Außergewöhnliche Belastung bei Pflege in einer Wohngemeinschaft

Unter welchen Voraussetzungen sind Aufwendungen behinderter und pflegebedürftiger Menschen steuerlich absetzbar? Der BFH hat entschieden, dass Kosten für die Unterbringung in einer selbstverantworteten Pflegewohngemeinschaft außergewöhnliche Belastungen (agB) darstellen können. Die Grundsätze bei der Abziehbarkeit von Krankheitskosten gelten entsprechend für die pflegebedingte Unterbringung.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat seiner Entscheidung vom 10.08.2023 (VI R 40/20) die Grundsätze für die Berücksichtigung der Unterbringung in einer Wohngemeinschaft als außergewöhnliche Belastungen weiter konkretisiert.

Sachverhalt im Besprechungsfall

Der Kläger A ist mit einem Grad der Behinderung von 100 und den Merkzeichen G (erheblich gehbehindert), B (Begleitung bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nötig) und H (hilflos) schwerbehindert. 

Zudem wurde er von der Pflegekasse in Pflegegrad 4 (schwerste Beeinträchtigung der Selbständigkeit) übergeleitet und wohnt gemeinsam mit anderen pflegebedürftigen Menschen in einer selbstverantworteten Wohngemeinschaft mit Betreuungsleistungen im Sinne der einschlägigen Landesgesetze. 

In der Wohngemeinschaft wird er rund um die Uhr von einem ambulanten Pflegedienst und Ergänzungskräften betreut, gepflegt und hauswirtschaftlich versorgt.

Für sein teilmöbliertes Zimmer entrichtete A eine monatliche Miete und zahlte einen (Fest-)Betrag an die Vermieter für Kost und andere Lebenshaltungskosten sowie hauswirtschaftliche Hilfs- und Betreuungsleistungen. 

Mit dem zuständigen Finanzamt (FA) entstand Streit darüber, ob A die Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen (agB) geltend machen kann. Der BFH gab dem A letztlich recht und wies die Revision des FA gegen das vorinstanzliche Urteil des Finanzgerichts als unbegründet zurück.

Grundsätze und die Entscheidung im Besprechungsfall

Krankheitskosten des Steuerpflichtigen sind grundsätzlich agB. Dies gilt auch für Aufwendungen für die krankheits- oder pflegebedingte Unterbringung des Steuerpflichtigen in einer dafür vorgesehenen Einrichtung sowie für den Fall, dass der Steuerpflichtige behinderungsbedingt in einer dafür vorgesehenen Einrichtung untergebracht ist. 

Solche Kosten sind allerdings nur insoweit als agB zu berücksichtigen, als dem Steuerpflichtigen zusätzliche Aufwendungen erwachsen. Daher sind Aufwendungen für die krankheitsbedingte Unterbringung um eine Haushaltsersparnis, die der Höhe nach den ersparten Verpflegungs- und Unterbringungskosten entspricht, zu kürzen, es sei denn, der Pflegebedürftige behält seinen Haushalt bei. 

Die Haushaltsersparnis des Steuerpflichtigen entspricht dem in § 33a Abs. 1 EStG vorgesehenen Höchstbetrag für den Unterhalt unterhaltsbedürftiger Personen.

Vor diesem Hintergrund sind die fraglichen Aufwendungen für die Unterbringung des A in der Wohngemeinschaft vermindert um eine Haushaltsersparnis als agB zu berücksichtigen. 

Aufgrund seiner schweren Behinderung und der damit einhergehenden Pflegebedürftigkeit sind dem A die Aufwendungen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. 

Die grundsätzlich erforderliche Prüfung der Zwangsläufigkeit dem Grunde und der Höhe nach ist vorliegend entbehrlich. Es ist lediglich erforderlich, dass die Kosten der Unterbringung mit der durch die Behinderung eingetretenen Pflegebedürftigkeit in einem adäquaten Zusammenhang stehen und nicht außerhalb des Üblichen liegen.

Hiervon geht der BFH bei den Aufwendungen des A aus. Der Umstand, dass A nicht in einem Heim i.S.d. § 1 HeimG bzw. in einer vergleichbaren Einrichtung untergebracht ist, steht der Anerkennung der Unterbringungskosten als agB nicht entgegen. 

Ausreichend ist, dass der Steuerpflichtige als (Mit-)Bewohner einer Wohngemeinschaft jenseits der Wohnraumüberlassung von einem oder mehreren (externen) Leistungsanbietern Betreuungs-, Pflege- und Versorgungsleistungen bezieht. 

Ebenfalls ohne Bedeutung für die Anerkennung von Unterbringungskosten als agB ist, ob die Wohngemeinschaft der Heimaufsicht, der behördlichen Qualitätssicherung oder einer anderen Form der Überwachung unterliegt. Der Abzug dieser Aufwendungen als agB schließt den Ansatz des Behindertenpauschbetrags aus.

Praxishinweis: Der BFH hat mit der Entscheidung seine Grundsätze zur Berücksichtigung von behinderungsbedingten Unterbringungskosten weiter konkretisiert: Aufwendungen für die krankheits-, pflege- und behinderungsbedingte Unterbringung in einer dem jeweiligen Landesrecht unterliegenden Wohngemeinschaft sind als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.

 

BFH, Urt. v. 10.08.2023 - VI R 40/20

Axel Scholz, RA und StB, FA für Steuerrecht

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