BFH: Zweifel an Richtsatzsammlung

Aufzeichnungen bei Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich und offener Ladenkasse; Auswahl zulässiger Schätzungsmethoden

  1. Werden in einem Betrieb vorwiegend Bargeschäfte getätigt, können Mängel der Kassenführung der gesamten Buchführung die Ordnungsmäßigkeit nehmen, mit der Folge, dass Finanzamt (FA) und Finanzgericht (FG) dem Grunde nach zur Schätzung befugt sind.
  2. FA und FG sind in der Wahl ihrer Schätzungsmethoden grundsätzlich frei. Jedoch ist diese Freiheit bei mehreren in Betracht kommenden Schätzungsmethoden nach den allgemeinen für die Ausübung pflichtgemäßen Ermessens (§ 5 der Abgabenordnung) geltenden Grundsätzen eingeschränkt.
  3. Im Rahmen der Ermessensausübung sind tendenziell ungenauere Schätzungsmethoden gegenüber genaueren Schätzungsmethoden nachrangig. In der Regel ist der innere Betriebsvergleich im Verhältnis zum äußeren Betriebsvergleich als die zuverlässigere Schätzungsmethode anzusehen.
  4. FA und FG müssen das Ergebnis ihrer Schätzung nachvollziehbar begründen. Eine fehlende oder nicht nachvollziehbare Begründung kann zu einem sachlich-rechtlichen Mangel des Urteils führen, der auch ohne besondere Rüge vom Revisionsgericht beanstandet werden kann.
  5. Die Finanzverwaltung darf zur Ermittlung von Vergleichsdaten Datenbanken aufbauen und verwenden, auch wenn diese nicht allgemein zugänglich sind, und es ist zulässig, Vergleichsdaten mit Hilfe von Datenbanken zu ermitteln. Allerdings muss die im Einzelfall zu verwendende Datenbank Mindestanforderungen an die Qualität der Datenerfassung erfüllen. Die Gerichte können deshalb gehalten sein, Rückfragen über die Zusammenstellung und Ableitung der anonymisierten Vergleichsdaten zu stellen. Können solche Fragen aus Gründen des Steuergeheimnisses oder aus anderen Gründen nicht beantwortet werden, geht dies zu Lasten des Beweiswertes der Vergleichsdaten (Anschluss an Urteil des Bundesfinanzhofs vom 17.10.2001 - I R 103/00, BFHE 197, 68, BStBl II 2004, 171, unter III.A.2.c cc).
  6. Es bestehen gegenwärtig erhebliche Zweifel, ob die amtliche Richtsatzsammlung in ihrer bisherigen Form eine geeignete Grundlage für einen äußeren Betriebsvergleich darstellt.

BFH, Urt. v. 18.06.2025 - X R 19/21

Nach § 162 Abs. 1 Satz 1 AO hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie diese nicht ermitteln oder berechnen kann. Zu schätzen ist u.a. dann, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder seine Mitwirkungspflicht verletzt.

Gleiches gilt, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann, wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden oder wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben zu steuerpflichtigen Einnahmen oder Betriebsvermögensmehrungen bestehen.

Formelle Buchführungsmängel berechtigen nur insoweit zur Schätzung, als sie Anlass geben, die sachliche Richtigkeit des Buchführungsergebnisses anzuzweifeln.

Nach § 162 Abs. 1 Satz 2 AO sind bei der Schätzung alle Umstände zu berücksichtigen, die für sie von Bedeutung sind. Die Schätzungsergebnisse müssen schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein. Die Wahl der Schätzungsmethode steht im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde bzw. des FG. Ziel jeder Schätzung muss es sein, Besteuerungsgrundlagen so zu ermitteln, dass sie der Wirklichkeit möglichst nahekommen.

Als zulässige Schätzungsmethode ist u.a. die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen mit einem äußeren Betriebsvergleich, insbesondere mit einem Richtsatzvergleich, anerkannt. Beim äußeren Betriebsvergleich werden die Besteuerungsgrundlagen durch Vergleich mit den Ergebnissen anderer, gleichartiger Betriebe ermittelt.

