Die neue Festhaltenserklärung im AÜG sorgt für Verwirrung - hier eine Aufarbeitung

Für Verwirrung sorgte bei der Reform der Arbeitnehmerüberlassung die zusätzliche Schaffung einer Festhaltenserklärung, die nach Art eines Widerspruchsrechts sowohl den alten Fiktionstatbestand der unerlaubten Überlassung als auch die neu geschaffenen Fiktionstatbestände der verdeckten Überlassung mit Überlassungserlaubnis und der Überschreitung der Höchstüberlassungsdauer „ergänzen“ soll.

Danach sollte die Fiktion über den unveränderten § 10 Abs. 1 AÜG nur greifen, wenn nicht rechtzeitig widersprochen wurde:

§ 9 Abs. 1 Nr. 1–1b AÜG i.d.F. des Regierungsentwurfs:

„[…] 1. Verträge zwischen Verleihern und Entleihern sowie zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern, wenn der Verleiher nicht die nach § 1 erforderliche Erlaubnis hat; der Vertrag zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer wird nicht unwirksam, wenn der Leiharbeitnehmer schriftlich bis zum Ablauf eines Monats nach dem zwischen Verleiher und Entleiher für den Beginn der Überlassung vorgesehenen Zeitpunkt gegenüber dem Verleiher oder dem Entleiher erklärt, dass er an dem Arbeitsvertrag mit dem Verleiher festhält; tritt die Unwirksamkeit erst nach Aufnahme der Tätigkeit beim Entleiher ein, so beginnt die Frist mit Eintritt der Unwirksamkeit,

1a. Arbeitsverträge zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern, wenn entgegen § 1 Abs. 1 Satz 5 und 6 die Arbeitnehmerüberlassung nicht ausdrücklich als solche bezeichnet und die Person des Leiharbeitnehmers nicht konkretisiert worden ist, es sei denn, der Leiharbeitnehmer erklärt schriftlich bis zum Ablauf eines Monats nach dem zwischen Verleiher und Entleiher für den Beginn der Überlassung vorgesehenen Zeitpunkt gegenüber dem Verleiher oder dem Entleiher, dass er an dem Arbeitsvertrag mit dem Verleiher festhält,

1b. Arbeitsverträge zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern mit dem Überschreiten der zulässigen Überlassungshöchstdauer schriftlich bis zum Ablauf eines Monats nach Überschreiten der zulässigen Überlassungshöchstdauer gegenüber dem Verleiher oder dem Entleiher, dass er an dem Arbeitsvertrag mit dem Verleiher festhält,“[1]

Diese Neuerung stieß vor allem wegen der Möglichkeit, sich vor der Beitragshaftung und Strafbarkeit durch von Verleihern und Entleihern initiierte „Widersprüche“ gegen die Begründung eines Arbeitsverhältnisses und vor der Verantwortung für die Abführung von Sozialabgaben zu schützen, auf heftige Kritik.[2]

Abweichend vom Referentenentwurf wurde bereits vor dem Kabinettsbeschluss die Gefahr von Blankounterschriften sowie vorformulierten und vordatierten Festhaltenserklärungen erkannt. Deshalb ist bereits in den Regierungsentwurf folgender Abs. 2 in § 9 AÜG eingefügt worden:

„(2) Eine vor Beginn einer Frist nach Absatz 1 Nummer 1 bis 1b abgegebene Erklärung ist unwirksam.“[3]

Am 17.10.2016 fand vor dem Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales eine Anhörung der Sachverständigen statt. Sowohl die Vertreterin des DGB Helga Nielebock als auch die als Einzelsachverständige geladenen Professoren Brors, Sell und Düwell hielten die in § 9 Abs. 2 des Regierungsentwurfs gegen Manipulationen vorgesehene Regelung für unzureichend.

