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Steuerbescheide: Wann liegen neue Tatsachen vor?

Steuerbescheide werden aufgehoben oder geändert, wenn Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden. Gleiches gilt, wenn der Steuerpflichtige arglistig handelt oder unlautere Mittel einsetzt. Wer allerdings dem Fiskus den maßgeblichen Sachverhalt wahrheitsgemäß erläutert hat, kann sich auf die Bestandskraft verlassen. Dies gilt nach dem BFH auch bei geänderten Rechtsauffassungen.

Der BFH musste entscheiden, ob ein Steuerpflichtiger erfolgreich gegen einen Steuerbescheid Einspruch einlegen kann, der nach seiner Kenntnis rechtmäßig ist, wenn er sich wie im Veranlagungsverfahren auf den Inhalt einer inhaltlich unrichtigen Urkunde beruft.

Ein Arbeitgeber erstellte eine Lohnsteuerbescheinigung, die wegen unzutreffender lohnsteuerrechtlicher Schlussfolgerungen falsch war, und legte diese beim Lohnsteuerabzug zugrunde. Die Bescheinigung wurde auf Verlangen des Finanzamts bei der Veranlagung zur Einkommensteuer vom Arbeitnehmer vorgelegt und der Lebenssachverhalt erläutert, welcher der Lohnsteuerbescheinigung zugrunde lag. Das Finanzamt erließ daraufhin einen materiell zutreffenden Steuerbescheid.

Der Steuerpflichtige legte dagegen Einspruch ein und verwies darin auf den Inhalt der nach seiner Kenntnis unrichtigen Lohnsteuerbescheinigung. Eine andere Sachbearbeiterin im Finanzamt änderte den Einkommensteuerbescheid, wie mit dem Einspruch beantragt. Später erkannte das Finanzamt im Rahmen einer Außenprüfung beim Arbeitgeber, dass die Lohnsteuerbescheinigung inhaltlich unrichtig war, und änderte den Einkommensteuerbescheid erneut. Dagegen wandte sich der Steuerpflichtige – sowohl vor dem Finanzgericht als auch vor dem BFH mit Erfolg.

Keine Änderungsmöglichkeit aufgrund von neuen Tatsachen oder Beweismitteln

Nach Abgabenordnung sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Eine Tatsache im Sinne dieser Norm ist jeder Lebenssachverhalt, der Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Tatbestands sein kann: Dies sind Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften materieller oder immaterieller Art. Keine Tatsachen sind hingegen Schlussfolgerungen aller Art, rechtliche Würdigungen und Bewertungen, Rechtsansichten und juristische Subsumtionen, bei denen aufgrund von Tatsachen anhand gesetzlicher Vorschriften ein bestimmter Schluss gezogen wird.

Nachträglich werden Tatsachen oder Beweismittel bekannt, wenn deren Kenntnis nach dem Zeitpunkt erlangt wird, in dem die Willensbildung über die Steuerfestsetzung abgeschlossen ist. Grundsätzlich kommt es dabei auf den Wissensstand der zur Bearbeitung des Steuerfalls berufenen Dienststelle an, wobei aktenkundige Tatsachen stets als bekannt gelten.

Nach Ansicht des BFH waren die entscheidenden Tatsachen dem Finanzamt bereits im Rahmen des Veranlagungs- und Einspruchsverfahrens bekannt. Auf die individuelle Kenntnis der neu zuständigen Sachbearbeiterin kommt es dabei nicht an. Die von dieser Sachbearbeiterin vorgenommene rechtliche Würdigung, die von der vorherigen Ansicht des Finanzamts abweicht, stellte keine Tatsache dar und war damit für eine Änderung unbeachtlich. Ein nachträgliches Bekanntwerden scheidet daher für den BFH aus.

Ebenfalls keine Änderung aufgrund von unlauteren Mitteln

Der BFH sieht im vorliegenden Fall auch keine Änderungsmöglichkeit aufgrund von unlauteren Mitteln im Sinne der Abgabenordnung. Nach dieser Vorschrift darf ein Steuerbescheid geändert werden, soweit er durch unlautere Mittel, wie arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung, erwirkt worden ist. Die hier relevante arglistige Täuschung ist dabei die bewusste und vorsätzliche Irreführung, sowie jedes vorsätzliche Verschweigen oder Vortäuschen von Tatsachen, durch das die Willensbildung der Behörde unzulässig beeinflusst wird.

Für Arglist reicht bereits das Bewusstsein aus, wahrheitswidrige Angaben zu machen. Nicht erforderlich ist dagegen die Absicht, damit das Finanzamt zu einer Entscheidung zu veranlassen. Ein Mitverschulden der Finanzbehörde ist unerheblich, insbesondere der Umstand, dass es die Unrichtigkeit hätte durchschauen können.

Der BFH verneint aber im vorliegenden Fall eine arglistige Täuschung. Denn die (erneute) Bezugnahme auf die Angaben in der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung im Rahmen des Einspruchsverfahrens stellt keine Irreführung über Tatsachen oder das Bewusstsein, wahrheitswidrige Angaben zu machen, dar. Dies begründet der BFH damit, dass, nachdem der Sachverhalt dem Finanzamt bereits vollständig offengelegt war, der Steuerpflichtige dem Finanzamt lediglich eine andere rechtliche Würdigung hinsichtlich der lohnsteuerlichen Behandlung mitgeteilt hat. Der schlichte Vortrag einer anderen Rechtsauffassung im Rahmen des Einspruchsverfahrens ist jedoch nicht „arglistig" oder in sonstiger Weise „unlauter".

Zudem entfaltet die Lohnsteuerbescheinigung lediglich einen Beweiswert dafür, wie der Lohnsteuerabzug tatsächlich stattgefunden hat, und gerade nicht darüber, wie er hätte durchgeführt werden müssen. Folglich wurden auch aus diesem Grund durch die Bezugnahme auf die Lohnsteuerbescheinigung keine „unrichtigen (tatsächlichen) Angaben“ gemacht. Die bloße Hoffnung eines Steuerpflichtigen, das Finanzamt werde sich ohne eine weitere Sachprüfung seiner Rechtsauffassung anschließen, beinhaltet keine arglistige Täuschung.

Praxishinweis

Der BFH hat mit diesem Urteil eine für die Praxis bedeutsame Entscheidung getroffen: Er hat klargestellt, dass ein Steuerpflichtiger, wenn er bereits im Veranlagungs- oder Einspruchsverfahren den gesamten Sachverhalt offengelegt und ggf. mit Urkunden bewiesen hat, Rechtssicherheit gewinnt, wenn das Finanzamt später eine andere rechtliche Würdigung des Vorgangs vornimmt. Ein solcher Vorgang kommt in der Praxis täglich vor. Unternehmer, deren Berater, aber auch die Finanzverwaltung sollten diese Entscheidung bei Änderungsanträgen kennen. Dem Steuerpflichtigen ist daher zu raten, im Rahmen des Veranlagungs- oder späteren Einspruchsverfahrens streitige Urkunden im Zweifel vorzulegen, um der Finanzverwaltung alle relevanten Tatsachen bereits bei der Veranlagung zur Kenntnis zu geben und damit ein nachträgliches Bekanntwerden bereits im Vorfeld zu vermeiden.

BFH, Urt. v. 08.07.2015 - VI R 51/14

Quelle: Rechtsanwalt und Steuerberater Axel Scholz