Die Vergleichsbetriebe müssen zur gleichen Branche gehören und auch im Hinblick auf Betriebsgröße, Lage, Organisation und Kundenstamm dem jeweiligen Betrieb ähnlich sein. Die Ungenauigkeiten einer Richtsatzschätzung muss der Steuerpflichtige im Übrigen hinnehmen, wenn seine Buchführung nicht den Grundsätzen einer ordnungsmäßigen Buchführung entspricht.

Weder das Finanzamt noch das FG sind grundsätzlich verpflichtet, das aufgrund einer Schätzungsmethode gewonnene Ergebnis noch durch die Anwendung einer weiteren Schätzungsmethode zu überprüfen oder zu untermauern.

Richtsatzsammlung

Das BMF gibt jährlich die Richtsatzsammlung heraus. Diese enthält für verschiedene Branchen bzw. Wirtschaftszweige u.a. Angaben zu durchschnittlichen Rohgewinnen bzw. Reingewinnen. Grundlage hierfür sind sog. Richtsatzprüfungen, die von den Betriebsprüfungsdiensten der Länderfinanzverwaltungen durchgeführt werden.

Die Richtsatzsammlungen werden von der Finanzverwaltung bei der Verprobung von Umsätzen und Gewinnen herangezogen. Sie sind häufiger Ausgangs- und Anhaltspunkt für Schätzungen. Auch von FGs werden die Werte der Richtsatzsammlung in Entscheidungen einbezogen.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH stellt die Schätzung anhand der Richtsatzsammlung des BMF eine anerkannte Methode dar (BFH, Beschl. v. 08.08.2019 - X B 117/18, BFH/NV 2019, 1219).

Entscheidungssachverhalt und Verfahrensgang

Der Kläger betrieb in den Streitjahren 2013 und 2014 eine Diskothek. Eine für die Streitjahre durchgeführte Außenprüfung beanstandete die Kassen- und Buchführung des Klägers als formell ordnungswidrig.

Die Diskothek war mit bis zu fünf offenen Ladenkassen betrieben worden, deren Tagesgesamteinnahmen auf Zetteln erfasst und an die Buchhaltung übergeben wurden; Kasseneinzelaufzeichnungen konnten nicht vorgelegt werden. Infolgedessen nahm der Prüfer Hinzuschätzungen vor.

Die hiergegen gerichtete Klage hatte in der Sache im ersten Rechtsgang vor dem FG Hamburg teilweise Erfolg (FG Hamburg, Urt. v. 03.09.2019 - 2 K 218/18). Zwar beanstandete das FG sowohl die Schätzungsmethode als auch das Schätzungsergebnis des Finanzamts. In Ausübung seiner eigenen Schätzungsbefugnis schätzte das FG im ersten Rechtsgang die Getränkeumsätze nach Maßgabe eines äußeren Betriebsvergleichs.

Bei dem zugrunde gelegten Rohgewinnaufschlagsatz von 300 % orientierte sich das FG zum einen an der vom BMF veröffentlichten Richtsatzsammlung, die für Gastronomiebetriebe in den Streitjahren Rohgewinnaufschlagsätze zwischen 186 % und 400 % (2013) und zwischen 186 % und 376 % (2014) sowie einen Mittelwert von jeweils 257 % ausweist. Zum anderen berief es sich auf einen nur für den Dienstgebrauch der Finanzverwaltung erstellten Erfahrungsbericht vom 23.05.2017 über Betriebsprüfungen bei Diskotheken (sog. "Fachinfosystem Bp NRW").

BFH-Beschluss vom 28.05.2020 - X B 12/20

Der BFH hob diese Entscheidung mit Beschluss vom 28.05.2020 - X B 12/20 auf, da der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs als verletzt angesehen wurde. Das FG hatte auf das "Fachinfosystem Bp NRW" zurückgegriffen, ohne die hieraus entnommenen Erkenntnisse zuvor dem Kläger inhaltlich zugänglich gemacht zu haben.

