Gestaltungshinweise

§ 3 Abs. 1 UStG definiert Lieferungen als Leistungen, durch die ein Unternehmer oder in seinem Auftrag ein Dritter dem Abnehmer oder in dessen Auftrag einem Dritten die Verfügungsmacht über einen Gegenstand verschafft. Die Verfügungsmacht wird verschafft, wenn der Abnehmer oder in dessen Auftrag ein Dritter befähigt wird, im eigenen Namen über den Gegenstand wie ein Eigentümer zu verfügen. Eine tatsächliche zivilrechtliche Eigentumsübertragung ist für die Annahme einer umsatzsteuerlichen Lieferung nicht zwingend erforderlich, da der Liefernde den Erwerber lediglich in die Lage versetzen muss, wie ein Eigentümer über die Sache verfügen zu können.

Beispiel

Ein sechsjähriger Schüler kauft nach der Schule am Kiosk ein Eis. Das Geld dafür hat er gestohlen.

Lösung: Der Schüler ist nach § 104 BGB nicht geschäftsfähig und das zugrundeliegende Verpflichtungsgeschäft ist somit nichtig (§ 105 BGB). Die Voraussetzungen des § 110 BGB sind ebenfalls nicht erfüllt. Der Kioskbetreiber kann dem Schüler somit das Eigentum an dem Eis gar nicht übertragen. Gleichwohl versetzt er ihn in die Lage, wie ein Eigentümer über das Eis zu verfügen. Er hat ihm somit die Verfügungsmacht an dem Eis verschafft. Es liegt eine Lieferung im umsatzsteuerlichen Sinn vor.

Praxistipp

Der Lieferungsbegriff setzt selbst nicht die Entgeltlichkeit des Umsatzes voraus. Die Entgeltlichkeit ist ein Tatbestandsmerkmal der Steuerbarkeit (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG). Fällt das Entgelt für eine Lieferung geringer aus oder fällt es vollständig aus, liegt ggf. eine Änderung der Bemessungsgrundlage nach § 17 UStG vor.

Auch gesetzeswidrige Handlungen können den Begriff der Lieferung erfüllen und lösen unter den weiteren Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG auch Umsatzsteuer aus.

Beispiele

Der Drogendealer A verkauft an den drogensüchtigen B Heroin.

Tierhändler A verkauft seinem Kunden B eine unter Artenschutz stehende Schlange.

A stellt dem Unternehmer B eine Rechnung über eine nicht getätigte Lieferung aus. Für das Ausstellen der Rechnung und das Vortäuschen einer ordnungsgemäßen Zahlungsabwicklung erhält A eine "Provision" i.H.v. 100 Euro.

Lösungen: Trotz der Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz bzw. das Artenschutzgesetz liegen dem Grunde nach Lieferungen i.S.d. § 3 Abs. 1 UStG vor, da die Kunden jeweils in die Lage versetzt wurden, wie Eigentümer über die Sachen zu verfügen.

Im Fall des Drogendealers liegt jedoch kein steuerbarer Umsatz vor, da beim Verkauf von Drogen (und z.B. Falschgeld) kein Wettbewerb zwischen einem legalen und illegalen Warensektor besteht (EuGH, Urt. v. 11.06.1998 - C-283/95). Der Handel mit Tieren, die unter Artenschutz stehen, steht hingegen im Wettbewerb mit legalem Tierhandel und deshalb liegt im Fall des Schlangenverkaufs eine Lieferung vor.

Der Verkauf von Abdeckrechnungen (Scheinrechnungen) ist eine Lieferung. Der Handel damit ist jedoch nicht steuerbar, weil jeder Wettbewerb zwischen einem legalen und illegalen Wirtschaftssektor ausgeschlossen ist (BGH, Beschl. v. 12.01.2022 - 1 StR 436/21).