Problem

Autorin: Diplom-Finanzwirtin Rabea Schwarz

Die Möglichkeit der Anwendung der Kleinunternehmerregelung bestimmt sich u.a. nach der Höhe der getätigten steuerpflichtigen Umsätze des Vorjahres. Neben Unternehmern mit geringen Umsätzen können jedoch auch Unternehmer mit hohen steuerfreien Umsätzen unter diese Regelung fallen. Der Begriff "Kleinunternehmer" ist daher etwas irreführend. Nur Unternehmer, die im Inland oder in den in § 1 Abs. 3 UStG bezeichneten Gebieten ansässig sind, können die Kleinunternehmerregelung anwenden. Im Ausland ansässige Unternehmer sind davon ausgeschlossen.

Umsatzgrenzen

Auf die Erhebung der Umsatzsteuer wird verzichtet, wenn der Gesamtumsatz i.S.d. § 19 Abs. 3 UStG zzgl. der darauf entfallenden Umsatzsteuer

des Vorjahres 22.000 Euro nicht überschritten hat und

des laufenden Jahres 50.000 Euro voraussichtlich nicht überschreiten wird.

Durch das Dritte Bürokratieentlastungsgesetz wurde die Vorjahresgrenze von ehemals 17.500 Euro auf 22.000 Euro zum 01.01.2020 angehoben. Durch den Vergangenheitsbezug dieser Grenze auf das Vorjahr ist diese Gesetzesänderung bereits für den Vorjahresumsatz aus 2019 maßgebend.

Praxistipp

Unabhängig von der tatsächlichen Besteuerungsform ermittelt sich der Gesamtumsatz i.S.d. § 19 Abs. 3 UStG nach vereinnahmten Entgelten zzgl. der Umsatzsteuer.

Die planmäßige Aufspaltung und künstliche Verlagerung von Umsätzen auf mehrere Unternehmen mit dem Ziel der mehrfachen Inanspruchnahme der Kleinunternehmerregelung ist eine zweckwidrige Inanspruchnahme dieser Regelung, die zu ihrer Versagung führt (BFH, Urt. v. 11.07.2018 - XI R 26/17 sowie XI R 36/17). Dem BFH-Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Eine Steuerberatungsgesellschaft hat gezielt inhaltsgleiche Buchführungsleistungen auf verschiedene Personengesellschaften verlagert. Die Leistungsempfänger dieser inhaltsgleichen Buchführungsleistungen waren nicht vorsteuerabzugsberechtigt. Die Steuerberatungsgesellschaft wollte so die Kleinunternehmerregelung mehrfach in Anspruch nehmen.

Wurde die unternehmerische Tätigkeit erst im laufenden Kalenderjahr aufgenommen, ist der Umsatz zur Ermittlung eines Jahresumsatzes entsprechend hochzurechnen und zugrunde zu legen. Maßgebend ist dann die Grenze von 22.000 Euro. Ist bei Beginn der Tätigkeit bereits abzusehen, dass diese Grenze überschritten wird, kommt die Anwendung des § 19 UStG nicht in Betracht.

Beispiel

Die angestellte Friseurin F möchte sich selbständig machen und schneidet ab Oktober 2023 an ihren freien Tagen den Kunden zu Hause die Haare. Sie nimmt in 2023 aus dieser Tätigkeit insgesamt 5.200 Euro brutto ein.

Lösung: Zur Ermittlung des Jahresumsatzes für die Prüfung der Anwendung der Kleinunternehmerregelung in 2023 ist der tatsächlich erzielte Bruttoumsatz hochzurechnen:

5.200 Euro (3 Monate) x 4 = 20.800 Euro

F liegt 2023 unter der im Jahr 2023 maßgebenden Grenze von 22.000 Euro und kann die Kleinunternehmerregelung nach § 19 UStG anwenden. Liegt der Umsatz 2024 voraussichtlich nicht über 50.000 Euro, kann F auch 2024 auf die Erhebung der Umsatzsteuer verzichten.

Zu Beginn des laufenden Kalenderjahres muss der Unternehmer eine Prognose über den voraussichtlichen Jahresumsatz abgeben. Übersteigt dieser voraussichtlich 50.000 Euro inkl. Umsatzsteuer nicht, kann die Kleinunternehmerregelung angewendet werden. Dies gilt auch dann, wenn die Grenze im Laufe des Jahres tatsächlich überschritten wird, dies jedoch bei Jahresbeginn nicht absehbar war. Das FG Münster hat mit Urteil vom 25.02.2020 (15 K 61/17 U) entschieden, dass die Prognose des Unternehmers, dass die Grenze von 50.000 Euro voraussichtlich nicht überschritten wird, nur dann nicht maßgebend ist, wenn bereits zu Jahresbeginn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aufgrund zwingender Indizien von einem Überschreiten ausgegangen werden muss.