Im zweiten Rechtsgang bestätigte das FG sein bisheriges Ergebnis, griff für den Ansatz eines Rohgewinnaufschlagsatzes von 300 % aber nur noch auf die Richtsatzsammlung des BMF zurück (FG Hamburg, Urt. v. 13.10.2020 - 2 K 218/18).

BFH-Beschluss vom 14.12.2022 - X R 19/21

Auf die erneute Revision des Klägers forderte der BFH das BMF auf, dem Revisionsverfahren beizutreten, um u.a. zu der Frage Stellung zu nehmen, ob und - wenn ja - unter welchen Voraussetzungen ein äußerer Betriebsvergleich in Gestalt einer Schätzung anhand der Richtsätze der amtlichen Richtsatzsammlung des BMF zulässig ist (BFH, Beschl. v. 14.12.2022 - X R 19/21).

Der BFH warf mit Blick auf die amtliche Richtsatzsammlung als Grundlage für eine Schätzung i.S.d. § 162 Abs. 1 Satz 1 AO die Fragen auf, welche einzelnen Daten mit welchem Gewicht in die jeweilige Gewerbeklasse einfließen, wie die Repräsentativität der Daten sichergestellt wird und ob es Einzeldaten gibt, die von vornherein keinen Eingang in die Datensammlung finden. Ferner ist aus Sicht des BFH unklar, ob regionale Unterschiede bei fixen Betriebskosten bundeseinheitlichen Richtsätzen entgegenstehen.

Zudem wollte der BFH wissen, weshalb die Ergebnisse von Verlustbetrieben keine Berücksichtigung in der Richtsatzsammlung finden, obwohl auch diese Betriebe einen Rohgewinnaufschlag ausweisen.

Des Weiteren ist nicht ersichtlich, ob ganz oder teilweise erfolgreiche Rechtsbehelfe Eingang in die Richtsatzsammlung finden. Letztlich stellte der BFH infrage, wie es dem Steuerpflichtigen ermöglicht werden kann, das Schätzungsergebnis auf Grundlage der Richtsatzsammlung nachzuvollziehen und zu überprüfen.

Das BMF war der Beitrittsaufforderung gefolgt. Einzelheiten zur Stellungnahme können der Rdnr. 20 ff. des Urteils vom 18.06.2025 - X R 19/21 entnommen werden.

BFH-Urteil vom 18.06.2025 - X R 19/21

Der BFH hob nun das Urteil des FG Hamburg auf und wies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück, da dem BFH keine eigene Schätzungsbefugnis zukommt.

Da es sich bei der Diskothek unstreitig um einen "bargeldintensiven Betrieb" handelte und die festgestellten Mängel den Kernbereich der Buchführung des Klägers betrafen, bestand eine Schätzungsbefugnis dem Grunde nach.

Da die vom FG vorgenommene Hinzuschätzung in Form eines äußeren Betriebsvergleichs auf der Grundlage der amtlichen Richtsatzsammlung des BMF jedoch nicht nachvollziehbar begründet worden war, konnte der BFH diese nicht auf ihre Angemessenheit hin überprüfen.

Eine Hinzuschätzung auf der Grundlage der amtlichen Richtsatzsammlung kommt nach den Hinweisen ("ohne Bindungswirkung") des BFH im Streitfall im Zweifel nicht in Betracht.

Wahl der Schätzungsmethode

Es steht dem Finanzamt grundsätzlich frei, welcher Schätzungsmethode es sich bedient - vorausgesetzt, diese ist geeignet, ein vernünftiges und der Wirklichkeit entsprechendes Ergebnis zu erzielen. Diese Wahlfreiheit ist bei der Auswahl zwischen mehreren in Betracht kommenden Schätzungsmethoden nach den allgemeinen für die Ausübung pflichtgemäßen Ermessens geltenden Grundsätzen jedoch eingeschränkt, dabei sind auch Verhältnismäßigkeitserwägungen zu beachten.

Ermessensleitend ist das Ziel, die Besteuerungsgrundlagen durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen so zu bestimmen, dass sie der Wirklichkeit möglichst nahekommen. Kommt eine bestimmte Schätzungsmethode diesem Ziel voraussichtlich näher als eine andere, ist die erstgenannte Methode unter Ermessensgesichtspunkten vorzugswürdig.

