Jahresabschlusserstellung und Haftung des Steuerberaters in Zeiten der Corona-Pandemie

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Die Beratungssituation: Sie übernehmen im Dauermandat die jährlich wiederkehrende Jahresabschlusserstellung für einen Mandanten. Dabei ergibt sich ein durch Eigenkapital nicht gedeckter Fehlbetrag (§ 268 Abs. 3 HGB). Es liegt damit eine bilanzielle Überschuldung vor, die wiederum Indiz für eine auch insolvenzrechtliche Überschuldung nach § 19 InsO ist.

Wie gehen Sie vor bei Überschuldung Ihres Mandanten? Rechtliche Einordnung und Rechtsprechung des BGH

Bereits vor der Corona-Pandemie sah sich der Steuerberater in diesen Fällen mit der Frage konfrontiert, wie er zur Vermeidung eigener Haftung die Warn- und Hinweispflichten erfüllen kann, welche sich aus der viel diskutierten Entscheidung des BGH v. 26.01.2017[1] ergeben.

Der BGH hat in Abkehr zu seiner vormals geltenden Rechtsprechung[2] entschieden, dass eine Bilanzierung zu Fortführungswerten ausscheide, wenn ein Insolvenzantragsgrund vorliege.

Dazu sei der Steuerberater verpflichtet, zu prüfen, ob sich auf Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen oder ihm sonst bekannter Umstände tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten zeigen, die einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit entgegenstünden. Eine Fortführungsprognose müsse der Steuerberater hingegen nicht erstellen.

Besondere Problematik in der Pandemie

Durch die Corona-Pandemie rückt die Thematik einmal mehr in den Fokus der Beratung. Die behördlich angeordneten wochenlangen Betriebsschließungen haben in vielen Branchen zu erheblichen Umsatzausfällen geführt und auch bis dahin gesunde Unternehmen in wirtschaftliche Schieflage gebracht.

Für den Steuerberater stellt sich deshalb die Frage, welche Auswirkungen sich aufgrund der Corona-Pandemie für die Jahresabschlusserstellung ergeben, d.h. ganz konkret, wie er die vom BGH statuierten Warn- und Hinweispflichten in der aktuellen Situation zu erfüllen hat, um eigene Haftung zu vermeiden.

Mehrfache Haftung für fehlerhaften Jahresabschluss

Besonders zu beachten ist, dass der Steuerberater wegen fehlerhafter Jahresabschlusserstellung mehrfach haftet. Zum einen gegenüber dem zur Jahresabschlusserstellung verpflichteten Mandanten unmittelbar aus dem Mandatsverhältnis. Dies betrifft nicht nur Gesellschaften, die nach § 15a Abs. 1 und 2 InsO zur Stellung eines Insolvenzantrages verpflichtet sind (AG, GmbH und GmbH & Co. KG), sondern alle Mandanten, die als Kaufmann i.S.d. § 242 HGB zur Jahresabschlusserstellung verpflichtet sind.

Fehlerhafte Jahresabschlüsse können nämlich auch bei Einzelkaufleuten oder Personengesellschaften dazu führen, dass z.B. Darlehen gewährt oder verlängert oder sonstige Zahlungsverpflichtungen eingegangen werden, obwohl bereits Insolvenztatbestände vorliegen.

Aus diesem Grund ist immer auch die Haftung für Ansprüche Dritter aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter im Blick zu behalten, vor allem Geschäftsführer und Kreditinstitute.

Neuregelungen durch das COVInsAG

Als Reaktion auf die Corona-Pandemie hat der Gesetzgeber in kürzester Zeit eine Vielzahl an gesetzlichen Regelungen geändert oder neu geschaffen, so auch das Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz (COVInsAG) mit Rückwirkung zum 01.03.2020[3].

