pixel © fotolia.de

Umsatzsteuer, Steuerberatung, Top News -

Rechnungsangaben: Wann ist die Anschrift korrekt?

Was muss in einer Rechnung aufgeführt werden, damit der Leistungsempfänger zum Vorsteuerabzug berechtigt ist? Reicht für eine vollständige Anschrift die Angabe eines bloßen „Briefkastensitzes“? Oder muss der leistende Unternehmer unter der angegebenen Adresse tatsächlich auch wirtschaftlich aktiv sein? Der BFH hat nun in zwei Verfahren den EuGH um Klärung der Rechnungsanforderungen gebeten.

Die beiden Senate des BFH, die für Umsatzsteuerfragen zuständig sind, haben den EuGH in zwei Vorabentscheidungsersuchen angerufen. Der EuGH wird dabei die Fragen zu klären haben, wann eine vollständige Anschrift in einer Rechnung vorliegt und ob ein Vorsteuerabzug aus Billigkeitsgründen in Anspruch genommen werden kann.

Vorlage des V. Senats

Diesem Verfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Kfz-Händler kaufte Fahrzeuge von einem Unternehmen, das zwar eigene Geschäftsräume unterhielt, aber lediglich einen Onlinehandel betrieb. Das zuständige Finanzamt versagte den Abzug der Vorsteuerbeträge aus den Eingangsrechnungen des Onlinevertriebs, da dieser keine Betriebsstätte unter der in der Rechnung angegebenen Anschrift unterhielt. Das Finanzgericht gab der Klage statt, denn die Angabe der Anschrift i.S.d. § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG erfordere nicht, dass dort geschäftliche Aktivitäten stattfänden. Letztlich sei der Vorsteuerabzug aus Billigkeitsgründen zu gewähren, weil der Unternehmer alles getan habe, was von ihm in zumutbarer Weise verlangt werden könne, um zu überprüfen, ob die Rechnungsangaben richtig sind. Das unterlegene Finanzamt rief daraufhin den BFH an.

Der BFH sieht sich allerdings an einer abschließenden Entscheidung gehindert, weil für ihn unklar ist, ob in einer Rechnung, die zum Vorsteuerabzug berechtigt, die „vollständige Anschrift“ bereits dann angegeben ist, wenn der leistende Unternehmer in der von ihm ausgestellten Rechnung eine Anschrift angibt, unter der er postalisch zu erreichen ist. Alternativ kann für den Vorsteuerabzug die Anschrift des Steuerpflichtigen erforderlich sein, unter der er seine wirtschaftlichen Tätigkeiten entfaltet.

Diese Unklarheit folgt für den BFH aus einem Vergleich mit Art. 226 MwStSystRL, der als obligatorische Rechnungsangaben verlangt, dass in der ausgestellten Rechnung der vollständige Name und die vollständige Anschrift des Steuerpflichtigen sowie des Erwerbers oder Dienstleistungsempfängers angegeben werden. § 14 UStG enthält eine inhaltsgleiche Bestimmung. Allerdings verlangt die ständige Rechtsprechung des BFH, dass zu den formellen Rechnungsvoraussetzungen die Angabe der zutreffenden Anschrift des leistenden Unternehmers zählt, unter der er seine wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet. Daher setzte der V. Senat das Verfahren aus und legte dem EuGH die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vor:

  1. Setzt Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL die Angabe einer Anschrift des Steuerpflichtigen voraus, unter der er seine wirtschaftlichen Tätigkeiten entfaltet?
  2. Für den Fall, dass Frage 1. zu verneinen ist:
    a) Reicht für die Angabe der Anschrift nach Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL eine Briefkastenadresse?
    b) Welche Anschrift ist von einem Steuerpflichtigen, der ein Unternehmen (z.B. des Internethandels) betreibt, das über kein Geschäftslokal verfügt, in der Rechnung anzugeben?
  3. Ist für den Fall, dass die formellen Rechnungsanforderungen des Art. 226 MwStSystRL nicht erfüllt sind, der Vorsteuerabzug bereits immer dann zu gewähren, wenn keine Steuerhinterziehung vorliegt oder der Steuerpflichtige die Einbeziehung in einen Betrug weder kannte noch kennen konnte oder setzt der Vertrauensschutzgrundsatz in diesem Fall voraus, dass der Steuerpflichtige alles getan hat, was von ihm (in) zumutbarer Weise verlangt werden kann, um die Richtigkeit der Rechnungsangaben zu überprüfen?

