Festsetzung der Umsatzsteuer bei Organschaft

Was gilt für die Festsetzung der Umsatzsteuer im Fall einer Organschaft? Der BFH hat eine Drittwirkung bejaht, wenn für eine Organgesellschaft irrtümlich eine Steuerfestsetzung erfolgt ist. Der Organträger kann dann keinen Vorsteuerabzug aus Eingangsleistungen beanspruchen, die Dritte über die Organgesellschaft bezogen haben. Insofern hat der BFH auch Folgen von Rechtsprechungsänderungen geklärt.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in seiner aktuellen Entscheidung vom 26.08.2021 (V R 13/20) dazu Stellung genommen, wie zu verfahren ist, wenn gegen die Organgesellschaft fälschlicherweise ein Steuerbescheid ergangen ist, der an den Organträger hätte gerichtet werden müssen.

Sachverhalt im Besprechungsfall

D ist im Rahmen seines Einzelunternehmens tätig und ging in Übereinstimmung mit dem Finanzamt (FA) davon aus, dass er Organträger der PL-GmbH und der PR-GmbH war. Beide GmbHs erbrachten steuerbare Leistungen gegen Entgelt an drei KGs (C-KG, P-KG und R-KG), bei denen D jeweils einziger Kommanditist sowie Alleingesellschafter und einziger Geschäftsführer der jeweiligen Komplementär-GmbH war.

Dabei handelte es sich in Bezug auf die C-KG um die C-GmbH und in Bezug auf die beiden anderen KGs um die F-GmbH. Für das Streitjahr setzte das FA die Umsatzsteuer für die C-KG und R-KG jeweils mit einem Vorsteuerüberhang sowie für die P-KG auf 0 € fest.

Für das Folgejahr setzte das FA die Umsatzsteuer für die C-KG wiederum mit einem Vorsteuerüberhang und für die R-KG mit einer geringen Umsatzsteuerzahllast fest. Für die P-KG erging bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung kein Steuerbescheid.

D gab für die beiden Streitjahre Umsatzsteuererklärungen ab. Anschließend beantragte D die Änderung seiner Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre, dabei entstand Streit zwischen D und dem FA, ob D auch Organträger der drei KGs gewesen sei. Der Einspruch blieb erfolglos, während die Klage zum Finanzgericht (FG) Erfolg hatte. Der BFH folgte dem FG nicht.

Drittwirkung von Steuerbescheiden

Die aus § 166 AO folgende Drittwirkung betrifft zwar insbesondere Haftungsbescheide gem. § 191 AO, ist jedoch nicht auf diese beschränkt. Dies ergibt sich bereits aus der systematischen Stellung dieser Vorschrift als Teil der allgemeinen Vorschriften zur Steuerfestsetzung gem. §§ 154 ff. AO.

Diese Vorschrift ist daher auch für die Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen von D zu berücksichtigen. Die KGs sind als Steuerpflichtige i.S.d. § 166 AO zu behandeln. Die Person des Steuerpflichtigen bestimmt sich in diesem Fall nach der allgemeinen Definition gem. § 33 Abs. 1 AO.

Steuerpflichtiger ist demnach insbesondere, wer die Steuer schuldet. Für die steuerbaren Umsätze des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG ist grundsätzlich der Unternehmer der Steuerschuldner (oder der Vergütungsberechtigte).

Im Fall einer Organschaft ist dies der Organträger, nicht aber die eingegliederte juristische Person, welche ihre Tätigkeit als sogenannte Organgesellschaft nicht selbständig ausübt und daher die Anforderungen des Unternehmerbegriffs nicht erfüllt. Dabei kann auch eine KG Organgesellschaft sein.

Die Person des Steuerpflichtigen kann sich aber auch aus einem (die Drittwirkung begründenden) Steuerbescheid ergeben. Da die Steuerfestsetzung durch einen Steuerbescheid erfolgt, welcher die Angabe zu enthalten hat, wer die Steuer schuldet, ist Steuerpflichtiger i.S.d. § 166 AO auch derjenige, gegenüber dem eine Steuer zu Unrecht festgesetzt ist.