Die weitgehende Freiheit der Methodenwahl besteht folglich nur dann, wenn mehrere gleich geeignete Schätzungsmethoden zur Auswahl stehen. Ist dies nicht der Fall, wird das Ermessen eingeschränkt.

In einem solchen Fall muss sich das Finanzamt für diejenige Schätzungsmethode entscheiden, welche die größere Gewähr dafür bietet, mit zumutbarem Aufwand das wahrscheinlichere Ergebnis zu erzielen. Tendenziell ungenauere Methoden sind gegenüber genaueren Methoden nachrangig.

Begründung der Schätzung

Sowohl das Finanzamt als auch das FG haben das Ergebnis ihrer Schätzung nachvollziehbar zu begründen. Sie müssen die der Schätzung zugrundeliegenden konkreten, betriebsbezogenen Annahmen benennen, damit die Beteiligten nachprüfen können, ob die Schätzung den gesetzlichen Vorgaben entspricht, ob sie also insbesondere schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig ist.

Es ist darzulegen, wie sie ihre Überzeugung gewonnen haben, und dass die Überzeugungsbildung in rechtlich zulässiger und einwandfreier Weise zustande gekommen ist.

Vorrang des inneren Betriebsvergleichs

Der BFH stellt fest, dass dem äußeren Betriebsvergleich im Allgemeinen ein starkes Unsicherheitsmoment anhaftet, da kaum ein Betrieb dem anderen gleicht. Daher ist ein innerer Betriebsvergleich grundsätzlich als die zuverlässigere Schätzungsmethode anzusehen.

Zwar ist auch eine Nachkalkulation nicht frei von Unsicherheiten; doch ist hier die Möglichkeit von Fehlern stärker eingeengt. Eine Nachkalkulation auf der Grundlage des Wareneinsatzes ist als Methode des inneren Betriebsvergleichs eher geeignet, das für den Betrieb des Klägers wahrscheinlichere Ergebnis zu finden, als ein äußerer Betriebsvergleich.

Im Streitfall hatte der Prüfer für den Zeitraum Januar bis Mai 2013 anhand der gebuchten Eingangsrechnungen und unter Berücksichtigung der in diesem Zeitraum auch tatsächlich gelieferten Getränke die mutmaßlichen Verkaufserlöse ermittelt. Das FG hatte die Berechnung verworfen ("keine taugliche Nachkalkulation"), weil diese nicht auf die vom Kläger tatsächlich verwendeten Rezepturen für Cocktails abgestellt habe.

Nach Ansicht des BFH hätte das FG dem Kläger Gelegenheit geben können, die aus seiner Sicht zur Berechnung erforderlichen Rezepturen vorzulegen. Sofern eine solche Nachkalkulation aus Sicht des FG den zumutbaren Aufwand überstiegen hätte, hätte dies begründet werden müssen.

Das FG habe sich nicht damit auseinandergesetzt, warum die Nachkalkulation des Prüfers nicht auch ohne konkrete Rezepturen möglich war. Es habe nahegelegen, Abschläge bei den angenommenen Erlösen vorzunehmen, anstatt den inneren Betriebsvergleich insgesamt zu verwerfen.

Äußerer Betriebsvergleich: Vergleichbarkeit

Soll eine Schätzung von Besteuerungsgrundlagen durch einen äußeren Betriebsvergleich erfolgen, ist zu beachten, dass der Betrieb, dessen Besteuerungsgrundlagen geschätzt werden müssen, und die zum Vergleich herangezogenen Betriebe grundsätzlich zu der gleichen Branche gehören und sich auch im Hinblick auf Betriebsgröße, Lage, Organisation und Kundenstamm ähnlich sein sollten. Bestehen im Hinblick auf diese Merkmale wesentliche Unterschiede, muss nachvollziehbar begründet werden, warum trotzdem ein äußerer Betriebsvergleich möglich und geboten erscheint.

