensinteresses des Arbeitnehmers i.S.d. § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Satz 7 EStG bilden, wenn sie nur gelegentlich aufgesucht wird, solange der Steuerpflichtige ausschließlich an diesem Ort seine Freizeit verbringt und seine familiären Wurzeln hat.

Zum Sachverhalt:
Der Kläger hat seine Arbeitstätte in Y. Zusammen mit seiner Ehefrau wohnte er zunächst vier Jahre lang in X . Danach zogen sie nach A, wo sie eine Doppelhaushälfte erworben hatten. In A waren die Kläger, die oftmals bis spät in den Abend arbeiteten, am Aufbau von nachbarschaftlichen Beziehungen nicht interessiert. Die bestehenden Beziehungen zu Verwandten und Freunden waren auf den in X bestehenden Freundes- und Bekanntenkreis des Ehemanns ausgerichtet. Die Wohnung in A war als Erstwohnsitz der Kläger angemeldet, die Wohnung in X als Zweitwohnsitz. In der Einkommensteuer-Erklärung machte der Kläger Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte von A , in geringem Unfang aber auch von X aus als Werbungskosten geltend.

Das Finanzamt lehnte die Anerkennung der Fahrten von X aus mit dem Hinweis ab, dass sich nach Aktenlage der Lebensmittelpunkt in A befinde. Die Kläger gaben gegenüber dem Finanzamt an, dass der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in X liege, weil sie dort gemeinsam mit der pflegebedürftigen Mutter ein Haus bewohnten und ihre gesamte Freizeit dort verbringen würden.

Entscheidung des Gerichts:
Nach den Feststellungen des Finanzgerichts bildete die Wohnung in X den Mittelpunkt der Lebensinteressen der Kläger. Wo eine Person den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen hat, wird bestimmt durch die persönlichen Beziehungen zu diesem Ort und die Art und Weise, wie die Beziehungen aufrechterhalten werden. Die persönlichen Beziehungen können ihren Ausdruck besonders in Bindungen an Personen (Eltern, Verlobte, Freundes- und Bekanntenkreis) finden, aber auch z.B. in Vereinszugehörigkeiten und anderen Aktivitäten. Hierdurch kann sich eine Person an einem Ort besonders verwurzelt fühlen (s. BFH-Urteil vom 20.12.1982 - VI R 64/81, BStBl II 1983, 306 unter 2b) dd), am Ende).

Der Ort, zu dem ein Arbeitnehmer besondere Beziehungen hat, kann aber nur dann als Mittelpunkt der Lebensinteressen angesehen werden, wenn sich der Arbeitnehmer nachhaltig dort aufhält. Nur dann ist der Schluss gerechtfertigt, dass der Arbeitnehmer die Bindungen nicht nur durch gelegentliche Besuchsfahrten, sondern dadurch aufrechterhält, dass er weitgehend dort lebt (BFH-Urteil vom 13.12.1985, BStBl II 1986,221). In seinem Urteil vom 10.11.1978 (VI R 240/74; BStBl II 1979, 224) hat der BFH den Mittelpunkt der Lebensinteressen eines Ledigen in einer Wohnung bejaht, weil dieser, von den Abenden an den Wochenarbeitstagen abgesehen, seine gesamte Freizeit am Ort dieser Wohnung verbracht hatte.

Dass der Kläger von A aus mehr Fahrten zu seiner Arbeitsstätten durchführte als von X aus, änderte für das FG nichts am gefundenen Ergebnis. Denn selbst wenn eine zweite Wohnung nur wenig mehr als gelegentlich aufgesucht wird, kann sie den Mittelpunkt des Lebensinteresses des Arbeitnehmers bilden. Ebenso wenig ausschlaggebend war, dass die Kläger in A ein eigenes Einfamilienhaus besaßen und der Kläger mit seiner Ehefrau während der Woche dort lebte.

Quelle: FG Baden-Württemberg - Urteil vom 09.06.06