Was bisher geschah: Verfassungswidrigkeit der Erbschaft- und Schenkungsteuer

Das Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht war in den letzten 20 Jahren bereits zweimal Gegenstand einer Entscheidung des BVerfG, einmal 1995 (BVerfG, 22.06.1995, 2 BvR 552/91) und dann 2006 (BverfG, 07.11.2006, 1 BvL 10/02).

Die dritte Runde hat schließlich der BFH mit seiner Vorlage vom 27.09.2012 (II R 9/11) eingeläutet. Die Entscheidungsverkündung des BVerfG ist auf den 17.12.2014 datiert und wird bereits mit Spannung erwartet. Gegenstand des derzeitigen Vorlagebeschlusses sind im Kern Regelungen, die vom Gesetzgeber mit dem Erbschaftsteuerreformgesetz (verkündet am 31.12.2008, in Kraft ab dem 01.01.2009) als Reaktion auf die Rechtsprechung des BVerfG im Jahr 2006 eingeführt wurden.

Erfahren Sie im folgenden Artikel die wichtigsten Hintergrund-Infos zum Beschlussfall und zu den Vorlagefragen des BVerfG.

Der Beschlussfall: Erbe beklagt Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz

Der Kläger hatte als Neffe des im Jahr 2009 verstorbenen Erblassers verschiedene Guthaben bei Kreditinstituten und Steuererstattungsansprüche geerbt. Im Jahr 2009 wurden Personen der Steuerklasse II (also z.B. Neffen) nach § 19 I ErbStG erbschaftsteuerlich gleichbehandelt wie fremde Dritte in der Steuerklasse III.

Die Erbschaft unterlag einem Steuersatz von 30% – nach Abzug eines persönlichen Freibetrages. Diese Gleichstellung von Personen der Steuerklasse II mit Personen der Steuerklasse III galt nur im Jahr 2009. In den Jahren davor gab es differenzierende Regelungen, welche die Personen der Steuerklasse II besser stellten.

Ab dem Jahr 2010 wurden mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz vom 22.12.2009 die Personen der Steuerklasse II wieder mit einem niedrigeren Steuersatz belegt.

Im Fall begehrte der Kläger die Anwendung der ab 2010 geltenden Regelungen auch auf seinen Fall, da er in der Gleichstellung mit fremden Dritten als Erwerber einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz sah.

Außerdem hat der BFH mit Beschluss vom 05.10.2011 das BMF aufgefordert, dem Verfahren beizutreten. Denn in Frage steht außer der Steuerklassenfrage insbesondere auch die Verfassungsmäßigkeit der ab 2009 neu eingeführten Regelungen zur Betriebsvermögensverschonung nach § 13a, 13b ErbStG.

Rechtlicher Hintergrund: Das Erbschaftsteuerreformgesetz

Die streitigen Regelungen zur Betriebsvermögensverschonung wurden durch das Erbschaftsteuerreformgesetz ab 2009 neu eingeführt.
Soweit bestimmte Haltefristen eingehalten werden, kann begünstigtes Betriebsvermögen zu 85% oder auf Antrag sogar bis zu 100% von der Erbschaft- und Schenkungsteuer freigestellt werden.

Geknüpft sind diese Vergünstigungen an bestimmte Behaltensfristen und Lohnsummen, die innerhalb bestimmter Zeiträume erhalten bleiben müssen. Außerdem wird unterschieden in begünstigtes Betriebsvermögen und nicht begünstigtes Verwaltungsvermögen.

Die Argumentation des BFH zur Verfassungswidrigkeit der Erbschaft- und Schenkungsteuer

Gleichbehandlung der Steuerklasse II und III in 2009

Die eigentliche Ausgangsfrage des Beschlussfalls ist zwar auch Gegenstand der Vorlage, allerdings hat der BFH keine verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der Gleichbehandlung in 2009. Insbesondere zählen Neffen demnach nicht zur Kernfamilie im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG. Deshalb sind sie auch nicht als  besonders schutzwürdig anzusehen – zumindest nach bisheriger Auffassung.

Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG bei der Betriebsvermögensverschonung (§ 13a, § 13b ErbStG)

Eine verfassungswidrige Benachteiligung im Rahmen der Steuerklassenfrage könnte nach Ansicht des BFH allerdings dann vorliegen, wenn die Tarifvorschrift als „Klammernorm“ gleichheitswidrig wirkt.

Soweit nämlich die Bewertung von verschiedenen Vermögensarten an sich schon gleichheitswidrig ausgestaltet ist, kommt es dann über die Anwendung des gleichen Steuersatzes auf Erwerbe unterschiedlicher Vermögensarten zu einer gleichheitswidrigen Belastung (vgl. Rn. 66 ff. und 163 des Vorlagebeschlusses vom 27.09.2012).

