Steuerberatung -

Spekulationsverluste sind auch bei bestandskräftigen Bescheiden verrechenbar

Kann ein Börsenminus im Entstehungsjahr mangels Gewinnen nicht verrechnet werden, kommt ein Ansatz in den Folgejahren über § 174 AO in Betracht.

Nach § 23 Abs.3 S.8 EStG dürfen Verluste, die im Entstehungsjahr nicht ausgleichsfähig sind, als Minderungsposten bei den positiven Einkünften in anderen Veranlagungszeiträumen berücksichtigt werden. § 23 EStG sieht allerdings kein gesondertes Feststellungsverfahren für diese negativen Einkünfte vor. Vielmehr ist über die Berücksichtigung solcher Verluste nach dem BFH-Urteil vom 22.09.2005 (

IX R 21/04) erst in denjenigen Jahren zu entscheiden, in denen der Anleger positive Einkünfte aus Spekulationsgeschäften erzielt.

Nach § 23 Abs.3 S.9 EStG mindern nicht sofort ausgleichsfähige Verluste die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften in dem unmittelbar vorangegangenen oder in den folgenden Veranlagungszeiträumen. Hätte der Gesetzgeber hierfür ein gesondertes Feststellungsverfahren vorgesehen, wäre dies in § 23 EStG eingebaut worden. Somit kommt es beim Ansatz der Verluste auf das Jahr der Verrechnung und nicht den Bescheid aus dem Entstehungsjahr an.

Gegen geltende Verwaltungsmeinung...

Damit wendet sich der BFH gegen die Verwaltungsauffassung (BMF v. 05.10.2000, IV C 3 – S 2256 - 263/00, BStBl I 2000, 1383, Tz. 42). Hiernach sind die nicht im Entstehungsjahr mit Veräußerungsgewinnen ausgeglichenen Verluste nach Maßgabe des § 10d EStG rück- und vortragsfähig.

§ 23 Abs. 3 S. 9 EStG ordnet aber lediglich an, dass die im Entstehungsjahr nicht ausgleichsfähigen Verluste als Minderungsposten bei positiven Einkünften aus solchen Geschäften in anderen Veranlagungszeiträumen zu berücksichtigen sind. Ein gesondertes Feststellungsverfahren für negative Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften ist weder in § 23 EStG noch in § 10d EStG geregelt.

Mit der Neufassung des § 23 Abs. 3 EStG wollte der Gesetzgeber lediglich die Verlustverrechung bei sonstigen Leistungen für alle noch nicht bestandskräftigen Fälle erweitern, nachdem das BVerfG (30.09.1998 - 2 BvR 1818/91, BB 1998, 2508, NJW 1998, 3769, HFR 1999, 44) das frühere Verlustausgleichsverbot für verfassungswidrig erklärt hatte. Für die Annahme eines gesonderten Feststellungsverfahrens ist danach kein Raum.

Folglich muss über die Verrechnung nicht ausgleichsfähiger Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S.d. § 23 EStG in dem Veranlagungszeitraum entschieden werden, in dem verrechenbare positive Einkünfte aus solchen Geschäften erzielt werden.

...mit folgenden positiven Auswirkungen für Anleger

Soweit eine Verrechnung nicht ausgleichsfähiger Verluste mit positiven Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften in bereits abgelaufenen Veranlagungszeiträumen unterblieben ist, kann dies trotz eingetretener Bestandskraft von Einkommensteuerbescheiden nach Maßgabe des § 174 Abs. 3 AO nachgeholt werden. Nach dieser Vorschrift kann eine Steuerfestsetzung geändert werden, wenn bei ihr ein Sachverhalt in der erkennbaren Annahme nicht berücksichtigt wurde, dass dieser in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen sei.

Ein solcher Widerstreit ist auch zwischen einem Feststellungsbescheid und einem Einkommensteuerbescheid als Folgebescheid möglich. Er ist gegeben, soweit die streitigen Verluste wegen der von den Beteiligten zu Unrecht angenommenen Notwendigkeit eines gesonderten Feststellungsverfahrens nicht angesetzt worden sein sollten.

Somit können Anleger ihre vergessenen oder unbewusst unterlassenen Angaben zu Spekulationsverlusten in späteren und noch offenen Jahren nachholen. Allerdings gelingt das nur, wenn sich die Minusbeträge nicht im Entstehungsjahr auswirken würden, weil entsprechende Gewinne angefallen sind.

Hinweis: Einsprüche, mit denen einen Ausgleich von Spekulationsverlusten mit anderen Einkünften begehrt wird, ruhen im Hinblick auf die beim BFH anhängigen Revisionsverfahren (IX R 45/04, Vorinstanz FG Köln v. 15.09.2004 - 7 K 1268/03 und IX R 31/04, Vorinstanz FG Berlin v. 22.06.2004 - 7 K 7500/02 zwangsweise gem. § 363 Abs. 2 Satz 2 AO (OFD Münster v. 03.05.2005, DB 2005, 1027, DStR 2005, 969).