Ziel war und ist die Vermeidung tausender Insolvenzen, denn selbst gesunde Unternehmen können wochen- und monatelange Einnahmeausfälle kaum verkraften. Hinzu kommt, dass die Drei-Wochen-Frist des § 15a Abs. 1 InsO keinesfalls ausreichend ist, aufgrund der Corona-Pandemie erforderliche Sanierungs- und Restrukturierungsmaßnahmen (erfolgreich) umzusetzen[4].

Mit dem COVInsAG ist die Insolvenzantragspflicht aufgrund der Corona-Pandemie zunächst bis zum 30.09.2020 vorübergehend ausgesetzt. § 4 COVInsAG sieht eine Verlängerungsoption bis zum 31.03.2021 vor, die offenbar nicht in Gänze ausgenutzt werden soll[5]. Nach § 1 COVInsAG folgt die Aussetzung der Antragspflicht einem dreistufigen Konzept[6]:

Satz 1: Grundsatz der Aussetzung der Antragspflicht (derzeit) bis zum 30.09.2020[7]

Satz 2: zwei Ausnahmen von diesem Grundsatz:

  • erste Ausnahme: die Insolvenzreife beruht nicht auf der Corona-Pandemie
  • zweite Ausnahme: keine Aussicht, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen

Satz 3: Vermutungsregelung: bei bestehender Zahlungsfähigkeit bis zum 31.12.2019 wird vermutet wird, dass die Ausnahmen nach Satz 2 nicht greifen.

Beweislast bei der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht

Grund für das auf den ersten Blick nicht leicht zu erfassende Regelungskonzept[8] sind Beweislastregelungen. Im Haftungsprozess wegen eines Insolvenzverschleppungsschadens stehen sich typischerweise der Insolvenzverwalter oder Neugläubiger als Kläger und der Geschäftsführer einer GmbH und/oder dessen Steuerberater als Beklagte gegenüber.

Nach der Regelungssystematik des § 1 COVInsAG kann sich der Geschäftsführer bzw. Steuerberater zunächst auf Satz 1 der Vorschrift berufen, d.h. auf die Aussetzung der Antragspflicht.

Bestreitet der Insolvenzverwalter (bzw. der Neugläubiger) die Aussetzung der Antragspflicht, trägt er die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen nach den Sätzen 2 und 3[9]. Der Insolvenzverwalter muss demnach beweisen (können), dass die Insolvenzreife nicht auf der Corona-Pandemie beruht oder dass keine Aussichten bestanden, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen.

Die Beweislast wird durch Satz 3 der Vorschrift nochmals zu Lasten des Insolvenzverwalters gesteigert, wenn der Geschäftsführer oder Steuerberater beweisen kann, dass die GmbH bis zum 31.12.2019 noch zahlungsfähig war[10]. Gelingt der Beweis, seien höchste Anforderungen an die Widerlegung der Vermutung nach Satz 3 zu stellen[11].

Hinweis: Auf den ersten Blick mag die gesetzliche Regelung in § 1 COVInsAG für den Geschäftsführer und auch den Steuerberater günstig erscheinen, denn beide können sich (zunächst) ohne weitere Begründung auf die Aussetzung der Antragspflicht berufen. Sodann obliegt es dem Insolvenzverwalter zu beweisen, dass die Insolvenzreife nicht auf der Corona-Pandemie beruht oder keine Aussicht bestand, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Zwar gibt es aktuell noch keine Entscheidung, welche die Anforderungen an die Beweislast nach dem COVInsAG konkretisiert. Jedoch genügt der Insolvenzverwalter nach bisheriger Rechtsprechung[12] seiner Darlegungs- und Beweislast, wenn er sich auf eine Handelsbilanz mit einem nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag beruft und vorträgt, dass keine stillen Reserven vorhanden seien. Der Geschäftsführer (oder Steuerberater) muss dann im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast im Einzelnen vortragen, welche stillen Reserven oder sonstigen für eine Überschuldungsbilanz maßgeblichen Werte in der Handelsbilanz nicht abgebildet sind.