Sie forderten verstärkte Vorkehrungen. Zusätzlich wiesen sie darauf hin, dass für Verleiher oder Entleiher die Möglichkeit ausgeschlossen werden müsse, sich durch die Festhaltenserklärung des Arbeitnehmers sozial- und strafrechtliche Vorteile zu verschaffen. Der Ausschuss hat die in der Anhörung vorgebrachten Bedenken aufgegriffen und dem Bundestag folgende Neufassung des § 9 Abs. 2 sowie die Einfügung des Abs. 3 AÜG empfohlen:

„(2) Die Erklärung nach Absatz 1 Nummer 1, 1a oder 1b (Festhaltenserklärung) ist nur wirksam, wenn

  1. der Leiharbeitnehmer diese vor ihrer Abgabe persönlich in einer Agentur für Arbeit vorlegt,
  2. die Agentur für Arbeit die abzugebende Erklärung mit dem Datum des Tages der Vorlage und dem Hinweis versieht, dass sie die Identität des Leiharbeitnehmers festgestellt hat, und
  3. die Erklärung spätestens am dritten Tag nach der Vorlage in der Agentur für Arbeit dem Ver- oder Entleiher zugeht.

(3) Eine vor Beginn einer Frist nach Absatz 1 Nummer 1 bis 1b abgegebene Festhaltenserklärung ist unwirksam. Wird die Überlassung nach der Festhaltenserklärung fortgeführt, gilt Absatz 1 Nummer 1 bis 1b. Eine erneute Festhaltenserklärung ist unwirksam. § 28e Absatz 2 Satz 4 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch gilt unbeschadet der Festhaltenserklärung.“[4]

Mit der beschlossenen Neuregelung des § 9 AÜG wird die vom Neunten Senat des BAG aufgezeigte Regelungslücke geschlossen.

Zugleich wird dem Leiharbeitnehmer die Möglichkeit eröffnet, trotz der bei der Überlassung aufgetretenen Illegalität in einem Arbeitsverhältnis zum Verleiher zu bleiben, wenn die Begründung eines Arbeitsverhältnisses zum Entleiher unvorteilhaft wäre, weil dieser z.B. kurz nach der Überlassung in Vermögensverfall gerät.

Zum Schutz vor Missbrauch ist die Festhaltenserklärung nur wirksam, wenn der Leiharbeitnehmer diese persönlich bei der für die Durchführung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes zuständigen Bundesagentur für Arbeit vorlegt.

Die Tätigkeit der Agentur für Arbeit beschränkt sich nach Art eines Notars auf die Entgegennahme der schriftlichen Festhaltenserklärung, auf der sie das Datum der Vorlage und die Feststellung der Identität der vor Ort anwesenden Leiharbeitskraft vermerkt.

Dadurch wird das Risiko der willkürlichen Datierung vorgefertigter Erklärungen ausgeschlossen. Damit die Erklärung nicht auf „Vorrat“ zu Beginn der Überlassung der Agentur für Arbeit vorgelegt wird, ist sie nur wirksam, wenn sie spätestens am dritten Tag nach der Vorlage in der Agentur für Arbeit dem Ver- oder Entleiher zugeht.

Die Ergänzung in § 9 Abs. 3 AÜG dient verschiedenen Klarstellungen:

  • Erstens wird klargestellt, dass die Festhaltenserklärung eine rechtswidrige Überlassung weder für die Vergangenheit noch für die Zukunft legalisiert. Sie ermöglicht allein das Festhalten am bisherigen Arbeitsverhältnis mit dem Verleiher und weist diesem die Aufgabe zu, dem Leiharbeitnehmer eine gesetzeskonforme Beschäftigung anzubieten. Sie ermöglicht nicht das Festhalten an einer rechtswidrigen Einsatzpraxis. Dementsprechend stellt der neue Absatz 3 Satz 2 und 3 klar, dass es bei der Fortführung der rechtswidrigen Überlassung trotz eines erklärten Widerspruchs zur erneuten Unwirksamkeit des Arbeitsvertrags zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmerin oder Leiharbeitnehmer kommt. In diesen Fällen entsteht daher nach § 10 AÜG ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher.
  • Zweitens stellt der ergänzte § 9 Abs. 3 Satz 4 AÜG sicher, dass eine Festhaltenserklärung nach § 9 AÜG sozialversicherungsrechtlich nicht zum Wegfall der gesamtschuldnerischen Haftung von Verleiher und Entleiher für die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge führt.

 


[1]    RegE AÜGÄndG, BT-Drucks. 18/9232, S. 9, 10.

[2]    Schüren/Fasholz, NZA 2015, 1473; Brors, NZA 2016, 672; Schüren, jurisPR-ArbR 19/2016 Anm. 1.

[3]    RegE AÜGÄndG, BT-Drucks. 18/9232, S. 9, 10.

[4]    Beschlussempfehlung zum RegE AÜGÄndG, BT-Drucks. 18/10064, S. 5.

 

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