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Verfahrensrecht -

Aufzeichnungspflichten und Schätzung bei offener Ladenkasse

Wann ist für die Aufzeichnung von Barumsätzen eine offene Ladenkasse ausreichend? Und wann darf das Finanzamt Umsätze und Gewinne schätzen? Der BFH hat entschieden, dass im Fall einer Einnahmen-Überschuss-Rechnung (EÜR) die Verwendung einer offenen Ladenkasse zulässig sein kann. Die vom Finanzamt im Streitfall durchgeführte Vollschätzung von Einnahmen eines Gastwirts verwarfen die BFH-Richter.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in einer aktuellen Entscheidung zu einem Verfahren auf Aussetzen der Vollziehung dazu Stellung genommen, ob bei Einnahmenüberschussrechnung für die Kassenführung eine offene Ladenkasse ausreicht und wie in diesem Fall von der Finanzverwaltung gegebenenfalls geschätzt werden darf.

Ein Gastronom erfasste seine Einnahmen aus dem Gaststättenbetrieb, der Veranstaltung von privaten Feiern sowie der Teilnahme an einem dreitägigen örtlichen Volksfest. Sämtliche Einnahmen wurden in einer offenen Ladenkasse erfasst. Die Einnahmen aus dem laufenden Gaststättenbetrieb notierte der Gastwirt auf Tageseinnahmenzettel, die das jeweilige Datum, ansonsten aber kein Ordnungskriterium enthielten.

Die übrigen Einnahmen wurden jeweils in einer Summe ermittelt und auf einem Tageseinnahmenzettel erfasst. Bei einer Außenprüfung verwarf das Finanzamt die Kassenführung, weil es von der Vollständigkeit der Aufzeichnungen nicht überzeugt war, und nahm Hinzuschätzungen anhand einer Quantilschätzung vor. Daraufhin beantragte der Gastronom bei Gericht das Aussetzen der Vollziehung. Dieser Antrag wurde vom Finanzgericht zunächst abgelehnt, vom BFH wurde ihm aber überwiegend stattgegeben.

Verpflichtung zu Einzelaufzeichnungen

Bei einer Einnahmenüberschussrechnung sind die erforderlichen Aufzeichnungen vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorzunehmen. Kasseneinnahmen und -ausgaben sollen „täglich“ festgehalten werden. Allerdings folgt auch aus § 22 UStG und § 63 UStDV hierbei keine Pflicht zur Führung eines Kassenbuchs. Bei dieser Gewinnermittlungsart gibt es keine Bestandskonten und somit auch kein Kassenkonto. Eingenommenes Geld wird sofort Privatvermögen.

Die Feststellung eines Kassenbestands, für den bei einer Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich ein Kassenbuch erforderlich ist, kommt nicht in Betracht. Daher reicht das als „Schuhkarton-Buchführung“ bezeichnete Erstellen und Sammeln von Einnahme- und Ausgabebelegen, verbunden mit einer regelmäßigen Summenziehung aus. Dabei gibt es folgende Möglichkeiten zur Erfassung der Einnahmen bei der Einnahmenüberschussrechnung:

  • geordnete Belegablage mit Einzelaufzeichnungen der Erlöse
  • Verzicht sowohl auf Einzelaufzeichnungen als auch auf ein tägliches Auszählen des Kassenbestands, aber Aufbewahrung der Ursprungsaufzeichnungen und Abgleich von Soll- und Ist-Bestand der Kasse „in gewissen Abständen“ (insbesondere bei der Nutzung von Registrierkassen)
  • Verzicht sowohl auf Einzelaufzeichnungen als auch auf die Aufbewahrung von Ursprungsbelegen, aber tägliches tatsächliches Auszählen der Kasse, das in fortlaufenden Kassenberichten dokumentiert wird.

Im Gegensatz dazu genügt das bloße Aufschreiben des täglichen (Gesamt-)Umsatzes ohne Aufbewahrung weiterer Belege den Anforderungen nicht.

Der BFH weist allerdings ausdrücklich darauf hin, dass diese Grundsätze der vorliegenden Einzelfallentscheidung im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung dienen, aber nicht verallgemeinert werden dürften.

Erleichterungen bei den Aufzeichnungen bei zahlreichen Bargeschäften

Eine Einzelaufzeichnungspflicht bestand bei der offenen Ladenkasse nicht. Selbst wenn eine solche Pflicht bestanden hätte, hätte der Gastwirt Erleichterungen in Anspruch nehmen können. Denn der Gastwirt hätte sich in diesem Fall darauf berufen können, dass Aufzeichnungen zu den Namen der Kunden sowie den jeweils zur Verfügung gestellten Speisen und Getränken aus Zumutbarkeitsgründen hätten unterbleiben können.

