15.9 Liquidation der Personengesellschaft - Realteilung

...

15.9.2.2 Sperrfrist nach Realteilung

15.188

Für die im Wege der Realteilung übertragenen Wirtschaftsgüter ist nach §  16 Abs.  3 Satz 3 EStG eine dreijährige Behaltefrist (Gesetzeswortlaut "Sperrfrist") nach Abgabe der Feststellungserklärung für das Jahr der Realteilung zu beachten. Dies betrifft allerdings nur Grundstücke und Gebäude sowie andere wesentliche Betriebsgrundlagen, die innerhalb der Behaltefrist veräußert oder entnommen werden. Unbeachtlich dafür ist, ob die Veräußerung oder Entnahme des Wirtschaftsguts einzeln erfolgt oder mit der Veräußerung oder Aufgabe des vom Realteiler fortgeführten Betriebs im Zusammenhang steht. Liegt eine solche Verletzung der Sperrfrist vor, ist rückwirkend der gemeine Wert dieser Wirtschaftsgüter mit der Folge anzusetzen, dass für das Jahr der Realteilung - jedenfalls insoweit - ein Aufgabegewinn für die Gesellschaft festzustellen ist (§  180 Abs.  1 Nr. 2a, §  175 Abs.  1 Nr. 2 AO).

15.189

Dieser Gewinn ist nach §  16 Abs.  3 Satz 8 EStG vollständig nur dem ausgeschiedenen Gesellschafter (nachträglich) zuzurechnen, der das fragliche Wirtschaftsgut seinerzeit im Rahmen der Realteilung erhalten hat.50) Nach bisheriger Auffassung des BMF51) sollte dieser Gewinn dagegen allen im Zeitpunkt der Realteilung beteiligten Gesellschaftern nach Maßgabe der Gewinnverteilungsabrede jeweils als laufender Gewinn zuzurechnen sein.

15.190

Mit der Veröffentlichung der BFH-Entscheidung vom 23.11.2021 im Bundessteuerblatt dürfte dies überholt sein. Eine Zurechnung beim ausgeschiedenen Gesellschafter war bereits bisher aufgrund einer ausdrücklichen Vereinbarung zulässig, soweit diese nicht missbräuchlich ist. Angesichts der zwingenden Regelung in §  16 Abs.  3 Satz 8 EStG erscheint zweifelhaft, ob eine Zurechnung nach dem Gewinnverteilungsschlüssel überhaupt rechtlich möglich ist.52) Der BFH hat diese Frage ausdrücklich offengelassen.53) Abgesehen davon überzeugt die Begründung nicht, warum ein Gewinn aufgrund einer Sperrfristverletzung der personenbezogenen Zurechnung nach §  16 Abs.  3 Satz 8 EStG unterliegt, während ein Entnahmegewinn, der bereits im Zeitpunkt der Realteilung entsteht, trotz Vorliegens einer Betriebsaufgabe allen an der Realteilung beteiligten Gesellschaftern nach der Gewinnverteilungsabrede zuzurechnen sein soll.54)

15.191

Die Begünstigung nach §  16 Abs.  4 und §  34 EStG kommt nur in Betracht, wenn sämtliche stillen Reserven in den wesentlichen Betriebsgrundlagen rückwirkend aufgedeckt werden. Der Gewinn aufgrund einer Sperrfristverletzung unterliegt grundsätzlich nicht der Gewerbesteuer, weil rückwirkend betrachtet eine Betriebsaufgabe vorliegt. Ist der Realteiler allerdings keine natürliche Person, folgt die Gewerbesteuerpflicht insoweit aus § 7 Satz 2 GewStG.

15.192

Zur Sperrfrist ist weitergehend wie folgt zu differenzieren:

Ist Gegenstand der Realteilung ein Teilbetrieb oder eine freiberufliche Teilpraxis,55) läuft keine Sperrfrist,56) soweit keine Anteile an Kapitalgesellschaften zum Teilbetrieb gehören. Es ist deshalb möglich, diesen Teilbetrieb im Anschluss an die Realteilung als Betrieb nach §  24 UmwStG in eine (neue) Sozietät (PartG) einzubringen.57) Die 100%ige Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft ist kein Einzelwirtschaftsgut, sondern gilt als Teilbetrieb.58)

15.193

Wird ein Mitunternehmeranteil im Zuge einer Realteilung übertragen, läuft keine Sperrfrist.

