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Fahrtkosten bei Leiharbeit: Gericht widerspricht BMF

Können Leiharbeitnehmer für Fahrten zum Betrieb des Entleihers pro gefahrenen Kilometer abrechnen oder nur die Entfernungspauschale geltend machen? Das Finanzgericht Niedersachsen hat entschieden, dass bei Leiharbeit regelmäßig keine „erste Tätigkeitsstätte“ begründet wird und Fahrtkosten nach gefahrenen Kilometern veranschlagt werden können. Damit widerspricht das Gericht der Ansicht des BMF.

Mit Urteil vom 30.11.2016 hat das Finanzgericht Niedersachsen (FG) entschieden, dass ein Leiharbeiter, der „bis auf Weiteres“ im Betrieb eines Entleihers tätig ist, keine erste Tätigkeitsstätte hat. Somit muss er die Fahrtkosten nicht als Werbungskosten mit der Entfernungspauschale i.H.v. 0,30 € pro Entfernungskilometer geltend machen, sondern kann sie als Reisekosten im Rahmen einer Auswärtstätigkeit, d.h. mit 0,30 € pro gefahrenem Kilometer, geltend machen.

Im Streitfall war der Kläger als Helfer bei einer Leiharbeitsfirma beschäftigt. Das Leiharbeitsverhältnis war befristet und wurde mehrfach verlängert. Nach dem geschlossenen Arbeitsvertrag musste der Leiharbeitnehmer mit einer jederzeitigen bundesweiten Umsetzung oder Versetzung rechnen. Im Streitjahr war der Leiharbeitnehmer ganzjährig nur für einen bestimmten Entleihbetrieb tätig und machte in seiner Einkommensteuererklärung Aufwendungen für Fahrten zwischen der Wohnung und dem Entleihbetrieb i.H.v. 0,30 € pro gefahrenem Kilometer als Reisekosten geltend.

Das Finanzamt (FA) gewährte jedoch nur den Abzug in Höhe der Entfernungspauschale, also 0,30 € pro Entfernungskilometer. Dabei ging das FA davon aus, dass eine dauerhafte Zuordnung zum Entleihbetrieb und somit ein erste Tätigkeitsstätte des Leiharbeitnehmers beim Entleiher vorliegt. Das FG hingegen gab der dagegen gerichteten Klage des Leiharbeitnehmers in vollem Umfang statt.

Rechtslage vor dem neuen Reisekostenrecht (bis 31.12.2013)

Zur Rechtslage bis zum Inkrafttreten des neuen Reisekostenrechts zum 01.01.2014 hatte der Bundesfinanzhof (BFH) mit zwei Urteilen entschieden, dass Leiharbeitnehmer grundsätzlich nicht über eine regelmäßige Arbeitsstätte – so der damalige Begriff, der durch den heutigen Begriff der ersten Tätigkeitsstätte ersetzt wurde – verfügen. Somit konnten diese die Fahrtkosten zum Entleihbetrieb nach den Grundsätzen für Dienstreisekosten, d.h. mit 0,30 € pro gefahrenem Kilometer, berechnen.

Inwieweit diese Grundsätze auch nach Einführung des neuen Reisekostenrechts gelten, war bislang nicht entschieden.

Rechtslage seit dem neuen Reisekostenrecht (ab 01.01.2014)

Das FG führt zur ersten Tätigkeitsstätte des Leiharbeitnehmers Folgendes aus:

  • Die Zuweisung des Leiharbeitnehmers zu einer betrieblichen Einrichtung des Entleihers „bis auf Weiteres“ kann nicht als unbefristet i.S.d. § 9 Abs. 4 Satz 3 1. Alt. EStG in der im Streitjahr 2014 geltenden Fassung angesehen werden.
  • Nur in Ausnahmefällen ist eine dauerhafte Zuordnung denkbar, beispielsweise, wenn es von vornherein für den Leiharbeiter zu erkennen ist, dass er für die gesamte Dauer in einem bestimmten Betrieb des Entleihers arbeiten wird bzw. soll.
  • Aufgrund der gesetzlichen Beschränkung der Arbeitnehmerüberlassung ist bereits aus Rechtsgründen bei Leiharbeitsverhältnissen keine dauerhafte Zuordnung zu einem Entleihbetrieb denkbar, denn nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG ist nur eine vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung zulässig. Die steuerliche Zuordnung folgt hier der arbeitsrechtlichen Zuordnung.

FG Niedersachsen widerspricht dem BMF-Schreiben vom 24.10.2014

Mit Schreiben vom 24.10.2014 veröffentlichte das Bundesministerium der Finanzen (BMF) seine Verwaltungsauffassung zur ersten Tätigkeitsstätte. Hiernach ist eine dauerhafte Zuordnung dann gegeben, wenn das Dienstverhältnis auf einen anderen Arbeitgeber ausgelagert wird und der Arbeitnehmer für die gesamte Dauer des neuen Beschäftigungsverhältnisses oder länger als 48 Monate weiterhin an seiner früheren Tätigkeitsstätte des bisherigen Arbeitgebers tätig werden soll (sog. Outsourcing).

Dabei sah das BMF die anderslautende Rechtsprechung als überholt an und wandte diese Grundsätze auch für den Fall an, dass ein Leiharbeitnehmer ausnahmsweise dauerhaft in einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Entleihers tätig wird.
Das FG lehnt diese Verwaltungsansicht mit seinem Urteil explizit ab, ließ aber die Revision zum BFH wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Fortbildung des Rechts zu.

Praxishinweis

Das FG hat mit diesem Urteil der aktuellen Verwaltungsauffassung zum neuen Reisekostenrecht widersprochen und gestand Leiharbeitnehmern weiterhin den erhöhten Fahrtkostenabzug von 0,30 € pro gefahrenem Kilometer zu. Von diesem Urteil könnten fast eine Million Leiharbeitnehmer in Deutschland betroffen sein. Betroffene sollten in allen noch offenen Fällen ab dem Jahr 2014 den erhöhten Fahrtkostenabzug geltend machen und bei einem abweisenden Bescheid das Urteil des FG heranziehen bzw. – falls die Revision eingelegt wird – das Ruhen des Verfahrens gem. § 363 Abs. 2 AO beantragen, bis der BFH Stellung genommen hat.

FG Niedersachsen, Urt. v. 30.11.2016 - 9 K 130/16
BMF, Schreiben v. 24.10.2014 - IV C 5 - S-2353/14/10002, BStBl 2014 I 1412

Quelle: Dipl.-Volkswirt Volker Küpper