Beispiel

Der Schiedsrichter S ist seit der Spielzeit 2020/2021 in der 1. Bundesliga aktiv. Die Einnahmen aus der Schiedsrichtertätigkeit betragen 2020 16.200 Euro brutto. Für das Jahr 2021 rechnet S mit einem kräftigen Anstieg der Einnahmen auf ca. 32.000 Euro. Durch krankheitsbedingte Ausfälle anderer Schiedsrichter muss S etliche Spiele im Herbst 2021 zusätzlich übernehmen. Des Weiteren ist er ab der Spielzeit 2021/2022 auch international tätig. Die Einnahmen aus der Schiedsrichtertätigkeit betragen 2021 schließlich 53.000 Euro. S hat bis einschließlich 2019 die Kleinunternehmerregelung angewandt. Die Einnahmen stellen den Gesamtumsatz i.S.d. § 19 Abs. 3 UStG dar.

Lösung: S kann auch für 2020 auf die Erhebung der Umsatzsteuer verzichten, da er die maßgebenden Umsatzgrenzen nicht überschreitet. Auch 2021 darf S die Kleinunternehmerregelung anwenden, da der Gesamtumsatz zzgl. Umsatzsteuer im Vorjahr 2020 unter 22.000 Euro lag und zu Beginn des Jahres 2021 die Steigerung auf über 50.000 Euro nicht abzusehen war. S hat eine voraussichtliche Prognose nach den Verhältnissen zu Beginn des Jahres 2021 erstellt. Die tatsächliche Überschreitung hat nicht die Versagung der Anwendung der Kleinunternehmerregelung zur Folge. Allerdings hat S zumindest 2022 seine Umsätze regelzubesteuern, da der Gesamtumsatz zzgl. Umsatzsteuer 2021 über 22.000 Euro liegt.

Gesamtumsatz

Der Gesamtumsatz i.S.d. § 19 Abs. 3 UStG wird nach folgender Berechnung ermittelt:

Summe der steuerbaren Umsätze nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG

abzgl.

steuerfreie Umsätze nach § 4 Nr. 8 Buchst. i) UStG (Umsätze der im Inland gültigen amtlichen Wertzeichen zum aufgedruckten Wert)

abzgl.

steuerfreie Umsätze nach § 4 Nr. 9 Buchst. b) UStG (Umsätze, die unter das Rennwett- und Lotteriegesetz fallen)

abzgl.

steuerfreie Umsätze nach § 4 Nr. 11-28 UStG

abzgl.

steuerfreie Hilfsumsätze nach § 4 Nr. 8 Buchst. a)-h) UStG (grundsätzlich Umsätze von Kreditinstituten)

abzgl.

steuerfreie Hilfsumsätze nach § 4 Nr. 9 Buchst. a) UStG (Umsätze, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen)

abzgl.

steuerfreie Hilfsumsätze nach § 4 Nr. 10 UStG (grundsätzlich Umsätze von Versicherungsunternehmen)

= Gesamtumsatz i.S.d. § 19 Abs. 3 UStG

abzgl.

Umsätze von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens

= Gesamtumsatz i.S.d. § 19 Abs. 1 UStG

Die Summe der steuerbaren Umsätze nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG beinhaltet auch die Umsätze, für die ein anderer als Leistungsempfänger nach § 13b Abs. 2 UStG Schuldner der Umsatzsteuer ist. Diese Umsätze sind trotz des Übergangs der Steuerschuldnerschaft bei der Berechnung des Gesamtumsatzes nach § 19 Abs. 3 UStG dem leistenden Unternehmer zuzurechnen. Umsätze, für die der zu beurteilende Unternehmer dagegen die Umsatzsteuer nach § 13b Abs. 2 UStG selbst schuldet, werden nicht mit in den Gesamtumsatz einbezogen.

Bei der Ermittlung des Gesamtumsatzes i.S.d. § 19 UStG in Fällen der Besteuerung von Reiseleistungen nach § 25 UStG und der Differenzbesteuerung nach § 25a UStG ist für die Ermittlung des Gesamtumsatzes i.S.d. § 19 Abs. 3 UStG auf die vereinnahmten Entgelte und nicht auf den Differenzbetrag gem. § 25 Abs. 3 bzw. § 25a Abs. 3 UStG abzustellen (Abschn. 19.3 Abs. 1 Satz 5 UStAE). Hinsichtlich dieser Frage hatte der BFH den EuGH angerufen und ihm die Sache zur Entscheidung vorgelegt (Az. EuGH C-388/18). In diesem Verfahren hat der EuGH entschieden, dass in die Ermittlung des Gesamtumsatzes gem. § 19 Abs. 3 UStG für die Inanspruchnahme der Kleinunternehmerregelung nicht die Handelsspanne i.S.d. § 25a UStG, sondern der Gesamtumsatz des Unternehmers maßgebend ist. Der Rechtsprechung des EuGH hat sich der BFH mit Urteil vom 23.10.2019 (Az. XI R 17/19 (XI R 7/16), XI R 17/19, XI R 7/16) angeschlossen und damit die bisherige Verwaltungsauffassung bestätigt. Bei der Ermittlung des Gesamtumsatzes nach der Kleinunternehmerregelung (§ 19 UStG) ist demnach bei einem Händler, der der Differenzbesteuerung (§ 25a UStG) unterliegt, nicht auf die Differenz zwischen dem geforderten Verkaufspreis und dem Einkaufspreis (Handelsspanne), sondern auf die Gesamteinnahmen abzustellen.