Im Streitfall habe das FG nicht hinreichend begründet, auf welcher tatsächlichen Grundlage es zu der Überzeugung gelangt ist, dass zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen des Betriebs des Klägers (Diskothek) im Schätzungsweg die in der amtlichen Richtsatzsammlung des BMF festgelegten Richtsätze für Gaststätten herangezogen werden können.

Eine Diskothek lässt sich nach Auffassung des BFH keiner der in der amtlichen Richtsatzsammlung aufgeführten Gewerbeklassen zuordnen; insbesondere eine Vergleichbarkeit mit einer Schankwirtschaft lehnt der BFH ab.

Der BFH weist auf den (im ersten Rechtsgang herangezogenen) Bericht des Finanzamts Mönchengladbach-Mitte über Betriebsprüfungen bei Diskotheken (dort unter "III Wirtschaftliche Überprüfung des Umsatzes") hin.

Darin wird ausdrücklich ausgeführt, dass die Richtsätze des Gaststättengewerbes auf Diskotheken "nicht übertragbar" seien und sich auch darüber hinaus "ein äußerer Vergleich der Rohgewinnaufschlagsätze" aufgrund der "betriebsspezifischen Besonderheiten" von Diskotheken nicht (d.h. generell nicht) anbiete. Lediglich "der innerbetriebliche Vergleich mehrerer Prüfungsjahre innerhalb eines Betriebs" erscheine hier "sinnvoll".

Richtsatzschätzung

Die Schätzung anhand der Kennzahlen der amtlichen Richtsatzsammlung des BMF wird von der höchstrichterlichen Rechtsprechung bislang als grundsätzlich zulässig anerkannt.

Ungeachtet der Zweifel, die der BFH zuletzt an der Belastbarkeit der Richtsatzschätzung geäußert hat, können für die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen eines Betriebs grundsätzlich nur Richtsätze derjenigen Gewerbeklasse verwendet werden, der der Betrieb zuzuordnen ist. Sollen Richtsätze einer anderen Gewerbeklasse verwendet werden, muss nachvollziehbar begründet werden, warum trotzdem ein Betriebsvergleich möglich und geboten erscheint.

Da das FG-Urteil keine Ausführungen zu den Besonderheiten, die der Anwendung der Richtsätze für Gaststätten auf eine Diskothek entgegenstehen, enthält, verstößt die angefochtene Entscheidung nach Auffassung des BFH gegen das Begründungserfordernis.

Insbesondere auch dann, wenn Rohgewinnaufschlagsätze auf Betriebe angewandt werden sollen, die nach den eigenen Begrifflichkeiten der amtlichen Richtsatzsammlung einer bestimmten Gewerbeklasse nicht zugeordnet werden können, bedarf dies einer nachvollziehbaren, auf das konkret geprüfte Unternehmen bezogenen Begründung.

Das FG habe auch keinerlei Feststellungen zu der Frage getroffen, ob (bzw. inwieweit) der Betrieb des Klägers im Hinblick auf seine Organisation und seinen Kundenstamm mit einem Restaurant oder einer Gaststätte gleichgesetzt werden kann.

Der Vortrag des Klägers, dass zu seinem Kundenstamm vor allem auch Minderjährige gehört hätten und dass er mit besonderen Angeboten gerade um diese Zielgruppe geworben habe, sei vom FG nicht gewürdigt worden.

Nach Ansicht des BFH liege es auf der Hand, dass Finanzkraft und Konsumverhalten von Minderjährigen nicht ohne weiteres mit der Finanzkraft und dem Konsumverhalten eines durchschnittlichen Restaurantbesuchers verglichen werden können.

Das FG hätte hierzu Feststellungen treffen und diese (ggf.) in seine Würdigung mit einfließen lassen müssen.

Zweifel an der Eignung der Richtsatzsammlung

Der BFH weist ergänzend und nicht tragend, auch unter Bezugnahme auf seinen Beschluss vom 14.12.2022 - X R 19/21, darauf hin, dass erhebliche Zweifel an der Eignung der Richtsatzsammlung in ihrer bisherigen Form als Grundlage für eine Schätzung bestehen.