15.194

Werden im Rahmen der Realteilung einzelne Wirtschaftsgüter übertragen, endet die Sperrfrist drei Jahre nach Abgabe der Feststellungserklärung für das Jahr der Realteilung (Übertragung). Die Frist ist taggenau zu berechnen (§  187 Abs.  1, §  188 Abs.  2 BGB). §  193 BGB sowie §  108 Abs.  3 AO sind nicht anzuwenden. Von der Sperrfrist werden neben Grundstücken (Grund und Boden und Gebäude, unabhängig davon, ob es sich insoweit um wesentliche Betriebsgrundlagen handelt) auch andere wesentliche Betriebsgrundlagen erfasst. Dazu gehören Betriebsvorrichtungen und andere unentbehrliche Sachanlagen ebenso wie besondere betriebsnotwendige immaterielle Wirtschaftsgüter (Urheberrecht, Patentrecht, Lizenz, Warenzeichen, Markenrechte, Firmenname59) etc.). Auch der Mandanten- oder Patientenstamm einer freiberuflich tätigen Praxis gehört zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen.

15.195

Von §  16 Abs.  3 Satz 3 EStG werden nicht nur funktional wesentliche Wirtschaftsgüter erfasst, sondern darüber hinaus auch solche, die zwar funktional gesehen nicht erforderlich sind, in denen aber erhebliche stille Reserven gebunden sind (funktional-quantitative Betrachtung). Dies dürfte insbesondere für Grundstücke und Gebäude gelten, die als solche keine funktional wesentlichen Betriebsgrundlagen sind.

15.196

Die Sperrfrist ist subjekt- und objektbezogen differenziert zu beurteilen. Soweit etwa einem Realteiler ein Teilbetrieb oder ein Mitunternehmeranteil zugewiesen wird, während ein anderer Realteiler wesentliche Einzelwirtschaftsgüter erhält, läuft die Sperrfrist nur für die übertragenen Einzelwirtschaftsgüter. Entsprechendes gilt, soweit einem Realteiler neben einem Teilbetrieb auch wesentliche Einzelwirtschaftsgüter zugewiesen werden.

15.197

Dem Gesetzeswortlaut zufolge stellt eine Veräußerung oder Entnahme von Einzelwirtschaftsgütern eine Sperrfristverletzung dar. Das gilt nach Auffassung des BMF60) auch dann, wenn die einzelnen Wirtschaftsgüter in eine andere Mitunternehmerschaft (GbR, OHG, KG, PartG) innerhalb der Dreijahresfrist Gegenstand einer Einbringung in eine andere Mitunternehmerschaft sind, und sogar, wenn die Einbringung auf Antrag zu Buchwerten nach §  24 UmwStG gestaltet wird. Gleiches soll für einen Formwechsel (§  25 UmwStG) gelten. Schließlich soll eine Sperrfristverletzung auch dann vorliegen, wenn Einzelwirtschaftsgüter nach erfolgreicher Realteilung gem. §  16 Abs.  3 Satz 2 EStG gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten nach §  6 Abs.  5 Satz 3 EStG übertragen werden.

15.198

Abweichend davon ist mit dem BFH61) davon auszugehen, dass eine Gesamtbetrachtung im Hinblick auf das Zusammenwirken von Vorschriften geboten ist, die eine Privilegierung der stillen Reserven regeln. Danach wird der BFH in einem Rechtsstreit vermutlich eine Sperrfristverletzung verneinen, weil sowohl §  16 Abs.  3 Satz 2 EStG als auch §  24 UmwStG die Nichtaufdeckung der stillen Reserven ermöglichen. Gleiches muss für eine Übertragung zu Buchwerten nach §  6 Abs.  5 Satz 3 EStG gelten. Richtigerweise ist daher eine Sperrfrist nur dann zu beachten, wenn es zur Verlagerung stiller Reserven kommen sollte. Dies ist bei einer Einbringung nach §  24 UmwStG oder Übertragung nach §  6 Abs.  5 Satz 3 EStG dann nicht gegeben, wenn die stillen Reserven in einer negativen Ergänzungsbilanz dem Einbringenden zugeordnet werden.62) Erfolgt jedoch innerhalb der Dreijahresfrist seit Realteilung eine Entnahme oder Veräußerung auf Ebene der übernehmenden Personengesellschaft nach einer Einbringung einzelner Wirtschaftsgüter zu Buchwerten, liegt eine Verletzung der Sperrfrist vor.

15.199

Ist einer der Realteiler eine Kapitalgesellschaft und Empfängerin von einzelnen Wirtschaftsgütern des Gesellschaftsvermögens, ist in jedem Fall die Bewertung mit dem gemeinen Wert als Folge des Trennungsprinzips geboten und damit die Aufdeckung der stillen Reserven insoweit bereits zum Zeitpunkt der Realteilung zwingend (§  16 Abs.  3 Satz 4 EStG).63) Dagegen ist die Übertragung eines Teilbetriebs auf eine Mitunternehmerin in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft im Zeitpunkt der Realteilung zu Buchwerten zulässig. Gehören zu diesem Teilbetrieb allerdings wiederum Anteile an einer Kapitalgesellschaft, die innerhalb einer siebenjährigen Sperrfrist im Anschluss an eine Realteilung veräußert werden, so kommt es zu einer Rückwärtsberichtigung nach den Grundsätzen des §  16 Abs.  5 EStG (Körperschaftsteuerklausel).64)