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Vorsteuer: EuGH ermöglicht rückwirkende Rechnungsberichtigung

Kann sich eine Rechnungsberichtigung auch auf die Vergangenheit auswirken, so dass ein Vorsteuerabzug rückwirkend möglich wird? Der EuGH hat das zuletzt in einem Fall bejaht, in dem Rechnungen zuvor keine Steuernummer bzw. Umsatzsteuer-Identifikationsnummer enthielten. In einem weiteren Verfahren ermöglichten die EuGH-Richter einen Vorsteuerabzug bei anderweitigen formellen Rechnungsmängeln.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in zwei aktuellen Entscheidungen dazu Stellung genommen, ob eine rückwirkende Rechnungsberichtigung möglich ist und welche Angaben für einen Vorsteuerabzug erforderlich sind. Die eine Entscheidung erging zum deutschen Umsatzsteuerrecht, während die andere Entscheidung das portugiesische Recht betraf.

Sachlage im Verfahren „Senatex“

In dem Verfahren zum deutschen Recht tritt die Senatex GmbH als Klägerin vor dem Finanzgericht Niedersachsen (FG) auf. Senatex betreibt einen Großhandel mit Textilien. In ihren Steuererklärungen für die Jahre 2008 bis 2011 machte sie den Vorsteuerabzug geltend sowohl aus Provisionsabrechnungen, die sie an ihre Handelsvertreter erteilte, als auch aus Rechnungen eines Werbegestalters. Bei einer Außenprüfung im Jahr 2013 stellte das Finanzamt fest, dass diese Rechnungen allesamt nicht die Steuernummer oder die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer ihres Empfängers enthielten – und versagte den Vorsteuerabzug.

Daraufhin wurden die betreffenden Rechnungen derart berichtigt, dass sie um die Angabe der Steuernummer bzw. Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des jeweiligen Empfängers ergänzt wurden. Dies geschah teils noch während der Außenprüfung, teils während des sich anschließenden Einspruchsverfahrens, in dem sich Senatex gegen die aufgrund der Außenprüfung geänderten Umsatzsteuerbescheide wandte. Gleichwohl hielt das zuständige Finanzamt auch mit dem Einspruchsbescheid an seiner Auffassung fest. Das angerufene FG wandte sich an den EuGH mit einem Vorabentscheidungsersuchen. Der EuGH sollte klären,

  • ob seine Feststellung, dass die erstmalige Rechnungserstellung nur Wirkung für die Zukunft hat, bezüglich der Ergänzung einer unvollständigen Rechnung durch zwei aktuellere seiner Urteile insoweit relativiert ist, als dass er in einem solchen Fall im Ergebnis eine Rückwirkung zulassen wollte;
  • wie die Mindestanforderungen an eine der Rückwirkung zugängliche berichtigungsfähige Rechnung sind, und dabei insbesondere, ob die ursprüngliche Rechnung bereits eine Steuernummer oder Umsatzsteuer-Identifikationsnummer enthalten muss, oder ob diese Angabe später ergänzt werden kann mit der Folge, dass der Vorsteuerabzug aus der ursprünglichen Rechnung erhalten bleibt;
  • ob die Rechnungsberichtigung noch rechtzeitig ist, wenn sie erst im Rahmen eines Einspruchsverfahrens erfolgt, das sich gegen die Entscheidung – also den Änderungsbescheid – der Finanzbehörde richtet.

Entscheidung des EuGH

Der EuGH lässt einen rückwirkenden Vorsteuerabzug nach einer Rechnungsberichtigung zu.

Er leitet seine Begründung hierfür aus dem grundsätzlichen Prinzip der Mehrwertsteuerneutralität ab: Durch den Vorsteuerabzug soll der Unternehmer vollständig von der im Rahmen aller seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden, und zwar unabhängig von dem Zweck oder dem Ergebnis der Tätigkeiten, sofern diese selbst grundsätzlich der Mehrwertsteuer unterliegen.

Nach EU-Recht entsteht das Recht auf Vorsteuerabzug, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht. Voraussetzung dafür ist zum einen, dass der Betroffene Steuerpflichtiger ist. Zum anderen müssen die zur Begründung des Abzugsrechts angeführten Gegenstände oder Dienstleistungen vom Steuerpflichtigen auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet und auf einer vorausgehenden Umsatzstufe von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert oder erbracht werden.