In den Regelungen zur Betriebsvermögensverschonung nach § 13a, § 13b ErbStG sieht der BFH innerhalb des Bewertungsrechts eine solche gleichheitswidrige Benachteiligung gegeben.

Die vorgesehenen Auflagen sind nicht dazu geeignet, die weitgehende Verschonung des Erwerbs von Betriebsvermögen zu rechtfertigen. Auch eine besondere „Gemeinwohlbindung und Gemeinwohlverpflichtung“ betrieblichen Vermögens rechtfertigt die Begünstigung nicht. Nach Ansicht des BFH besteht im Rahmen der geltenden Regelungen eher noch die Gefahr für Gestaltungen, die das Gemeinwohl sogar beeinträchtigen.

Der BFH hat bereits den alten Bewertungsabschlag von 35% (§ 13 Abs. 2a ErbStG a.F.) als problematisch angesehen. Dementsprechend stellen sich bei der Neuregelung nach Ansicht des BFH sogar vermehrte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit ein (vgl. auch Vorlage Rn. 86 und 141).

Ein weiterer Kritikpunkt des BFH ist der Umfang des begünstigten Vermögens. Nach der zum Zeitpunkt des Beschlusses geltenden Rechtslage war die Übertragung von eigentlich nicht begünstigtem privatem Vermögen (z.B. Wertpapiere, Geldvermögen) auf eine GmbH oder GmbH & Co. KG eine beliebte Möglichkeit zur Schaffung von begünstigten Betriebsvermögen (sog. Cash-Gesellschafts-Modell).

Diese Möglichkeit hat der Gesetzgeber, aufgeschreckt durch den Vorlagenbeschluss, nun in 2013 im Rahmen des Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetzes weitgehend geschlossen. Der Kreis des schädlichen Verwaltungsvermögens wurde erweitert um

  • Zahlungsmittel,
  • Geschäftsguthaben,
  • Geldforderungen und
  • andere Forderungen.

Dieses Vermögen ist nur noch begünstigt, wenn es 20% des Gesamtwerts des Anteils oder Betriebsvermögens nicht übersteigt. Die Nutzung der Cash-Gesellschafts-Gestaltungen war noch bis zum Ablauf des 06.06.2013 möglich. Allerdings lässt der Gesetzgeber für Finanzierungsgesellschaften eine Hintertür offen. Hier kann sich dann die Frage stellen, ob diese Möglichkeit nicht gleichsam auch gleichheitswidrig wirkt.

Die Verwaltungsvermögensquote von 50% bei der Regelverschonung von 85% sieht der BFH an sich schon als gleichheitswidrig an. Hieraus kann durch entsprechende Gestaltung eine Sonderverschonung für privates Vermögen erreicht werden. Hier ist die Frage, inwieweit die neue gesetzliche Verschärfung eine mögliche Gleichheitswidrigkeit relativiert.

Die Lohnsummenregelung nach § 13a Abs. 1 Satz 2-5 sowie Abs. 4 und Abs. 8  ErbStG sieht der BFH nicht als eine ausreichende Rechtfertigung für die Verschonung. Hiernach erweist sich der Begünstigungsgrund des Arbeitsplatzerhalts schon deshalb nicht als tragfähig, da mehr als 90% aller Betriebe weniger 20 Beschäftigte haben. Die Lohnsummenregelung greift jedoch erst ab 20 Beschäftigten. Außerdem sei nach Ansicht des BFH die Lohnsummenregelung relativ einfach zu umgehen.

Darüber hinaus wird auch die Behaltensfrist für den Begünstigten in § 13a Abs. 5 und Abs. 8 ErbStG vom BFH als zu kurz angesehen. Nach Ansicht des BFH wären hier längere Bindungsfristen zumutbar. Kritisiert wird auch, dass bei Verstößen gegen die Behaltensfrist Begünstigungen nur teilweise wegfallen.

Schließlich kommt der BFH zusammenfassend zum Ergebnis, dass durch die Vielzahl an Begünstigungen und Steuerbefreiungen die tatsächliche Besteuerung von Vermögensübertragungen eher die Ausnahme darstellt. Aus verfassungsrechtlicher Sicht sollte die Besteuerung jedoch den Regelfall darstellen. 

Fazit: Erbschaftsteuerrecht verfassungswidrig?

Der BFH übt im Vorlagenbeschluss umfassende Kritik an den gesetzlichen Neuerungen zur Erbschaftsteuer, die ja eigentlich einen verfassungskonformen Zustand herstellen sollten. Von der Kritik sind fast die gesamten Neuregelungen im Bereich der betrieblichen Vermögensübertragung umfasst.  Hinsichtlich der Entscheidung des BVerfG stellt sich auch die Frage, wie sich die Neuregelungen zur Vermeidung der Cash-Gesellschaftsgestaltungen auf die Entscheidung auswirken werden.

Autor: Thorsten Wagemann, Steuerberater/ Dipl.-Wirtschaftsjurist, München

 

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