Ausführlich begründet der BFH, dass seine Zweifel auf der fehlenden statistischen Repräsentativität, der zur Ermittlung der Richtsätze herangezogenen Daten und auf dem von vornherein vorgenommenen Ausschluss bestimmter Gruppen von Betrieben aus der Grundgesamtheit beruhen.

Ferner fehle es sowohl in der Betriebsprüfungspraxis als auch in der instanzgerichtlichen Praxis in Richtsatz-Schätzungsfällen bisher häufig an der erforderlichen nachvollziehbaren Begründung, insbesondere für die Wahl des konkret herangezogenen Richtsatzes aus der weiten, vom BMF für die jeweilige Gewerbeklasse angegebenen Spanne.

Repräsentativität: Die grundsätzliche Tauglichkeit der Richtsatzsammlung als Instrument des äußeren Betriebsvergleichs hängt davon ab, ob die Voraussetzung einer Zufallsauswahl erfüllt ist.

Die von der Richtsatzkommission ermittelten Rohgewinnaufschlagsätze können nur dann für die jeweilige Gewerbeklasse repräsentativ sein, wenn die Auswahl der sog. Normalbetriebe, deren Ergebnisse in die Ermittlung der Richtsätze eingeflossen sind, unter statistischen Gesichtspunkten den Ansprüchen einer "echten" Zufallsauswahl gerecht wird.

Nach derzeitigem Stand gibt es keine Gewähr dafür, dass die in der amtlichen Richtsatzsammlung enthaltenen Daten für die jeweilige Gewerbeklasse repräsentativ sind. Folglich ist die amtliche Richtsatzsammlung in ihrer gegenwärtigen Form kein taugliches Instrument für eine Schätzung nach § 162 AO im Wege des äußeren Betriebsvergleichs.

Hinweis: Auch der Umstand, dass die Ergebnisse von Verlustbetrieben bei der Ermittlung der Richtsätze von vornherein ausgeschlossen werden, lässt den BFH an der Tauglichkeit zweifeln. Der BFH bezieht sich insoweit auf "echte" Verluste, also solche, die nach Durchführung einer Außenprüfung von der Finanzverwaltung anerkannt werden.

(Keine) Anwendung der Mittelsätze: Der Mittelsatz der Rohgewinnaufschlagsätze einer bestimmten Gewerbeklasse lässt noch keine konkrete Aussage über den zu prüfenden Betrieb zu.

Ob die Anwendung des betreffenden Mittelsatzes den Verhältnissen des zu prüfenden Betriebs gerecht wird, muss anhand der tatsächlichen Verhältnisse geprüft und begründet werden.

Ganz besonders in Branchen mit einer weiten Richtsatzspanne, aber auch im Übrigen, muss erkennbar und nachvollziehbar sein, dass die Besonderheiten des Einzelfalls in den Blick genommen wurden; dies erfordert eine plausible Begründung für die Wahl des konkret herangezogenen Werts unter Auseinandersetzung mit den erkennbaren betrieblichen Besonderheiten.

Fazit

Der BFH hat sehr deutlich gemacht, dass es sich bei der Richtsatzschätzung um eine sehr ungenaue Schätzungsmethode handelt. In jedem Einzelfall ist zunächst zu prüfen, ob die Richtsatzschätzung überhaupt eine geeignete Schätzungsmethode darstellt. Der BFH unterstreicht den Vorrang des inneren Betriebsvergleichs als die zuverlässigere Schätzungsmethode.

Eine Nachkalkulation wird auch dann, wenn gewisse Restunsicherheiten verbleiben, dem Ziel einer Schätzung, die Besteuerungsgrundlagen möglichst realitätsgerecht zu erfassen, im Zweifel immer noch näherkommen als eine Richtsatzschätzung.

Für die Richtsatzschätzung bleiben demzufolge im Grunde nur noch solche Betriebe, bei denen die vorhandenen Aufzeichnungen derart lückenhaft oder inhaltlich zweifelhaft sind, dass sie bei zumutbarem Aufwand als Grundlage für einen inneren Betriebsvergleich ausscheiden.

Kerstin Löbe, Steuerberaterin, Dipl.-Finanzwirtin, Köln/Xanten

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