Denn während der Steuerbescheid im Regelfall einen deklaratorischen Charakter hat, da er lediglich feststellt, welche Steuer nach dem einschlägigen Gesetz geschuldet wird, wirkt er konstitutiv, soweit die Feststellung von der tatsächlich entstandenen Steuer abweicht.

Denn auch insoweit besteht eine rechtswidrig, jedoch wirksam festgesetzte Steuerforderung, solange die Festsetzung nicht aufgehoben ist oder sie in anderer Weise ihre Rechtswirkungen verloren hat.

Für die Drittwirkung folgt hieraus, dass es unerheblich ist, ob die begründende Steuerfestsetzung rechtmäßig oder rechtswidrig ist.

Liegt z.B. ein Steuerbescheid für eine GmbH vor, ist der GmbH-Geschäftsführer unter den weiteren Voraussetzungen des § 166 AO mit dem Einwand ausgeschlossen, dass nicht die GmbH, sondern eine andere Person die Umsätze ausgeführt habe, so dass der GmbH bereits die Unternehmereigenschaft fehle.

Deshalb ist die Wirksamkeit rechtswidrig bestandskräftiger Steuerbescheide (gem. § 124 Abs. 2 AO) auch im Verhältnis zwischen Organträger und Organgesellschaft zu berücksichtigen.

Ist für eine Organgesellschaft entgegen § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG eine Steuerfestsetzung ergangen, ergibt sich hieraus eine Drittwirkung i.S.d. § 166 AO, nach welcher aus dieser (materiell-rechtlich unzutreffenden) Steuerfestsetzung die Stellung der Organgesellschaft als eigenständiger Unternehmer und Steuerpflichtiger folgt, was eine Berücksichtigung dieser Gesellschaft als Organgesellschaft beim Organträger ausschließt.

Aufgrund dieser Steuerfestsetzungen ist es unerheblich, dass es materiell-rechtlich an einem Drittverhältnis fehlt, da es sich bei den drei KGs um Organgesellschaften handelt. Diese rechtliche Einordnung entspricht nach Ansicht des BFH auch dem Unionsrecht.

Entscheidung im Besprechungsfall

Das FG hat nach Ansicht des BFH den § 166 AO, aus welchem sich eine Bindungswirkung zu Lasten des D ergibt, zu Unrecht unberücksichtigt gelassen. Damit steht zwar fest, dass D als Organträger keinen Vorsteuerabzug aus Eingangsleistungen geltend machen kann, die über die KGs als Organgesellschaften von Dritten bezogen wurden.

Gleichwohl bleibt das Recht des Organträgers, die Nichtbesteuerung von Innenleistungen geltend zu machen, die er an die Organgesellschaft erbracht hat, unberührt.

Denn D ist nicht gehindert, im Rechtsbehelfsverfahren der ihm gegenüber ergangenen Steuerfestsetzungen geltend zu machen, dass eine Organschaft vorliegt und er Umsätze, die aufgrund der Organschaft als nicht steuerbare Innenumsätze anzusehen sind, zu Unrecht versteuert hat.

Die Bindungswirkung des § 166 AO zu Lasten des D bezieht sich nur auf die Besteuerungsgrundlagen, die Gegenstand der unanfechtbar gegenüber den KGs ergangenen Steuerfestsetzungen sind, nicht aber auf die Umsätze, die (wie im Streitfall die von den Organ-GmbHs an die KGs erbrachten Ausgangsleistungen) Gegenstand der angefochtenen Steuerfestsetzungen sind.

Ohne diese Einschränkung käme einer für eine Organgesellschaft entgegen § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG und damit rechtswidrig ergangenen Steuerfestsetzung der Charakter eines Grundlagenbescheids für die steuerrechtliche Beurteilung der vom Organträger selbst verwirklichten Umsätze (hier Ausgangsleistungen der bei ihm erfassten Organ-GmbHs an die KGs) zu.

Demgegenüber erhält die Steuerfestsetzung i.S.d. § 166 AO durch den dort angeordneten Einwendungsausschluss nicht den Charakter eines Grundlagenbescheids.

Daher ist die rechtswidrige Steuerfestsetzung für die Organgesellschaft und die sich hieraus ergebende Verneinung der Organschaft in Bezug auf die vom Organträger selbst verwirklichten Besteuerungsgrundlagen ohne Bedeutung.