Derartige Erleichterungen sind niemals ausdrücklich auf Warenlieferanten beschränkt, sondern stets aus dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit abgeleitet worden. Insoweit kann aber bei Kleindienstleistern dieselbe Interessenlage bestehen wie bei entsprechenden Warenlieferanten. Dabei verlangt § 4 Abs. 3 EStG für bloße Aufzeichnungen im Gegensatz zum Fahrtenbuch keine Buchform.

Aufzeichnungen zu den Einnahmen aus dem Gaststättenbetrieb ordnungsgemäß

Damit erfüllen die Aufzeichnungen des Gastwirts zum laufenden Gaststättenbetrieb die erforderlichen Vorgaben, wonach eine „geordnete Belegablage mit Einzelaufzeichnung der Erlöse“ ausreicht. Solange der Gesetzgeber eine derartige Kassenführung bei einer Einnahmenüberschussrechnung zulässt, kann aus dem Umstand, dass es hier systembedingt keine Vollständigkeitsgewähr geben kann, jedenfalls bei summarischer Betrachtung keine Befugnis zur Vollschätzung abgeleitet werden. Vor allem würde das Problem auch bei der von der Finanzverwaltung verlangten Führung von Kassenberichten nicht vermieden.

Einnahmen auf dem Fest: Verstoß gegen Aufzeichnungspflichten

Hingegen genügen die Aufzeichnungen zu den Erlösen, die auf dem Volksfest erzielt wurden, nicht den geltenden Anforderungen, denn der Gastwirt hat hierbei lediglich die Einnahmen eines gesamten Tags in einer Summe notiert. Wie diese Summe zustande gekommen ist, ist den Unterlagen und auch den Erläuterungen des Gastwirts nicht zu entnehmen.

Zwar bestand auch bezüglich dieser Einnahmen keine Verpflichtung, Einzelaufzeichnungen zu führen, da der Gastwirt „über die Theke hinweg“ mit einer unbekannten Vielzahl von Personen Bargeschäfte von geringem Wert tätigte. Allerdings hätten die Tageseinnahmen durch tatsächliches Auszählen ermittelt und dies in einem Kassenbericht dokumentiert werden müssen, so dass die Aufzeichnungen in Bezug auf die beim Volksfest erzielten Erlöse formell nicht ordnungsgemäß sind.

Mögliche Schätzungsbefugnis der Finanzverwaltung

Hinsichtlich der Einnahmen vom Volksfest geht der BFH davon aus, dass der Gastwirt noch weitere Aufzeichnungen hätte führen oder Unterlagen hätte aufbewahren müssen, wie z.B. Angebote und Rechnungen. Weil deren Vorliegen nicht geklärt war, verlangte der BFH insoweit eine weitere Sachaufklärung, bevor über die Ordnungsmäßigkeit der Aufzeichnungen bzw. der damit verbundenen möglichen Schätzungsbefugnis entschieden werden kann. Damit betreffen die festgestellten formellen Mängel lediglich abgegrenzte Teilbereiche der Einnahmen. Eine Vollschätzung der Erlöse, die auch den laufenden Gaststättenbetrieb umfasst, ist daher nicht möglich. Die vom Finanzamt vorgenommene Quantilschätzung verwarf der BFH deswegen.

Praxishinweis

Der BFH hat in dieser Entscheidung, auch wenn er ausdrücklich betont, dass die Begründung über den Aussetzungsantrag nicht verallgemeinert werden dürfe, deutlich dazu Stellung genommen, dass bei einer Einnahmenüberschussrechnung und zahlreichen Bargeschäften eine offene Ladenkasse für die Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung ausreicht. Dies ist ein klare Absage an die Vorgehensweise der Finanzverwaltung, die in Außenprüfungen zunehmend dazu übergeht, Aufzeichnungen von kleinen Unternehmen, die zahlreiche Bargeschäfte tätigen und berechtigt eine Einnahmenüberschussrechnung aufstellen, zu verwerfen sowie Umsätze und Gewinne zu schätzen.

Als Begründung dient dabei regelmäßig, dass die Kassenführung wegen fehlender Einzelaufzeichnungen als nicht ordnungsgemäß beurteilt wird. Daher sollte jeder Steuerberater diese Entscheidung kennen und in solchen Betriebsprüfungen dem Schätzungsverlangen entgegenhalten. Allerdings ist dabei zu beachten, dass ab 2018 wegen der Neufassung des § 146 AO neue Grundsätze gelten werden.

BFH, Beschl. v. 12.07.2017 - X B 16/17

Quelle: RA und StB Axel Scholz, FA für Steuerrecht und FA für Handels- und Gesellschaftsrecht