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Einkommensteuer -

Freiberufler: Wann greift der Steuervorteil beim Praxis- und Kanzleiverkauf?

Wann können freiberufliche Praxen tarifbegünstigt veräußert werden? Voraussetzung ist, dass die wesentlichen Grundlagen der bisherigen Tätigkeit entgeltlich und definitiv übertragen werden. Die Tätigkeit muss nach dem BFH zwar vorübergehend eingestellt werden - eine starre Wartezeit gilt aber nicht. Unter Umständen können sogar bestimmte Tätigkeiten fortgeführt und neue Mandate betreut werden.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit seinem Beschluss vom 11.02.2020 (VIII B 131/19) entschieden, dass eine gem. § 34 EStG begünstigte Veräußerung einer freiberuflichen Steuerberaterpraxis nur vorliegt, wenn eine „definitive“ Übertragung der Praxis wenigstens für einen gewissen Zeitraum vorliegt. Eine zwischenzeitliche Tätigkeit als freier Mitarbeiter oder Angestellter für die veräußerte Kanzlei ist dabei unschädlich.

Sachlage im Streitfall

Der Steuerpflichtige veräußerte im Streitjahr seine Steuerberatungskanzlei und sollte anschließend im Rahmen einer überleitenden Mitarbeit weiterhin für die Kanzlei tätig werden. Dabei wurde vereinbart, dass der Steuerpflichtige während der überleitenden Mitarbeit und danach als Partner tätig bleiben soll.

Der Kaufpreis wurde unter der Bedingung vereinbart, dass der Steuerpflichtige weiterhin zu der Erhaltung des Mandantenstamms und der Höhe des Umsatzes beiträgt. Ansonsten sollte der Kaufpreis um die Hälfte der weggefallenen Umsätze gekürzt werden.

Der Steuerpflichtige beendete nach einem Zeitraum von ca. drei Jahren seine Tätigkeit für die bisherige Kanzlei und nahm anschließend eine steuerberatende Tätigkeit von seinem Arbeitszimmer aus auf.

Nach erklärungsgemäßer Veranlagung prüfte das Finanzamt (FA) den im Streitjahr gem. § 34 Abs. 3 EStG begünstigt besteuerten Veräußerungsgewinn und verwehrte im Nachhinein die Tarifbegünstigung, wogegen sich der Steuerpflichtige im Einspruchsverfahren wandte und die Aufhebung der Vollziehung (AdV) beantragte.

Dies lehnte das FA ab. Das Finanzgericht hob jedoch die Entscheidung des FA auf und gewährte die AdV. Die vom FA eingelegte Beschwerde lehnte der BFH ab.

Endgültige Aufgabe der bisherigen Tätigkeit

Nach § 18 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG gehört zu den Einkünften aus selbständiger Tätigkeit auch der Veräußerungsgewinn aus der Veräußerung der Praxis. Dieser Gewinn kann gem. § 34 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 EStG tarifbegünstigt sein oder alternativ gem. § 34 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 EStG der sogenannten „Fünftelregelung“ unterliegen.

Dazu müssen nach ständiger Rechtsprechung des BFH sowohl die quantitativen als auch die qualifizierten wesentlichen Betriebsgrundlagen endgültig auf den Veräußerer übertragen werden, und die Tätigkeit muss endgültig zumindest für einen gewissen Zeitraum im örtlichen Wirkungskreis eingestellt werden.

Ob eine definitive Übertragung der Praxis vorliegt, ist jeweils nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Maßgeblich sind Kriterien, wie die räumliche Entfernung zu der veräußerten Praxis, die Struktur der Mandate und die Nutzungsdauer des Praxiswerts. Eine starre zeitliche Grenze, wann die Tätigkeit wieder aufgenommen werden kann, existiert nicht. Auch eine nicht geplante Wiederaufnahme der Tätigkeit kann schädlich sein.

Eine Tätigkeit als Arbeitnehmer oder freier Mitarbeiter steht jedoch der Tarifbegünstigung genauso wie eine Fortführung der Tätigkeit in einem geringen Umfang nicht entgegen. Eine geringfügige Tätigkeit liegt vor, wenn die Einnahmen weniger als 10 % der in den letzten drei Jahren vor der Veräußerung erzielten Umsätze betragen.

Im Streitfall geht der BFH davon aus, dass die wesentlichen Betriebsgrundlagen der Praxis endgültig auf die Erwerber übertragen wurden. Die Tätigkeit als freier Mitarbeiter unter Beteiligung i.H.v. 1 % an dem Gewinn der Praxis steht der Übertragung nicht entgegen.

Die Wiederaufnahme der Tätigkeit zwei Jahre und sechs Monate später ist auch unschädlich, da die Umsätze die Geringfügigkeitsgrenze von 10 % unterschreiten. Auch die Betreuung neuer Mandate steht dem nicht entgegen, wenn durch diese nicht die maßgebliche Umsatzgrenze überschritten wird.

Praxishinweis

Bei der Veräußerung einer Steuerberaterpraxis oder einer anderen freiberuflichen Praxis sollte stets die Geringfügigkeitsgrenze beachtet werden, wenn Mandate in einem geringen Umfang weiterbetreut werden. Die übliche Zurückbehaltung einiger lukrativer Mandate ist grundsätzlich unschädlich, wenn trotzdem die wesentlichen Betriebsgrundlagen übertragen wurden und die maßgebliche Umsatzgrenze nicht überschritten wird.

Eine „starre“ zeitliche Grenze, wie die Mindestwartezeit von drei Jahren, existiert nach Ansicht des BFH zudem nicht. Im Einzelfall kann bereits ein Zeitraum von zwei bis drei Jahren ausreichend sein, nach dem die Tätigkeit steuerunschädlich wieder begonnen werden kann.

BFH, Beschl. v. 11.02.2020 - VIII B 131/19

Quelle: Christian Kappelmann, Steuerberater, Diplom-Finanzwirt (FH)