Zwar ist es formelle Voraussetzung, dass der Steuerpflichtige eine ordnungsgemäß ausgestellte Rechnung besitzt. Insbesondere muss auf dieser Rechnung die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer angegeben sein, unter der der Steuerpflichtige die Gegenstände geliefert oder die Dienstleistung erbracht hat. Jedoch stellt der EuGH zunächst fest, dass es möglich ist, eine Rechnung zu berichtigen, in der bestimmte zwingende Angaben fehlen.

Des Weiteren ist das Recht auf Vorsteuerabzug grundsätzlich für den Zeitraum auszuüben, in dem zum einen dieses Recht entstanden ist und zum anderen der Steuerpflichtige im Besitz einer Rechnung ist. Hinzu kommt, dass das Grundprinzip der Mehrwertsteuerneutralität verlangt, dass der Vorsteuerabzug gewährt wird, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Bedingungen nicht genügt hat.

Nachzahlungszinsen auf die vor einer Berichtigung der ursprünglich ausgestellten Rechnung als geschuldet angesehenen Mehrwertsteuerbeträge entsprechen aus Sicht des EuGH einer aus der Mehrwertsteuer resultierenden steuerlichen Belastung. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem garantiert aber die Neutralität dieser Steuer. Für den EuGH sind Nachzahlungszinsen als Sanktion eines formellen Mangels schließlich unverhältnismäßig, angemessener wäre eine Geldbuße oder eine finanzielle Sanktion, die von der Schwere des Verstoßes abhängt.

Sachlage im Verfahren „Barlis 06“

Die Barlis S.A. betreibt Hotels mit Restaurants. In den Jahren 2008 bis 2010 nahm Barlis juristische Dienstleistungen einer Anwaltskanzlei in Anspruch, über die vier Rechnungen ausgestellt wurden. Als Leistungsbeschreibung war in diesen – jeweils unter Angabe eines bestimmten Zeitraums – „erbrachte juristische Dienstleistungen“ angegeben. Barlis übte ihr Recht auf Abzug der in diesen Rechnungen ausgewiesenen Mehrwertsteuer aus.

Bei einer steuerlichen Betriebsprüfung wurden die Beschreibungen in den Rechnungen als unzureichend angesehen und Mehrwertsteuerberichtigungen vorgeschlagen. Daraufhin legte Barlis Anlagen zu den Rechnungen vor, in denen detailliertere Beschreibungen enthalten waren. Die zuständigen Behörden hielten jedoch an den Berichtigungen fest und wiesen den dagegen gerichteten Einspruch von Barlis zurück, woraufhin Barlis ein Schiedsgericht anrief.

Dieses wiederum rief den EuGH an, um klären zu lassen, ob die verwendete Bezeichnung „Erbringung juristischer Dienstleistungen ab einem bestimmten Datum bis zum heutigen Tag“ oder lediglich „Erbringung juristischer Dienstleistungen bis zum heutigen Tag“ als unzureichend eingestuft werden kann, wenn berücksichtigt wird, dass die zuständige Behörde nach dem Grundsatz der Zusammenarbeit die ergänzenden Informationen anfordern kann, die sie zur Bestätigung der Erbringung und der detaillierten Merkmale der Leistungen für erforderlich erachtet.

Entscheidung des EuGH

Der EuGH führt aus, dass Rechnungen nur die gemäß EU-Recht geforderten Angaben enthalten müssen. Folglich dürfen nationale Vorschriften die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug nicht davon abhängig machen, dass die betreffenden Rechnungen inhaltliche Voraussetzungen erfüllen, die nicht ausdrücklich in der entsprechenden EU-Richtlinie genannt sind. Die Richtlinie verlangt die Angabe von Umfang und Art der erbrachten Dienstleistungen. Erforderlich ist aber nicht, dass die konkreten erbrachten Dienstleistungen erschöpfend beschrieben werden. Denn der Zweck dieser Angaben ist, den Steuerverwaltungen zu ermöglichen, die Entrichtung der geschuldeten Steuer und gegebenenfalls das Bestehen des Vorsteuerabzugsrechts zu kontrollieren.