Die Grundsätze der Entscheidung des BGH gelten unverändert auch für die Jahresabschlusserstellung in Corona-Zeiten, d.h. die Aussetzung der Antragspflicht durch das COVInsAG ändert daran nichts[13]. Der Steuerberater schuldet auch in Corona-Zeiten unter Geltung des COVInsAG die Erstellung eines mangelfreien Jahresabschlusses[14].

Hinweis: Die Bundessteuerberaterkammer hat als Reaktion auf die Rechtsprechung mit Hinweisen zur Verlautbarung zu den Grundsätzen für die Erstellung von Jahresabschlüssen in Bezug auf Gegebenheiten, die der Annahme der Unternehmensfortführung entgegenstehen, reagiert. Die dort weiterhin getroffene Unterscheidung der Auftragsarten „mit / ohne Plausibilitätsbeurteilung“ und „umfassender Beurteilung“ ist für die Haftung irrelevant. Der Steuerberater schuldet ohne Ausnahme die Erstellung eines Jahresabschlusses, der den Regelungen der §§ 238 ff. HGB entspricht. Deshalb differenziert auch der BGH nicht zwischen verschiedenen Auftragsarten [15].

Die mangelfreie Jahresabschlusserstellung unter Berücksichtigung der vom BGH statuierten Warn- und Hinweispflichten erfordern vom Steuerberater zwei Dinge: er muss die going-concern-Prämisse des § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB zutreffend anwenden sowie die Insolvenzantragsgründe Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung im Blick haben.

Going-Concern-Prämisse

Auch in Corona-Zeiten und unter Geltung des COVInsAG hat der Steuerberater nach den Grundsätzen des § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB zu bilanzieren. So gilt auch weiterhin die Fortführungsprämisse als gesetzlicher Regelfall[16], wobei der zeitliche Anwendungsbereich für Bilanzstichtage wie folgt zu unterscheiden ist[17]:

  • die Corona-Pandemie stellt für Bilanzstichtage bis zum 31.12.2019 ein werterhellendes Ereignis dar,
  • für Bilanzstichtage nach dem 31.12.2019 ist die Corona-Pandemie ein wertbegründendes Ereignis.

Für die Jahresabschlusserstellung ergeben sich daraus in mehrfacher Hinsicht Konsequenzen. So sind wegen des Stichtagsprinzips z.B. Abschreibungen und Drohverlustrückstellungen wegen stornierter oder verzögerter Aufträge bis zum Stichtag 31.12.2019 nicht zulässig.

Jedoch erfordert die Corona-Pandemie gem. § 285 Nr. 33 HGB entsprechende Angaben im Anhang, da stornierte Aufträge in großem Umfang - wie z.B. bei Reiseunternehmen - einen Vorgang von besonderer Bedeutung darstellen[18].

Zahlungsunfähigkeit des Mandanten

Das COVInsAG enthält für die Aussetzung der Antragspflicht[19] in § 1 Satz 2 Alt. 2 und Satz 3 zwei Tatbestände:

  • Zahlungsunfähigkeit, die am 31.12.2019 nicht bestehen darf
  • Aussichten bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen.

Die Prüfung der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO hat nach den bislang geltenden Grundsätzen gem. dem Urteil des BGH aus 2005[20] zu erfolgen:

  • Die Liquiditätslücke beträgt weniger als 10 % der fälligen Gesamtverbindlichkeiten und kann innerhalb von drei Wochen geschlossen werden.
  • Die Liquiditätslücke beträgt mehr als 10 % der fälligen Gesamtverbindlichkeiten, aber es ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass die Liquiditäts­lücke (fast) vollständig beseitigt werden kann.

Ist eine der beiden Voraussetzungen erfüllt, liegt (noch) keine Zahlungsunfähigkeit vor; falls nicht, ist von einer Zahlungsunfähigkeit auszugehen.