Vorlage des XI. Senats

In diesem Verfahren ist ebenfalls ein Kfz-Handel beteiligt, diesmal in der Rechtsform einer GmbH. Die GmbH setzte in ihrer Erklärung u.a. steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen und Vorsteuerbeträge für erworbene Fahrzeuge an. Im Gegensatz dazu erkannte das Finanzamt die geltend gemachten Vorsteuerbeträge aus den Eingangsrechnungen nicht an, da es sich bei dem Unternehmer, von dem die Fahrzeuge erworben wurden, um eine "Scheinfirma" handele, die unter ihrer Rechnungsanschrift keinen Sitz hatte. Das Finanzgericht wies die Klage des Steuerpflichtigen ab, weil es unter der in den Rechnungen angegebenen Adresse keine geschäftlichen Aktivitäten des Verkäufers feststellen konnte – er hatte unter einer anderen Anschrift Räumlichkeiten angemietet. Ein Vorsteuerabzug aus Vertrauensschutzgesichtspunkte sei nach Ansicht des Finanzgerichts nicht bei der Steuerfestsetzung, sondern ggf. nur im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme gem. §§ 163, 227 AO möglich.

Der BFH sah sich in der Revision an einer abschließenden Entscheidung gehindert: Zunächst verweist der XI. Senat ebenso wie der V. Senat auf Art. 226 MwStSystRL, der als obligatorische Rechnungsangaben verlangt, dass in der ausgestellten Rechnung der vollständige Name und die vollständige Anschrift des Steuerpflichtigen sowie des Erwerbers oder Dienstleistungsempfängers angegeben werden. Im Gegensatz dazu bestimmt § 31 Abs. 2 UStDV hinsichtlich der Anforderungen des § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG, dass sich aus den in der Rechnung aufgenommenen Bezeichnungen der Name und die Anschrift sowohl des leistenden Unternehmers als auch des Leistungsempfängers eindeutig ermitteln lassen. Zudem erlaubt § 163 Satz 1 AO, Steuern niedriger festzusetzen, falls die Erhebung der Steuer im Einzelfall unbillig wäre. Schließlich verlangt auch der V. Senat, dass wirtschaftliche Aktivitäten am Ort der Rechnungsanschrift erbracht werden.

Daher ist für den BFH unklar, ob aufgrund einer Rechnung der Vorsteuerabzug bereits möglich ist, wenn die „vollständige Anschrift“ der Anschrift entspricht, unter der der Unternehmer postalisch zu erreichen ist. Daher legt er dem EuGH folgende Fragen zur Klärung vor:

  1. Enthält eine zur Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug nach Art. 168 Buchst. a i.V.m. Art. 178 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem erforderliche Rechnung die „vollständige Anschrift" i.S. von Art. 226 Nr. 5 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2008 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, wenn der leistende Unternehmer in der von ihm über die Leistung ausgestellten Rechnung eine Anschrift angibt, unter der er zwar postalisch zu erreichen ist, wo er jedoch keine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt?
  2. Steht Art. 168 Buchst. a i.V.m. Art. 178 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem unter  Beachtung des Effektivitätsgebots einer nationalen Praxis entgegen, die einen guten Glauben des Leistungsempfängers an die Erfüllung der Vorsteuerabzugsvoraussetzungen nur außerhalb des Steuerfestsetzungsverfahrens im Rahmen eines gesonderten Billigkeitsverfahrens berücksichtigt? Ist Art. 168 Buchst. a i.V.m. Art. 178 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem insoweit berufbar?

Praxishinweis

Der BFH ist zu der Überzeugung gekommen, dass seine bisherige ständige Rechtsprechung im Widerspruch zur Rechtsprechung des EuGH bzw. dem Unionsrecht stehen könnte. Insoweit ist zu begrüßen, dass er seine bisherige Rechtsprechung selbstkritisch vom EuGH überprüfen lässt. Alle Unternehmer, denen das Finanzamt den Vorsteuerabzug versagt, weil die Anschrift des leistenden Unternehmens einer Briefkastenfirma entspreche bzw. nicht der Ort der wirtschaftlichen Tätigkeit darstelle, sollten daher unter Hinweis auf diese beiden Vorlagebeschlüsse Einspruch einlegen. Ob auch eine Aussetzung der Vollziehung beantragt werden sollte, ist unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten im Hinblick auf das derzeitige Zinsniveau zu entscheiden, da die möglicherweise zu zahlenden Zinsen mit 6 % p.a. doch vergleichsweise hoch sind.

BFH, Beschl. v. 06.04.2016 - V R 25/15
BFH, Beschl. v. 06.04.2016 - XI R 20/14

Quelle: Rechtsanwalt und Steuerberater Axel Scholz