Die nach § 24 UStG der Durchschnittssatzbesteuerung unterworfenen land- und forstwirtschaftlichen Umsätze sind den nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG steuerbaren Umsätzen für die Ermittlung des Gesamtumsatzes nach § 19 Abs. 3 UStG zuzurechnen.

Mit Urteil vom 15.09.2011 - V R 12/11 hat der BFH zur umsatzsteuerlichen Beurteilung der privaten Nutzung eines dem (Klein-)Unternehmen zugeordneten Pkw bei der Berechnung des Gesamtumsatzes nach § 19 Abs. 1 Satz 2 UStG Stellung genommen. Das vorinstanzliche FG Berlin-Brandenburg hatte mit Urteil vom 15.02.2011 - 5 K 5162/10 entschieden, die außerunternehmerische Nutzung des Pkw nicht als unentgeltliche Wertabgabe i.S.d. § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG zu berücksichtigen, da aufgrund der Kleinunternehmerschaft kein Vorsteuerabzug aus der Anschaffung und dem Unterhalt möglich ist. Die private Nutzung wurde daher als nicht umsatzsteuerbar eingestuft und ist somit bei der Berechnung des Gesamtumsatzes nach § 19 Abs. 1 Satz 2 UStG bislang außen vor geblieben. Der BFH ist der Rechtsauffassung des FG gefolgt und hat bei dieser Fallkonstellation keinen steuerbaren Umsatz angenommen (siehe auch BMF-Schreiben v. 28.03.2012 - IV D 3 - S 7360/11/10001).

Im Einzelfall kann die Inanspruchnahme der Kleinunternehmerregelung zweckwidrig sein. So hat der BFH mit Urteil vom 11.07.2018 - XI R 26/17 entschieden, dass die Anwendung zu versagen ist, wenn von mehreren Gesellschaftern gegenüber nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten Leistungsempfängern inhaltsgleiche Buchführungsleistungen deshalb nacheinander erbracht werden, um mehrfach die Kleinunternehmerregelung in Anspruch nehmen zu können.

Praxistipp

Wurden steuerfreie Umsätze im Rahmen einer wirksamen Option nach § 9 UStG steuerpflichtig behandelt, so können diese Umsätze bei der Berechnung des Gesamtumsatzes nach § 19 Abs. 3 UStG nicht von der Summe der steuerbaren Umsätze abgezogen werden.

Option

Möchte ein Unternehmer auf die Nichterhebung der Umsatzsteuer verzichten, so kann er dies dem Finanzamt formlos - beispielsweise durch die Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung oder einer Voranmeldung - mitteilen. Eine Beschränkung auf nur einen Teil des Jahres ist nicht zulässig, ebenso wenig eine Beschränkung der Option auf einen Teilbereich des Unternehmens. Auch ein Kleinunternehmer führt ein einheitliches Unternehmen, für das er nur in seiner Gesamtheit die Kleinunternehmerregelung oder die Regelbesteuerung anwenden kann. Soweit bei einer seitens des Steuerpflichtigen eingereichten Umsatzsteuerjahreserklärung nicht eindeutig der Verzicht auf die Kleinunternehmerregelung nach § 19 UStG für das gesamte Unternehmen mit allen einzelnen Teilbereichen (im Streitfall Hausverwaltung sowie Trainertätigkeit) ergibt, muss das Finanzamt beim Steuerpflichtigen nachfragen, welcher Besteuerungsform er seine Umsätze unterwerfen möchte. Verbleiben Zweifel, darf das Finanzamt nicht einfach eine Option zur Regelbesteuerung annehmen (BFH, Urt. v. 24.07.2013 - XI R 31/12). Eine abgegebene Option kann nur bis zur formellen Bestandskraft der ersten Steuerfestsetzung wieder rückgängig gemacht werden (siehe Praxisfall II, Option/formelle Bestandskraft).

Praxistipp

Die Entscheidung zur Option in Form der Anwendung der Regelbesteuerung sollte so rechtzeitig getroffen werden, dass nicht unnötigerweise bereits erteilte Rechnungen entsprechend den Vorgaben des § 14 Abs. 4 UStG berichtigt werden müssen.

Die Anwendung der Regelbesteuerung muss nicht durch das zuständige Finanzamt genehmigt werden.

Der Unternehmer ist an eine abgegebene Option für die Dauer von fünf Jahren gebunden und kann erst dann wieder die Kleinunternehmerregelung - soweit die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen - anwenden. Dieser Widerruf der Regelbesteuerung nach Ablauf der fünfjährigen Bindungsfrist wirkt für die Zukunft vom Beginn des Kalenderjahres an, für das er abgegeben wurde.