Hinweis: Der Steuerberater kann eine (möglicherweise) bestehende Zahlungsunfähigkeit allein anhand des Jahresabschlusses nicht feststellen[21]. Die Zahlungs(un-)fähigkeit ist mittels eines Liquiditätsstatus zu ermitteln, mindestens für die nächsten drei Wochen. Hierbei sind die liquiden und kurzfristig liquidierbaren Mittel den fälligen (Passiva I) und in den nächsten drei Wochen fällig werdenden Verbindlichkeiten (Passiva II) gegenüberzustellen. Wird die 10 %-Grenze überschritten, liegt Zahlungsunfähigkeit vor.

Der weitere Tatbestand, wonach Aussichten bestehen müssen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen, erfordert konkrete Tatsachen, aus denen sich ein konkreter Liquiditätszufluss ergibt, z.B. Mittel aus den Corona-Soforthilfeprogrammen des Bundes und der Länder, Beendigung der Betriebsschließung aufgrund von Allgemeinverfügungen oder erfolgversprechende Produktionsumstellungen[22].

Hinweis: Bloße Hoffnungen sind keine Aussichten i.S.d. COVInsAG[23]. Aus diesem Grund sollte der Steuerberater auf seine Mandanten einwirken, dass eine entsprechende Aktenlage geschaffen wird, um die Aussichten plausibel zu dokumentieren. Dies kann z.B. dadurch erfolgen, dass Anträge auf Soforthilfe oder KfW-Kredite zumindest gestellt, wenn auch noch nicht genehmigt sind[24]. Weiterhin gilt auch unverändert, dass allein bloße Aussagen der vertretungsberechtigen Organe ohne sachlichen Gehalt nicht ausreichend sind[25].

Der Gesetzgeber hat keinen Zeitraum definiert, innerhalb dem die Aussichten bestehen müssen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen.

Die Literatur ist hierzu nicht ganz einheitlich: Gehrlein[26] geht von einem Zeitraum von drei Monaten aus; die wohl überwiegende Auffassung sieht als Ende des Betrachtungszeitraums das Ende der Aussetzung der Antragspflicht, derzeit bis 30.09.2020[27], eine Verlängerung des Moratoriums für den Aussetzungsgrund Zahlungsunfähigkeit hat der Koalitionsausschuss nicht beschlossen. Letzterer Auffassung ist angesichts des gesetzlichen Regelungszwecks des COVInsAG zuzustimmen.

Überschuldung des Mandanten

Das COVInsAG spricht in § 1 ausschließlich den Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit an, nicht jedoch auch den der Überschuldung. Nach Römermann[28] soll deshalb eine Überschuldung, die bereits zum Stichtag 31.12.2019 bestand, ohne Relevanz sein, d.h. es gelte trotzdem die Vermutung nach § 1 Satz COVInsAG, dass eine Insolvenzreife auf die Corona-Pandemie zurückzuführen sei.

Dem folgt ein Großteil der Literatur[29] zutreffend nicht, denn selbst Römermann stellt fest, dass es aufgrund der Faktenlage schlicht ausgeschlossen ist, dass eine Überschuldung in 2019 seine Ursache in der erst in 2020 eingetretenen Pandemie haben könne. Lag also zum Stichtag 31.12.2019 der Insolvenzantragsgrund der Überschuldung vor, ist die Antragspflicht nicht ausgesetzt.

Hinweis: Das COVInsAG stellt nur auf nach dem 01.03.2020 entstandene Unsicherheiten in Bezug auf die Erstellung einer Fortführungsprognose ab. Aus diesem Grund trifft den Geschäftsführer bzw. Steuerberater die Beweislast für eine positive Fortführungsprognose bei rechnerischer Überschuldung auch bis dahin[30]. Somit ist der Tatbestand der Überschuldung inklusive Fortführungsprognose i.S.d. § 19 Abs. 2 InsO zwischen dem 01.03. und 30.9.2020, nach dem Willen des Koalitionsausschusses sogar bis 31.12.2020 – das Gesetzgebungsverfahren steht bei Redaktionsschluss noch aus -  de facto ausgehebelt[31]. Der Steuerberater ist aber weiterhin zur Erstellung eines mangelfreien Jahresabschlusses verpflichtet, so dass er die Unternehmensfortführung i.S.d. § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB gleichwohl prüfen muss.