Der steuerliche Hintergrund

Spekulationsgeschäfte

Die Veräußerung von Wirtschaftsgütern des Privatvermögens werden steuerlich im Allgemeinen nicht erfasst. Eine Ausnahme hiervon macht § 23 EStG in Bezug auf private Veräußerungsgeschäfte. Der Begriff Spekulationsgeschäft wurde gesetzlich lediglich bis 1998 verwendet. Um in die Steuerpflicht zu geraten, muss jedoch keine Spekulationsabsicht vorliegen.
Voraussetzung für die Besteuerung ist die Anschaffung und der Verkauf von privaten Wirtschaftsgütern innerhalb bestimmter Fristen. Der Grundgedanke hierbei ist, dass kurzfristige Werterhöhungen wirtschaftlich eher zur Einnahmeerzielung als zum langfristigen Vermögenszuwachs gerechnet werden. Veräußerungsgeschäfte gehören zu den sonstigen Einkünften, sofern sie nicht einer anderen Einkunftsart zuzurechnen ist. Einzige Ausnahme ist gem. § 23 Abs. 2 S. 2 EStG der Verkauf von Anteilen an Kapitalgesellschaften i.S.d. § 17 EStG, sofern das Geschäft binnen Jahresfrist ausgeführt wird.

Der Spekulationsbesteuerung unterliegen neben Immobilien Wirtschaftsgüter, die innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten erworben und veräußert werden. Das sind Wertpapiere, Schmuck, Briefmarken oder Edelmetalle. Optionsgeschäfte fallen ebenfalls darunter, da es sich bei ihnen um selbstständige Wirtschaftsgüter handelt. Auch Termingeschäfte auf Waren oder Wertpapiere zählen als Differenzgeschäfte zu den Veräußerungsgeschäften.

Steuer-Hinweis: Nach dem Gesetzeswortlaut ist auch ein Verlust aus dem Verkauf von Pkw oder Hausrat binnen Jahresfrist geltend zu machen. Dies will die Finanzverwaltung aber nicht akzeptieren und lehnt Minusbeträge ab, die bei Wirtschaftsgütern des täglichen Gebrauchs mit üblicher Abnutzung anfallen (OFD München v. 19.07.2002, DStR 2002, 1529, OFD Münster v. 09.01.2002, DB 2002, 243).

Ein privates Veräußerungsgeschäft setzt einen Anschaffungsvorgang voraus. Dies ist der Erwerb eines Wertpapiers von einem Dritten gegen Entgelt. Der unentgeltliche Erwerb durch Erbschaft, Vermächtnis, Pflichtteil oder Schenkung ist keine Anschaffung. Der neue Besitzer erbt faktisch die Anschaffungskosten des Vermögens für die Spekulationsrechnung mit. Erst der anschließende Verkauf löst außer bei Termingeschäften die Besteuerung aus. Welche Motive Anlass für die Veräußerung sind, ist unerheblich. So greift das Finanzamt auch dann auf die Gewinne zu, wenn eine finanzielle Notlage oder Krankheitsgründe für den Verkauf verantwortlich waren.

Die Spekulationsfrist beträgt für Wertpapiere und Termingeschäfte ein Jahr. Keine Frist gibt es bei Fixgeschäften. Hierbei erfolgt der Verkauf von Wertpapieren oder Devisen bereits, bevor sie überhaupt angeschafft werden. Die Steuerfreiheit ist erreicht, wenn die Frist um mindestens einen Tag überschritten wird. Die Jahresfrist nach § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG beginnt in dem Zeitpunkt, in dem das der Anschaffung zu Grunde liegende obligatorische Rechtsgesch&auml;ft abgeschlossen wird. F&uuml;r &uuml;ber die B&ouml;rse erworbene Wertpapiere ist dies die Ausf&uuml;hrung des Kaufauftrags und bei einer Neuemission der Tag, an dem &uuml;ber die Zuteilung entschieden wird.<BR>
Die Besteuerung erfolgt in dem Jahr, in dem der Verkäufer den Zahlungseingang verbuchen kann. Das ist in der Regel die Gutschrift auf dem Konto, die einige Tage nach der Börsenausführung erfolgt. Somit sind zwei Zeitpunkte maßgebend: Der Verkauf für die Berechnung der Frist und die Zahlung für das Jahr der Steuerpflicht. Bei einem unentgeltlichen Erwerb gilt als Anschaffungsdatum der Erwerb des Vorbesitzers. Die Fristberechnung bezieht sich grundsätzlich auf jedes einzelne Wertpapier. Diese Regel gilt im Prinzip auch dann, wenn die gleichen Aktien veräußert werden, die nur zu unterschiedlichen Zeitpunkten erworben wurden.

Der Auszug ist dem Ratgeber „Kapitalanlage und Steuern“, Seite 355 entnommen



Quelle: Deubner Redaktion - Kapital und Steuern vom 08.06.06