Denn durch die Steuerfestsetzung für die Organgesellschaft wird nicht mit Wirkung für die vom Organträger selbst verwirklichten Besteuerungsgrundlagen verbindlich festgestellt, dass keine Organschaft vorliegt. Maßgeblich ist, dass § 166 AO nur Einwendungen erfasst, die an die Besteuerungsgrundlagen im bestandskräftig gewordenen Steuerbescheid anknüpfen.

Die durch § 166 AO angesprochenen Personen verlieren daher nur die Einwände, die sie im Rechtsbehelfsverfahren gegen den Steuerbescheid geltend machen konnten.

Dementsprechend hat der Organträger den Einwand, seine Ausgangsleistungen an eine Organgesellschaft seien als innerorganschaftliche Innenumsätze nicht steuerbar und daher auch nicht steuerpflichtig, nicht in einem Rechtsbehelfsverfahren gegen die für die Organgesellschaft ergangene Steuerfestsetzung geltend zu machen, sondern wie vorliegend in seinem eigenem Rechtsbehelfsverfahren.

Im Besprechungsfall wirkt sich die Unternehmereigenschaft der KGs, wie sie sich aus den für diese ergangenen Steuerfestsetzungen ergibt und die D gem. § 166 AO gegen sich gelten lassen muss, daher nicht dergestalt aus, dass D das Bestehen dieser Unternehmereigenschaft auch in Bezug auf die Besteuerungsgrundlagen gegen sich gelten lassen muss, die bereits Gegenstand des für ihn ergangenen Steuerbescheids sind, dessen Änderung er beantragt hat.

Auf die steuerrechtliche Behandlung dieser Umsätze bei den KGs und insbesondere auf die Frage, ob die KGs aus diesen Leistungen einen Vorsteuerabzug in Anspruch genommen haben, kommt es im Übrigen nicht an, da insoweit kein Korrespondenzprinzip besteht.

Ist aufgrund der Unanfechtbarkeit von Steuerfestsetzungen (hier bei den KGs) eine dem materiellen Recht (hier § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG) entsprechende Besteuerung nicht möglich, kann das FA, wenn wie vorliegend keine Korrekturgrundlagen anwendbar sind, gegen das Begehren des Organträgers, Ausgangsleistungen entsprechend dem materiellen Recht als nicht steuerbare Innenumsätze zu behandeln, nicht entgegenhalten, dass ein von den Organgesellschaften (hier den KGs) nach dem materiellen Recht rechtswidrig in Anspruch genommener Vorsteuerabzug verfahrensrechtlich nicht mehr korrigierbar ist.

Zum Umfang dieser Umsätze hat das FG indes keine hinreichenden Feststellungen getroffen. Diese sind in einem zweiten Rechtsgang nachzuholen. Dass das FA im erstinstanzlichen Verfahren der Gesamtkonsolidierungsberechnung des D zugestimmt hat, reicht nicht aus.

Praxishinweis

Der BFH hat mit dieser Entscheidung seine Grundsätze zur umsatzsteuerlichen Organschaft und der Änderbarkeit irrtümlich erlassener Steuerbescheide konkretisiert: Ist für eine Organgesellschaft entgegen § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG eine Steuerfestsetzung ergangen, ergibt sich hieraus eine Drittwirkung i.S.d. § 166 AO.

Der Organträger kann dann keinen Vorsteuerabzug aus Eingangsleistungen geltend machen, die von Dritten über die Organgesellschaft bezogen wurden. Das Recht des Organträgers, die Nichtbesteuerung von Innenleistungen geltend zu machen, die er an die Organgesellschaft erbracht hat, bleibt unberührt.

Bei einer Rechtsprechungsänderung können Organträger und Organgesellschaften nicht beanspruchen, im selben Besteuerungszeitraum für den einen Unternehmensteil (hier: Organgesellschaft) auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung und für den anderen Unternehmensteil (hier: Organträger) nach der geänderten Rechtsprechung besteuert zu werden.

BFH, Urt. v. 26.08.2021 - V R 13/20

Quelle: RA und StB Axel Scholz, FA für Steuerrecht und FA für Handels- und Gesellschaftsrecht

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