Warn- und Hinweispflichten des StB

Den bereits oben genannten Warn- und Hinweispflichten sollte der Steuerberater trotz der zeitweisen Aussetzung der Antragspflicht unbedingt weiterhin beachten[32].

Zum einen gilt die Fortführungsprämisse nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB auch in Corona-Zeiten unverändert auch für Stichtage nach dem 31.12.2019.

Vor allem in den von der Corona-Pandemie besonders stark betroffenen Branchen (Gastronomie, Konzertveranstalter, Reiseunternehmen) dürften Zweifel an der Fortführung der unternehmerischen Tätigkeit bestehen, die der Steuerberater keinesfalls ignorieren darf, sondern mit dem Mandanten auch im Hinblick auf eine Bilanzierung zu Zerschlagungswerten besprechen muss.

Zum anderen beseitigt die Aussetzung der Antragspflicht nicht das Bestehen einer materiellen Insolvenz[33]. Aus diesem Grund muss der Steuerberater auch weiterhin die Tatbestände Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung im Blick haben und dem Mandanten entsprechende Hinweise erteilen.

Schließlich sei noch auf zwei jüngere Entscheidungen des OLG Brandenburg[34] und OLG Schleswig[35] hingewiesen. In beiden Fällen wurden Steuerberater vom Insolvenzverwalter auf Schadensersatz verklagt, weil der der Steuerberater seinen Warn- und Hinweispflichten nicht bzw. nicht hinreichend nachgekommen sei.

Die Entscheidungen zeigen erfreulicherweise, dass die Gerichte die Pflichten durchaus mit Augenmaß beurteilen und zutreffend auf den konkreten Einzelfall abstellen, was in beiden Fällen zu einer Klageabweisung zu Gunsten des Steuerberaters geführt hat.

Praktische Handlungsanweisungen: Wo dürfen Sie beraten?

Der Steuerberater darf im Rahmen der Jahresabschlusserstellung ohne weiteres beraten, insbesondere zu den handelsrechtlichen Bilanzierungsvorschriften der §§ 238 ff. HGB. Dies umfasst vor allem die handelsrechtlichen Bilanzansätze dem Grunde und der Höhe nach sowie auch die Ergebnisverwendung.

Betriebswirtschaftliche Beratung ist ebenfalls problemlos erlaubt, d.h. der Steuerberater darf z.B. Umsatz-, Ertrags- und Liquiditätsplanungen erstellen und den Mandanten bei Finanzierungsgesprächen bei Kreditinstituten oder Lieferanten begleiten.

Erlaubt ist auch die Erstellung einer Fortführungsprognose, auch wenn der Steuerberater nach der Rechtsprechung des BGH dazu nicht verpflichtet ist. Ob die Erstellung einer Fortführungsprognose allerdings aus haftungsrechtlicher Sicht angezeigt erscheint, ist freilich eine andere Frage.

Vorsicht ist hingegen geboten, wenn und soweit die Beratung sanierungs- bzw. insolvenzrechtlichen Charakter hat. Der Steuerberater befindet sich hier zugegeben in einem – derzeit kaum aufzulösenden – Dilemma, denn der Steuerberater soll zur Haftungsvermeidung eine Bilanzierung zu Fortführungswerten nicht (mehr) vornehmen, wenn ein Insolvenzantragsgrund vorliegt.

Dies lässt sich aber nur realisieren, wenn der Steuerberater die Voraussetzungen der Insolvenzantragsgründe Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung prüft bzw. prüfen darf. Damit bewegt sich der Steuerberater aber (zwangsweise) im materiellen Insolvenzrecht und läuft Gefahr, unerlaubte Rechtsberatung zu betreiben[36].