Daraus folgert der EuGH, dass die Angabe „juristische Dienstleistungen“ als Leistungsbeschreibung und die Angabe „bis zum heutigen Tag“ ohne Benennung des ersten Tags der Dienstleistung nicht die Voraussetzungen an eine ordnungsgemäße Rechnung erfüllen. Gleichwohl darf der Vorsteuerabzug nicht allein deswegen versagt werden, wenn die Behörden dank anderer Unterlagen, die der Steuerpflichtige vorlegen muss, andere Möglichkeiten der Überprüfung haben, ob die Leistungen tatsächlich erbracht worden sind und keine Steuerhinterziehung begangen worden ist. Insoweit kann auf die Begründung im Verfahren Senatex verwiesen werden. Allein formelle Mängel dürfen den Vorsteuerabzug nicht ausschließen.

In diesem Zusammenhang weist der EuGH darauf hin, dass die Mitgliedstaaten befugt sind, Sanktionen für den Fall der Nichterfüllung der formellen Bedingungen für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts vorzusehen. Dies kann durch nationale Maßnahmen geschehen, die eine genaue Erhebung der Steuer sicherstellen und Steuerhinterziehung vermeiden, sofern diese Maßnahmen nicht über das zur Erreichung dieser Ziele Erforderliche hinausgehen und die Neutralität der Mehrwertsteuer nicht in Frage stellen. Insbesondere hindert das Unionsrecht die Mitgliedstaaten nicht daran, gegebenenfalls eine in angemessenem Verhältnis zur Schwere des Verstoßes stehende Geldbuße oder finanzielle Sanktion zu verhängen, um die Missachtung der Formerfordernisse zu ahnden.

Praxishinweis

Der EuGH hat zu einigen grundlegenden Fragen des Vorsteuerabzugs im Zusammenhang mit dem Inhalt von Rechnungen sowie der Wirkung von Rechnungsberichtigungen entschieden. Diese Entscheidungen widersprechen zum Teil der bisherigen Auffassung der deutschen Finanzverwaltung und Rechtsprechung.

So hat der EuGH festgestellt, dass die Berichtigung einer Rechnung durchaus Rückwirkung auf den Zeitpunkt der ersten Rechnungserstellung haben kann. Darauf können sich vor allem deutsche Steuerpflichtige unmittelbar berufen. Die deutsche Finanzverwaltung wird insoweit ihre bisherige Vorgehensweise überdenken müssen.

Künftig wird lediglich im Fall von Steuerhinterziehung eine Rückwirkung der Rechnungsberichtigung ausscheiden. Es steht dem deutschen Gesetzgeber aber frei, anstelle der automatischen Verzinsung andere Sanktionen für formelle Fehler einer Rechnung einzuführen, z.B. Geldbußen oder – allgemeiner – finanzielle Sanktionen, die von der Schwere des formellen Verstoßes abhängig sind.

Gleichzeitig hat der EuGH entschieden – wenn auch zum portugiesischen Recht –, dass eine zu unbestimmte Leistungsbeschreibung oder eine ungenaue Zeitangabe für die erbrachte Leistung in einer Rechnung zwar einen formellen Verstoß darstellen kann. Der Vorsteuerabzug aber kann nur versagt werden, wenn der Steuerpflichtige diesen Mängeln auch nicht aus anderen Unterlagen abhelfen kann. Dabei ist es an dem Steuerpflichtigen, diese zusätzlichen Unterlagen beizubringen. Deutsche Steuerpflichtige sollten sich auch bei solchen formellen Mängeln auf den EuGH berufen, der mit dieser Entscheidung eindeutig den deutschen Regelungen widersprochen und für die deutschen Steuerpflichtigen entschieden hat.

Damit ist klar: Die deutschen Finanzbehörden oder der deutsche Steuergesetzgeber werden handeln müssen.

EuGH, Urt. v. 15.09.2016 - C?518/14
EuGH, Urt. v. 15.09.2016 - C?516/14

Quelle: RA und StB Axel Scholz, FA für Steuerrecht und FA für Handels- und Gesellschaftsrecht