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Kinderfreibeträge verfassungswidrig?

Verstoßen die Kinderfreibeträge gegen das Grundgesetz? Das Finanzgericht Niedersachsen hat jedenfalls ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Kinderfreibeträge. Nach Ansicht des Gerichts ist zumindest durch die Freibeträge des Jahres 2014 nicht das „sächliche Existenzminimum“ gedeckt. Die Finanzrichter monieren aber auch die generelle Berechnungsmethode des Gesetzgebers.

Nach § 32 Abs. 6 EStG konnten für das Jahr 2014 Kinderfreibeträge von höchstens 7.008 € abgezogen werden (4.368 € für das sächliche Existenzminimum und 2.640 € für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf), wenn dies für zusammenveranlagte Steuerpflichtige günstiger war als das Kindergeld. Für das Jahr 2015 wurde der Freibetrag um 72 € für das sachliche Existenzminimum erhöht.

Das FG Niedersachsen hat sich nun in einem Aussetzungsbeschluss vom 16.02.2016 zu einer möglichen Verfassungswidrigkeit der Kinderfreibeträge generell und hinsichtlich der Höhe im Jahr 2014 geäußert und vorläufigen Rechtsschutz für den Antragsteller gewährt.

Kinderfreiträge im Jahr 2014 zu niedrig

Nach dem Neunten Existenzminimumbericht vom 07.11.2012 wurde das sächliche Existenzminimum eines Kindes für den Veranlagungszeitraum 2014 mit einem Betrag von jährlich 4.440 € festgestellt. Ursprünglich hatte die Bundesregierung geplant, den Freibetrag für das sächliche Existenzminimum bereits im Jahr 2014 um 72 € anzuheben. Diese Anpassung ist jedoch für 2014 nicht erfolgt, sondern erst ab 2015 vorgenommen worden. Deshalb sieht das Finanzgericht die Höhe des Kinderfreibetrags im Jahr 2014 als zu niedrig an, da das sächliche Existenzminimum nicht gedeckt wird.

Steuerbescheide stehen außerdem hinsichtlich des Kinderfreibetrags unter einem Vorläufigkeitsvermerk. Hier ist zweifelhaft, ob dieser auch für das Jahr 2014 gilt, da insoweit derzeit (noch) kein Verfahren hinsichtlich des Kinderfreibetrags beim Europäischen Gerichtshof, beim Bundesverfassungsgericht oder beim Bundesfinanzhof anhängig ist. Zur Höhe des Kinderfreibetrags 2014 ist außerdem derzeit noch ein Verfahren beim Finanzgericht München anhängig, dass als Musterverfahren vom Bund der Steuerzahler unterstützt wird (8 K 2426/15).

Generelle Verfassungswidrigkeit der Kinderfreibeträge der Höhe nach

Das Finanzgericht geht jedoch noch weiter: es betrachtet die Höhe des Kinderfreibetrags generell als zu niedrig. Seiner Ansicht nach beruht dies darauf, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Berechnung einen Durchschnittswert gebildet hat, der mit Blick auf die einzelnen Lebensalter eines Kindes dann zu unrealistischen Werten führt. Durch den Durchschnittswert wird dann, je nach Lebensalter des Kindes, das sächliche Existenzminimum unterschritten. So wird im Rahmen des Kinderfreibetrags 2014 für ein sechsjähriges Kind lediglich ein durchschnittliches Existenzminimum von 258 € pro Monat berücksichtigt.

Der entsprechende Regelsatz 2014 im Rahmen der Sozialleistungen liegt jedoch monatlich bei 261 €. Darüber hinaus wird das Existenzminimum für ein volljähriges Kind nicht gesondert ermittelt, sondern es wird der Satz für minderjährige Kinder angewendet. Dies ist aus Sicht des Finanzgerichts weder sachgerecht noch folgerichtig und auch nicht mehr vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gedeckt. Bei einem volljährigen Kind, für welches kein Anrecht auf Kindergeld oder Kinderfreibeträge besteht, richtet sich die Berücksichtigung des Existenzminimums nach dem Grundfreibetrag des § 32a Abs. 1 EStG – und liegt somit dann höher.

Praxishinweis

Das FG Niedersachsen hat seine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Kinderfreibetrags umfassend dargestellt. Verfahrensrechtlich befindet sich der Fall noch im Einspruchsverfahren, das Finanzgericht hat aber eine Beschwerde gegen die Aussetzung der Vollziehung beim Bundesfinanzhof zugelassen. Möglicherweise ist jedoch mit einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht zu rechnen. Derzeit könnte ein Ruhen des Einspruchsverfahrens nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO beantragt werden – nach dem aktuellen Verfahrensstand würde es sich hierbei jedoch um eine Ermessensentscheidung des Finanzamts handeln. Lediglich wenn das Verfahren beim Bundesfinanzhof oder dem Bundesverfassungsgericht anhängig werden sollte, kann verbindlich ein Ruhen des Einspruchsverfahrens beantragt werden.

FG Niedersachsen, Beschl. v. 16.02.2016 - 7 V 237/15

Quelle: StB, Diplom-Wirtschaftsjurist Thorsten Wagemann