Die Rechtsprechung vermittelt hierzu nach wie vor keine gesicherten Erkenntnisse. So solle nach BGH[37] die Insolvenz- und Sanierungsberatung zum Berufsbild des Steuerberaters gehören. Auch verstoße der Steuerberater nach BGH[38] nicht gegen das RDG, wenn bei einer Sanierungsberatung die wirtschaftliche Tätigkeit im Vordergrund stehe. Dagegen dürfe die vom Steuerberater erbrachte Rechtsdienstleistung nicht im Vordergrund stehen[39].

Hinweis: Damit der Steuerberater gar nicht erst in die Gefahr einer unerlaubten Rechtsberatung gerät, sollte in Sanierungs- bzw. Krisenmandaten immer ein Rechtsanwalt hinzugezogen werden. Dafür spricht auch, dass es nicht nur um die Haftungsvermeidung bei der Jahresabschlusserstellung geht, sondern um weitere straf- und zivilrechtliche Haftungsrisiken, zu denen der Steuerberater ohnehin nicht beraten darf, z.B. §§ 43, 64 GmbHG, §§ 283 ff. StGB (Bilanzdelikte), § 266a StGB (Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen).

Der Steuerberater ist auch in der Corona-Pandemie häufig erster Ansprechpartner zu allen Fragen, die sich seither stellen: Beratung zu Kündigungs- oder Stundungsmöglichkeiten bei Darlehens- oder Mietverträgen, arbeitsrechtliche Fragen zu Kurzarbeit, Homeoffice usw. oder schnellstmöglicher Forderungseinzug zur Liquiditätsstärkung, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Dazu ist die Rechtslage eindeutig: unerlaubte Rechtsberatung, und damit für den Steuerberater untersagt, ist jegliche Vertragsprüfung, Vertragsverhandlung und Vertragsgestaltung[40], soweit sie sich nicht ausschließlich auf steuerliche Fragestellungen bezieht.

Das Verbot einer Beratung bzw. Prüfung soll auch für die zivilrechtliche Wirksamkeit einer Rangrücktrittvereinbarung gelten[41]. Ebenfalls unzulässig ist der Forderungseinzug[42]. Der Steuerberater muss daher immer auf die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes hinwirken. Dies auch vor dem Hintergrund, dass der Verstoß gegen das RDG zur Nichtigkeit des Beratungsvertrages führt und der Steuerberater keinen Vergütungsanspruch hat[43].

Autor: RA Raik Brete, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht sowie für Steuerrecht

 


[1] BGH, Urteil v. 26.01.2017, IX ZR 285/14, DStR 2017, 942; siehe dazu nur Brete/Leibner, NWB 2017, 3661 m.w.N. und Meixner, DStR 2018, 966 m.w.N.

[2] Siehe Brete, ZWH 2014, 216.

[3] BGBl. I 2020, 569.

[4] Siehe Bitter, GmbHR 2020, 797 [798 m.w.N.] sowie auch Born, NZG 2020, 521.

[5] Nach der Beschlusslage der Koalition.

[6] Dazu ausführlich Bitter, GmbHR 2020, 797 [799 ff.].

[7] Der Koalitionsausschuss hat am 25.08.2020 beschlossen, dieses Moratorium für den Insolvenzgrund Überschuldung bis zum 31.12.2020 zu verlängern.

[8] So Bitter, GmbHR 2020, 797 [800].

[9] Bitter, GmbHR 2020, 797 [799]; Gehrlein, DB 2020, 713 [715]; Thole, ZIP 2020, 650 [651].

[10] Bitter, GmbHR 2020, 797 [799 m.w.N.].

[11] Bitter, GmbHR 2020, 797 [799]; Schülke, DStR 2020, 929 [931 f.].

[12] OLG Hamburg, Urteil v. 13.10.2017, 11 U 53/17, NZG 2017, 1350 m. Anm. Grewe/Lauscher, NWB 2018, 1394.

[13] Siehe Mader/Seitz, DStR 2020, 996 [1003]; Matz/Hömig, DStR 2020, 1642 [1644].

[14] Brete/Leibner, NWB 2017, 3661 [3665].

[15] Zu den Hinweisen bzw. Verlautbarungen der BStBK siehe Brete, GmbH-StB 2018, 296 ff.

[16] Schiffers, GmbHR 2020, 520 [522].

[17] IDW Fachlicher Hinweis v. 4.3.2020, IDWLife 2020, 311; Mader/Seitz, DStR 2020, 996; Matz/Hömig, DStR 2020, 1642 [1644]; Schiffers, GmbHR 2020, 520 [521 ff.].

[18] Ausführlich zur Bilanzierung vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie Schiffers, GmbHR 2020, 520.

[19] Dieses Moratorium endet auch nach den Beschlüssen des Koalitionsausschusses vom 25.08.2020 am 30.09.2020.

[20] BGH, Urteil v. 24.5.2005, IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426; siehe auch Gehlen in: Römermann, Sanierungshandbuch für Steuerberater, 2017, S. 80.

[21] Mader/Seitz, DStR 2020, 996 [1003].

[22] Bitter, GmbHR 2020, 797 [801].

[23] Born, NZG 2020, 521 [523]; Thole, ZIP 2020, 650 [653].

[24] Siehe Nickert/Kühne, SanB 2020, 40 [41].

[25] Hertrich, NWB 2020, 1641 [1648].

[26] Gehrlein, DB 2020, 713 [714].

[27] Born, NZG 2020, 521 [523]; Römermann, NJW 2020, 1108 [1109]; Thole, ZIP 2020, 650 [653].

[28] Römermann, NJW 2020, 1108 [1108 f.]; in diesem Sinne auch Knauth/Krafzyk, WM 2020, 677 [678].

[29] Bitter, GmbHR 2020, 797 [880 m.w.N.].

[30] Bitter, GmbHR 2020, 797 [880].

[31] Nickert/Kühne, SanB 2020, 40 [42].

[32] So ausdrücklich auch Hertrich, NWB 2020, 1641 [1648 f.].

[33] Nickert/Kühne, SanB 2020, 40 [42]: Trotz der Aussetzung der Antragspflicht bleiben die Antragsgründe der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung bestehen.

[34] OLG Brandenburg, Urteil v. 18.12.2018, 3 U 169/17, ZInsO 2019, 388.

[35] OLG Schleswig, Urteil v. 29.11.2019, 17 U 80/19, nrkr. NZB BGH IX ZR 301/19, m. Anm. Hölscheidt, NJW 2020, 2326 und Meixner, DStR 2020, 1275; siehe auch Arens, NWB 2020, 1947.

[36] Nach Krenzler in: Krenzler, RDG, 2. Aufl. 2017, § 5, Rn. 73 fällt die Prüfung einer insolvenzrechtlichen Überschuldung nach § 19 InsO unter § 2 Abs. 1 RDG und soll danach nicht zulässig sein.

[37] BGH, Urteil v. 7.3.2013, IX ZR 64/12, NZI 2013, 438.

[38] BGH, Urteil v. 12.5.2011, III ZR 107/10, NZI 2011, 498.

[39] BGH, Urteil v. 1.2.2007, III ZR 281/05, NJW 2007, 1130.

[40] Siehe BGH, Urteil v. 7.5.1992, IX ZR 151/91, NJW-RR 1992, 1110; Ring, DStR-Beihefter 2017, 51 [60 f.].

[41] LG Münster, Urteil v. 23.8.2017, 111 O 40/16, DStR 2017, 2631.

[42] OLG Köln, Urteil v. 1.10.1999, 19 U 219/98; Hamminger, NWB 2018, 3921 [3927 auch für das außergerichtliche Mahnwesen zu den im Rahmen der laufenden Buchführung ermittelten offenen Posten].

[43] OLG Bremen, Urteil v. 30.9.2011, 2 U 41/11, NJW 2012, 81.

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